Keltische Künstler schufen erstaunliche Werke. Dank archäologischen Grabungen wissen wir heute einiges über die Gesellschaft, in der sie wirkten. In Stuttgart kann man in einer Doppelausstellung in die faszinierende Welt der Kelten eintauchen.
Die Kelten haben uns keine schriftlichen Quellen hinterlassen. Die wenigen Nachrichten über ihre Kultur und Geschichte, die aus der Antike überliefert sind, wurden von Griechen oder Römern aufgezeichnet. Wie zuverlässig deren Schilderungen sind, ist oft umstritten. So sind es denn vor allem Bodenfunde und archäologische Kleinarbeit, die unser Wissen über die Welt der Kelten mehren.
Die Ausstellung «Zentren der Macht», die in Stuttgart im Kunstgebäude am Schlossplatz zu sehen ist, bündelt die Erkenntnisse aus den zahlreichen, zum Teil spektakulären Funden der letzten Jahrzehnte. Ihr Zeithorizont erstreckt sich vom Beginn der Eisenzeit im 8. Jahrhundert bis ins 1. Jahrhundert v. Chr., in dem die keltischen Gebiete unter römische Herrschaft gerieten. Kulturelle Zeugnisse der Keltoi, wie die Griechen sie nannten, oder der Galli, wie sie bei den Römern hiessen, finden sich von Irland bis Italien und von der Atlantikküste bis ans Schwarze Meer. Die einzelnen Stämme sahen sich allerdings kaum als Teile einer Nation im modernen Sinne. Sie besassen aber Gemeinsamkeiten in Kunst und Handwerk und offenbar in Religion und Sprache.
«Fürstensitze» und Städte
Als Zentren der Macht werden zum einen die «Fürstensitze» der frühkeltischen Elite verstanden, die für uns in kostbaren Grabbeigaben und Grabanlagen fassbar wird, zum andern spätkeltische Städte. Diese Zentren sind keineswegs sukzessive gewachsen. Nach einer ersten Blüte kam es an der Wende zum 4. Jahrhundert v. Chr. in Südwestdeutschland zu tiefgreifenden Veränderungen. An die Stelle der «Fürstensitze» traten Einzelhöfe und kleine Weiler.
In einigen Gebieten dünnte die Bevölkerung aus. Die Importe aus dem Süden versiegten fast vollständig, und Flachgräber ersetzten die Fürstengrab-Hügel. Über die Gründe kann man nur Vermutungen anstellen. Pollenanalysen und Klimastudien geben Hinweise auf ein Absinken der Durchschnittstemperaturen und eine Zunahme der Niederschläge ab der Zeit um 400 v. Chr. Dieser Klimawandel könnte zu Missernten und Hungersnöten geführt haben.
Im 3. Jahrhundert stabilisierten sich die Verhältnisse dann wieder, und im 2. Jahrhundert v. Chr. erlebten die Grosssiedlungen eine letzte Hochphase.
Barden und Druiden
«Asterix»-Leserinnen und -Leser wissen: Barde Troubadix soll nicht singen, und der Druide Miraculix schneidet die Mistelzweige mit einer goldenen Sichel. Letzteres haben sich Goscinny und Uderzo nicht aus den Fingern gesogen, sondern in der «Naturalis historia» des römischen Autors Plinius gefunden. Archäologisch lassen sich die Druiden bisher jedoch nicht nachweisen. Im Dunkeln bleibt daher auch, welche Rolle sie im religiösen Leben der Kelten spielten.
Auch über Troubadix‘ Kollegen wissen wir nicht allzu viel. Immerhin ist die Verwendung der Leier durch archäologische Funde belegt. In Stuttgart spielt ein gallischer Musiker auf einer schönen Darstellung aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. das Saiteninstrument.
Kostbarkeiten der Kunst
Ebenfalls auf eine Reise durch die Zeit nimmt uns die Keltenausstellung im Alten Schloss am Schillerplatz. Hier steht die Kunst im Zentrum. Präsentiert werden hochkarätige Meisterwerke. Der Zeitraum ihrer Entstehung erstreckt sich von den Anfängen im 7. Jahrhundert v. Chr. bis zur Nachblüte in der irischen Buchmalerei um 700 n. Chr.
Die keltischen Handwerker – Töpfer, Schmiede, Steinmetze und Glaskünster – machten nicht Kunst um der Kunst willen, sondern stellten verzierte Gebrauchsgegenstände her. Dabei gelang ihnen Grossartiges. Insbesondere die feinen Metallarbeiten mit ihren verschlungenen Motiven versetzen einen stets von Neuem in ungläubiges Erstaunen. Die keltischen Stämme stand in einem regen Handelsverkehr mit den umliegenden Völkern. Daher waren sie auch vertraut mit der Kunst ihrer Nachbarn, deren Motive sie aufnahmen und ihnen einen eigenen Ausdruck gaben. Gerne wüsste man mehr, was sich die Künstler dabei dachten – doch dies wird ihr Geheimnis bleiben.
Unbedingt eine Reise wert
Die Stuttgarter Doppelausstellung «Die Welt der Kelten» sollte man sich nicht entgehen lassen. Eine Ausstellung von diesem Umfang und dieser Tiefe wird es so rasch nicht wieder geben. Weil es in der «Welt der Kelten» so viel zu sehen und zu erfahren gibt, sollte man genug Zeit für den Besuch einplanen. Die keltische Welt ist schliesslich auch nicht an einem Tag geschaffen worden – und Stuttgart hat auch sonst noch manches zu bieten.
- Die Ausstellung dauert bis zum 17. Februar 2013; für Inhaberinnen und Inhaber des Oberrheinischen Museumspasses ist der Eintritt frei. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Bern und die Teilausstellung «Kunst der Kelten» war dort 2009 zu sehen.
Im Jan Thorbeck Verlag der Schwabenverlag AG ist ein Begleitband zu den beiden Ausstellungen erschienen. Das mehr als 500 Seiten dicke Buch ist reich bebildert und richtet sich an ein breites Publikum. Zahlreiche kürzere Beiträge von verschiedenen Verfasserinnen und Verfassern vertiefen die in den beiden Ausstellungen angeschnittenen Themen, dokumentieren wichtige Funde der letzten Jahrzehnte und geben Einblick in den aktuellen Stand der Keltenforschung. Der Begleitband «Welt der Kelten» kostet im Museumsshop 24.90 Euro, im Buchhandel 34 Euro/45.90 Franken.