Seit 85 Jahren gibt es im Laden Wohnbedarf funktionales Design. Damit ist der Laden an der Aeschenvorstadt eines der ersten Geschäfte für moderne Möbel. Massgeblich für seinen Erfolg verantwortlich war Ulrich P. Wieser.
In den Dreissigerjahren des 20. Jahrhunderts eröffneten in Basel und Zürich zwei Möbelläden mit demselben Namen – Wohnbedarf –, die zwar dieselbe Ausrichtung hatten, aber völlig unabhängig voneinander geführt wurden. Dieses Jahr nun wurde der Basler Wohnbedarf vom Zürcher Geschäft beziehungsweise der Familie Messmer übernommen. Das hat zumindest den Vorteil, dass in Zukunft auf umständliche Erklärungen verzichtet werden kann, warum zwei Geschäfte mit gleichem Namen und praktisch identischem Sortiment doch zwei Paar Schuhe sein sollen.
Tatsächlich zeigt ein Blick in die Geschichte, dass aller wirtschaftlichen Unabhängigkeit zum Trotz personelle und damit inhaltliche Verflechtungen seit der Firmengründung in Zürich 1931 vorhanden waren.
Bis heute verkörpert kaum jemand diesen Austausch besser als Ulrich P. Wieser. Er stiess in einer Zeit zum Wohnbedarf, als dieser sich von der kriegsbedingten Krise erholt hatte.
Modern, aber funktional
Ulrich P. Wieser.
Als eines der ersten Geschäfte Europas, das ausschliesslich moderne, funktionale Möbel zum Verkauf anbot, machte der Rückzug ins geistige Reduit vor und während des Zweiten Weltkrieges dem Absatz der blanken Stahlrohrsessel und simplen Sperrholzschränke schwer zu schaffen.
Auch in Basel, wo Paul Matzinger und ab 1934 Sigi Jehle unter demselben Geschäftsnamen das von Architekten wie Werner Max Moser und Max Ernst Haefeli, aber auch internationalen Grössen wie Marcel Breuer und Alvar Aalto entworfene Mobiliar anboten, gab der um sich greifende Heimatstil dazu Anlass, zeitweise sogar antike Möbel ins Sortiment aufzunehmen, um über die Runden zu kommen.
Von solchen Nöten war nach dem Krieg nicht mehr viel zu spüren. Der Aufschwung erfasste auch das Möbeldesign, und die etwas weniger strengen Entwürfe der Nachkriegsmoderne fanden beim Publikum Anklang. Dazu gehörten etwa die amerikanischen Möbel, die von der Firma Knoll produziert wurden und die sowohl Wohnbedarf Zürich als auch Wohnbedarf Basel in der Schweiz exklusiv verkauften.
In dieser Zeit hatte Ulrich P. Wieser – nach einigen Jahren der Wanderschaft durch Holland und Dänemark und einem Jahr als Steward auf einem Schiff – seine Ausbildung an der Fachklasse für Innenausbau an der Kunstgewerbeschule in Zürich beim Schweizer Designpionier Willy Guhl abgeschlossen. Bei Wohnbedarf Zürich bekam er den Auftrag, ein Tischmodell aus dem Eigensortiment weiterzuentwickeln. Anstelle des konventionellen Auszugsmechanismus sollte eine Lösung her, bei der die Tischbeine mit der Verlängerung «mitwanderten», so dass sie beim Sitzen nicht im Weg waren.
Der Klassiker-Tisch
Wiesers Lösung war eine teleskopartige Konstruktion aus zwei Stahlprofilen, die unterhalb der Tischplatte ineinander geschoben werden konnten. Geboren war ein bis heute produzierter Klassiker, der trotz hoher Stabilität leicht und überaus zurückhaltend wirkt.
Für kurze Zeit zeigte Wohnbedarf Wiesers Möbelklassiker in einer Ausstellung – darunter auch den ausziehbaren Tisch. (Bild: )
In den darauffolgenden Jahren, als Wieser als Verkäufer und Planer für Wohnbedarf arbeitete, kam es zu weiteren Designs: Darunter ein zeittypisches Regal, das sich zwischen Boden und Decke einspannen liess oder ein anbaufähiges Gestell aus weiss lackiertem Holz.
Dass Wieser verglichen mit anderen Entwerfern seiner Generation nur sporadisch neue Möbel entwickelte, hatte mit seiner Überzeugung zu tun, dass etwas Neues nur dann nötig sei, wenn es ein Bedürfnis dafür gibt und nicht umgekehrt. Vielleicht lässt sich daraus auch erklären, dass er sich zusehends mit bereits bestehenden Entwürfen und deren Einsatz zu beschäftigen begann: So leitete er in den Sechzigerjahren die Engros-Abteilung des Wohnbedarfs in Oerlikon, die sich vor allem auf die Möblierung von Büros spezialisierte und dabei auf die Entwürfe von Knoll International zurückgriff.
Ein paar Jahre später schliesslich kam es sowohl in Basel als auch in Zürich zu einem Generationenwechsel in der Leitung des Wohnbedarfs. Der Zürcher Ulrich P. Wieser übernahm mit Partnern das Basler Geschäft und leitete dieses bis 1988. Zwar folgen auch in dieser Zeit eine Handvoll eigener Entwürfe wie beispielsweise ein Dreitritt aus Massivholz, der einem den Griff nach Büchern in der obersten Regaletage erleichtert, aber Wiesers Aufmerksamkeit wird durch die erneut schwindenden Verkäufe gebunden.
Wiesers anbaubares Regal – heute ein Klassiker. (Bild: ©Wohnbedarf)
Die späten Siebzigerjahre bringen nicht bloss eine Abkehr vom kühlen modernen Möbeldesign, sondern auch ein sich änderndes Kaufverhalten mit sich. Möbel werden nicht mehr für die Ewigkeit gekauft, sondern lieber in minderer Qualität für eine bestimmte Zeitspanne. Einige ausländische Mitbewerber bedienen diesen Markt entschieden besser als die einheimischen Produzenten. Wieser greift auf unkonventionelle Mittel zurück: Sogenannte Schwedenöfen erfreuen sich grosser Beliebtheit und sichern die Umsätze.
Aus heutiger Perspektive etwas weniger gewöhnungsbedürftig sind dagegen Reeditionen von Möbelklassikern. Auch hier erkennt Wieser früh das in den Achtzigerjahren einsetzende Interesse für die Klassiker der frühen Moderne. So werden etwa die ausrangierten Moser-Stahlrohrsessel neu aufgelegt. Daneben engagiert sich Wieser als Förderer junger Designerinnen und Designer. Mit dem von ihm gegründeten Design-Forum Wohnbedarf Basel bietet er ihnen über mehrere Jahre hinweg eine Plattform.
Erst zehn Jahre nachdem er das Geschäft an Bruno und Esther Maurer übergeben hatte, verabschiedete sich Wieser definitiv. Er wohnt heute in Stade bei Hamburg, dem Heimatort seiner Frau.
Neue Krise in Sicht?
Es ist kein Geheimnis, dass sich die Schweizer Möbelbranche derzeit wieder in einer schwierigen Lage befindet. Längst hat der Online-Versandhandel auch die Welt der Wohnungseinrichtungen erfasst. Kein Designerklassiker scheint zu gross und sperrig, als dass er nicht per Mausklick ins Haus geliefert werden könnte. Und das oft günstiger, als wenn man die Möbel in einem Geschäft wie dem Wohnbedarf kauft.
Hinzu kommt, dass der tiefe Euro einen Einkauf im nahen Ausland ebenfalls attraktiv macht. Es ist verständlich, dass man unter diesen Umständen den alten Zeiten nachtrauert.
Gleichzeitig wird diese Konkurrenzsituation erst dadurch möglich, dass viele Geschäfte ein austauschbares Sortiment von Möbeln derselben Herstellermarken anbieten anstelle eines exklusiven Eigensortiments. Unter diesen Umständen wünscht man dem Wohnbedarf, dass ihm der weltoffene und vielseitige Geist Ulrich P. Wiesers nicht verloren geht und wir uns in fünf Jahren auf eine Ausstellung zum 90-jährigen Bestehen des Traditionsunternehmens freuen können.