Unbeirrt wild und ungezähmt

Nette Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überallhin: Nie hat sich diese alte Einsicht besser bewahrheitet als bei Les Reines Prochaines, deren demonstrativer Dilettantismus mittlerweile, nach einem Vierteljahrhundert, längst legendär geworden ist.

Haben immer wieder von Neuem Blut geleckt: Les Reines Prochaines alias Muda Mathis, Michèle Fuchs, Sus Zwick und Fränzi Madörin. (Bild: Iris Beatrice Baumann)

Nette Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen kommen überallhin: Nie hat sich diese alte Einsicht besser bewahrheitet als bei Les Reines Prochaines, deren demonstrativer Dilettantismus mittlerweile, nach einem Vierteljahrhundert, längst legendär geworden ist.

Dass der bis heute andauernde Erfolg in den wilden Anfangszeiten der Basler Frauenband, als die «zukünftigen Königinnen» noch in besetzten Häusern und Kellerlokalen auftraten, alles anderes als absehbar war, davon erzählt nun die Dokumentation «Les Reines Prochaines – Alleine denken ist kriminell» der deutschen Filmerin Claudia Wilke, welche die bewegte Geschichte der Damen aufarbeitet. Über drei Jahre lang begleitete Wilke dafür das ungewöhnliche Frauenquartett – das letzte verbliebene Gründungsmitglied Muda Mathis und ihre Mitstreiterinnen Sus Zwick, Fränzi Madörin und Michèle Fuchs.

Dass der Film gerade jetzt zum 25-Jahr-Jubiläum an den Solothurner Filmtagen eine vielbeachtete Premiere feiert, während gleichzeitig mit «Blut» seit langer Zeit mal wieder ein Studioalbum der Band erscheint, ist kein Zufall: Nachdem in den letzten Jahren immer wieder der überraschte Tenor «Was, Les Reines Prochaines, die gibt es noch?» an die Band herangetragen worden sei, sei man die Planung des Jubeljahres «vielleicht ein wenig marktstrategischer» angegangen als sonst bei der für ihren anarchischen Geist bekannten Truppe üblich. Dies beschränkt sich aber auf die Koordination dieser neuen, geballten Ladung royaler Frauenpower: Denn auch wenn man im Unterschied zum autonomen Sponti-Geist der Gründerzeit heute halt mit einer Vielzahl von Verpflichtungen und Verbindlichkeiten konfrontiert sei, dank der langjährigen Erfahrungen handkehrum viele Dinge «sehr gemächlich und wesentlich gelassener» angehe: Inhaltlich sind Les Reines Prochaines immer noch genau so unbeirrt, so wild und ungezähmt, so schnoddrig und schwarzhumorig wie eh und je – eine Mischung aus Punk, Kabarett, Performance- und Konzeptkunst und gesellschaftspolitischem Statement.

Dass die Band «kein Sitzleder angesetzt hat», wie es Muda Mathis nennt, liegt wohl an ihrem nach wie vor konsequent und stringent verfolgten Konzept: Musikalisch so «simplizistisch» wie nötig, aber dennoch mit so viel «Speuz» wie möglich, inhaltlich darf jedes Mitglied des Autorinnenkollektivs seine Vorlieben und Interessen ausleben und einbringen, ohne der Schere im Kopf allzu viel Bedeutung zuzumessen. «Wir stimmen nicht ab und diskutieren nicht aus – und das bewusst», erläutert Mathis die Strategie der so stark vom Do-it-yourself-Spirit der 80er beeinflussten Band: «Ideen kann man viele haben, entscheidend ist aber, was man draus macht!» Dahinter steckt das Bewusstsein, das den kulturellen Aufbruch und Geist jener Jahre prägte: «Nämlich, dass einem in dieser Welt nichts geschenkt wird, dass man sich seinen Platz erkämpfen muss – und dies am besten kreativ und lustvoll.»

Der Kollektivgedanke half

In jener Zeit, erinnern sich die Bandmitglieder, sei alles politisch gewesen. Auch, ja sogar: vor allem die Tatsache, dass man als Frauengruppe ohne Erfahrung und Vorwissen Musik machen wollte. Gerade weil diese Idee damals gleichzeitig so naheliegend und so unglaublich ungehörig schien, habe «der Kollektivgedanke», die Möglichkeit, «vieles mit vielen Leuten auszuprobieren», in der Startphase so sehr geholfen, erinnert sich Madörin. Erst später, im Laufe der 90er-Jahre, wo allenthalben das Credo «Qualität und Professionalität» sich durchsetzte, habe man sich die kritische Frage «Ist wirklich jeder Aktionismus nötig?» stellen müssen: «So hangelte man sich dann trotzdem irgendwie immer weiter, so von Projekt zu Projekt, von Auftritt zu Auftritt.»

Heute würden sich viele, gerade junge Menschen wieder von Neuem jene Fragen stellen, mit welchen Les Reines Prochaines damals auszogen, um der Enge der Schweiz den Kampf anzusagen. «Kultur scheint mir etwas sehr Zyklisches zu sein», meint Mathis: «Wenn unsere Ideen und Vorgehensweise mittlerweile aber etwas salonfähiger geworden sind, umso besser.»

Unglaubliche Radikalität

Doch worin liegt eigentlich die Kraft und diese unglaubliche Radikalität, welche Les Reines Prochaines bis heute ausstrahlen? «Es ist die Ehrlichkeit», glaubt Sus Zwick, und Mathis ergänzt: «Dies, und unser steinbeinhartes weder nach links noch nach rechts schauen.» Etwas, was sie ständig hörten, sei: «Das würde ich mich nie trauen», etwa wenn es darum gehe, im kurzen Rock auf der Bühne zu stehen und dabei laut zu sein. «Und ja, wir sind laut, und ja, wir werden älter und dicker, aber davon lassen wir uns nicht beirren. Wer sich dem Diktat der Normen unhinterfragt unterwirft, wird nie erleben, wie befreiend es ist, sie zu überschreiten!»

Dass sie sich mit dieser Art trotz aller Erfolge, trotz umjubelter Auftritte weltweit und einer treuen Fangemeinde auch viele Feinde gemacht haben, das wissen Les Reines Prochaines – aber es beschäftigt sie nicht übermäs-sig. «Wir haben das Glück, dass wir immer noch auf genug Interesse stos-sen und gleichzeitig nie allzu Mainstream waren, so dass wir die meisten Anfeindungen getrost ignorieren können», lacht Madörin. Das war nicht immer so: In den ersten Jahren hagelte es nach Fernsehauftritten schon mal wütende Leserbriefe.

Bereuen tun sie trotzdem nichts. «Klar gab es blöde und schlechte Gigs, wissen wir heute, dass wir nicht mehr an Hochzeiten oder Mega-Events wie dem deutschen CSD spielen werden», so Zwick. Aber richtig beschäftigt hat sie, so scheint es, eigentlich nur eine Negativerfahrung: Nämlich wie sehr Ex-Bandmitglied Pipilotti Rist nach ihrem Ausstieg, während der ExpoZeit, kurzzeitig zur schweizweiten Projektionsfläche und zum Hassobjekt geworden sei.

«Für uns hingegen ist es super, dass es nun, nach einer längeren, ruhigen Phase mit Film und Album nochmals einen solchen Schub gibt», freut sich Madörin. Und Muda Mathis verspricht angesichts von 25 Jahren Thronfolger-Dasein nochmals darüber nachzudenken, ob man sich nun nicht doch endlich in «Les Reines» umtaufen sollte – so, wie es diesen Königinnen eigentlich längst gebührt.

  • Kaserne, Basel. Samstag, 2. Februar, 20 Uhr: Plattentaufe

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 01.02.13

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