Travis bei «Stimmen»: Eine Band, die immer so gut ist wie der letzte Song

Zwei Comebacks bei «Stimmen»: Der Arlesheimer Domplatz hat sich als stimmungsvoller Konzertort in Erinnerung gerufen. Und die schottischen Travis als Lieferanten sehnsuchtsvoller Popsongs.

Tolle Kulisse: Der Arlesheimer Domplatz.

(Bild: Juri Junkov)

Zwei Comebacks bei «Stimmen»: Der Arlesheimer Domplatz hat sich als stimmungsvoller Konzertort in Erinnerung gerufen. Und die schottischen Travis als Lieferanten sehnsuchtsvoller Popsongs.

Die Wolken haben sich zwar formiert. Aber es regnet nicht, noch nicht, in dieser Samstagnacht, als Travis mit «Why Does It Always Rain On Me» einen ihrer grössten Hits anstimmen und damit ihr Konzert in Arlesheim abschliessen. Wer hätte das gedacht: Sie bringen ihre 90 Minuten wörtlich ins Trockene. 

1999 war es noch anders: Travis präsentierten ihr zweites Album am grossen Glastonbury-Festival, die Sonne schien den ganzen Tag, bis, ja, bis Fran Healy diesen Refrain sang und die Wolken brachen. Eine Choreografie, wie sie Hollywood nicht schöner hingekriegt hätte. Die Bilder von Travis, dem Publikum und dem Regen gingen um die Welt, und mit ihnen der Song.

Inspiration für Coldplay

Fortan waren die Schotten in aller Ohren. Mit Liedern, die nachdenklich und melancholisch gefärbt waren, aber nicht so experimentell wie Radiohead, nicht so schnoddrig wie Oasis und – das zeichnete sich erst in den Nuller-Jahren ab –, nicht ganz so nachhaltig wie Coldplay, die wiederum betonen, wie einflussreich und inspirierend Travis für sie waren. There you go!

Tatsächlich haben Travis dem Britpop gut getan, indem sie sich von ihm distanzierten und ihm die Arroganz entzogen: Mit schottischem Charme, mit ironischen Brüchen, mit denkwürdigen Videos. Wer erinnert sich nicht an den fliegenden Oktopus in «Sing»?

Diesen Klassiker spielt das Quartett in Arlesheim bereits nach vier Minuten und bringt den Domplatz ein erstes Mal begeistert zum Wippen. Sänger Fran Healy verrät den 1200 Besuchern, dass er dieses Lied für seine damalige Freundin geschrieben habe, denn «sie war zu schüchtern, um zu singen.» Also wollte er ihr Mut machen – und auch sich selber, denn «niemand wollte Sänger sein in der Band, die Gitarre war viel beliebter. Denn als Sänger muss man etwas von sich geben.» Seine Stimme ist es denn auch heute noch, die vielen Songs den Travis-Trademark aufdrückt.

Ein charmanter Schwadroneur

Healy gibt sich publikumsnah: Er schwadroniert, unterhält, amüsiert auch. Keine Tourmüdigkeit anzumerken also, obschon die Band eben aus Nordengland anreiste und zuvor in Japan und Taiwan spielte. 

Ständig auf Achse – und doch geerdet. Die Ansagen des zerzausten Schotten sind sympathisch, auch wenn er nicht vor Banalitäten zurückschreckt (wenn er von seiner Faszination für die britische TV-Show «Dating Naked» erzählt). Erhellend die Einblicke in die Entstehung des neuen Albums, das achte in der 20-jährigen Bandkarriere: «Everything at Once» spielt auf den Zeitgeist an, darauf, dass wir uns nicht mehr auf andere Menschen einlassen können. «Wir verbringen mehr Zeit mit den Smartphones als mit unseren Partnern», sagt Healy und nimmt sich da keineswegs aus. «Auch ich bin süchtig danach.»

In «Paralysed» greift er die Abhängigkeit, Gefangenheit vor Bildschirmen auch inhaltlich auf. Allerdings offenbart das Stück auch die paradoxe Situation, in der sich die Band befindet: Sie reflektiert und kritisiert die Abhängigkeiten im digitalen Zeitalter – und lässt sich von einem Loop den Takt angeben, klammert sich ans Radioformat und füllt den Konzertsound mit eingespiesenen Spuren, vom Cembalo bis zur Orgel in «3 Miles High», einem der schönsten neuen Songs. 

Die zweite kleine Schwäche liegt in der Gleichförmigkeit: Der Rotz ihres Debüts ist längst einer vorhersehbaren Geschliffenheit gewichen. Auch im Konzert: Die Band gleitet routiniert, aber unspektakulär durchs Repertoire, verzichtet auf Experimente. Mit einer grossen Ausnahme: Als erste Zugabe tritt Healy ganz alleine auf die Bühne und weist seinen Toningenieur an, die Gesangsanlage auszuschalten. So singt er ganz unverstärkt vor der beeindruckenden Kulisse des Doms «Flowers in the Window». Magisch.

Zieht man ansonsten aber die Originalität ihrer Videoclips und den Witz ihrer Ansagen ab, bleibt Travis eine Band, die so gut ist wie ihr jeweiliges Songwriting. Und da sie diesem live kaum etwas hinzufügt, sind die Eindrücke so durchzogen wie die Setliste: Der 6/8-Takt-Schunkler «Animals» ist nett aber vernachlässigbar, ebenso der Uptempo-Versuch «Selfish Jean» (schnelle Tempi liegen ihnen nicht). Healys Gesang ist nur dann eindringlich, wenn er sich in einer Midtempo-Ballade entfalten kann, so wie im wunderbaren «Side». Auch das ein Lied, das vor 15 Jahren geschrieben wurde, auf dem Peak ihrer Kreativität.

Ein Sänger zum Anfassen – und ein Lied zum Vergessen

Die Durststrecke in Travis‘ Karriere, sie hat übrigens einen nennenswerten Grund, wie der Wahl-Berliner Healy jüngst einem deutschen Szenemagazin erklärte: Er habe sich seit 2006 acht Jahre lang hauptsächlich seinem Sohn gewidmet, denn: «Kind und Band zusammen geht nicht.»

Tatsächlich entstanden in dieser Phase des familiären Rückzugs kaum Songs, mit denen die Band an ihre erfolgreichste Songwriting-Phase anknüpfen konnte: «Where you stand» etwa wäre keine Zeile wert, hätte sich Healy bei diesem Lied nicht in die ersten Reihen geworfen. Ein Sänger zum Anfassen – aber ein Lied zum Vergessen.



Publikumsnah: Sänger Fran Healy.

Publikumsnah: Sänger Fran Healy. (Bild: Juri Junkov)

Am anderen Ende der Skala steht «Why Does It Always Rain On Me», mit dem das Quartett das Publikum versöhnt in die Nacht entlässt.

Und auch wenn in den Geschichtsbüchern einst stehen wird, dass Travis eine Band war, die zur Jahrtausendwende ihren Moment hatte: Allein der Widerhall dieses Moments ist es im Jahr 2016 wert, ein Konzert von ihnen zu besuchen. Denn Fran Healy vermag mit seiner Stimme noch immer unsere Seelen zu streicheln.

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PS: Das schöne Ambiente vor dem Arlesheimer Dom wird auch 2017 für Open-Air-Konzerte genutzt, wie Jan Obri vom «Stimmen»-Festival bestätigt hat. 

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