Am Filmfestival in Fribourg tritt auch die Basler Schauspielerin Marthe Keller auf. Vor 40 Jahren lockte sie Dustin Hoffman auf den Zahnarztstuhl eines sadistischen Nazis – und bescherte uns Albträume.
Ausdauer kann ganz schön schlauchen. «Nicht schon wieder», protestiert die rothaarige Studentin unter dem Langstreckenläufer (Dustin Hoffman), dessen Libido so zäh ist wie eine Schuhsohle – und schon hat sich der frivol-leichte Augenblick im schicksalsschweren Nazi-Thriller «Marathon Man» auch wieder verflüchtigt.
Die in Basel geborene Schauspielerin Marthe Keller aber, die an der diesjährigen Ausgabe des Internationalen Filmfestivals Freiburg (Fiff) teilnimmt, hinterliess mit ihrem ersten Hollywood-Auftritt 1976 nicht nur wegen ihrer Nacktszene einen bleibenden Eindruck.
Die Schweizerin passt perfekt in einen Film über ein dreckiges Bankgeheimnis, als Theaterschauspielerin und Tänzerin gibt Keller ihrer Figur eine Bodenhaftung, die der handelsüblich stöckelnden Femme fatale abgeht.
Marthe Keller wird von Dustin Hoffmans Leistungsvermögen in «Marathon Man» auf die Probe gestellt.
Und fatal ist die Handlung, durch die der Eishauch der Geschichte weht, tatsächlich: Mitte der Siebzigerjahre gehen in Manhattan bei einer Verfolgungsjagd zwei Autos in Flammen auf, beide Insassen kommen dabei ums Leben.
Das Verkehrsunglück setzt eine mörderische Kettenreaktion in Gang, denn in einem der Fahrzeuge sass der Bruder des «Weissen Engels» – ein weltweit gesuchter Nazi-Verbrecher names Szell (Laurence Olivier), der in Südamerika untergetaucht ist. Der ehemalige Zahnarzt und Schrecken der KZ ist an den historischen Massenmörder Josef Mengele angelehnt, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von «Marathon Man» noch immer unerkannt in Paraguay lebte.
Holocaust auf dem Zahnarztstuhl
Nach dem Tod seines Bruders muss Szell sein Versteck verlassen und nach New York reisen: Dort lagert in einer Bank Kriegsbeute in Form von Diamanten, mit denen der Verbrecher seinen Lebensunterhalt finanziert. Es ist eine gefährliche Expedition, aber Szell wird von höchster Stelle gedeckt: Der Ex-Nazi ist dem amerikanischen Geheimdienst als Informant von Nutzen.
Einer von Szells US-Kontaktmännern (Roy Scheider) ist der Bruder des Marathon-Mannes und jüdischen Geschichtsstudenten «Babe» Levy (Hoffman). Babe ahnt nichts von den Aktivitäten seines älteren Bruders und gerät unversehens zwischen die Fronten: Die Avancen der rothaarigen Studentin mit dem kantigen Akzent gehören dabei noch zu den angenehmeren Überraschungen.
Spätestens auf dem Zahnarztstuhl Szells ist fertig lustig: Nach ersten Testvorführungen mit Ohnmachts- und Übelkeitsanfällen wurde die infame Folterszene («Ist es sicher?») entschärft.
Verfolgungswahn, moralische Konflikte, ungekünstelter Sex – «Marathon Man» vereinigt, was das US-Kino der Siebzigerjahre so reizvoll machte, bevor die Blockbuster-Spassbrigade in Hollywood einfiel. Die Bestsellerverfilmung war nicht nur ein kommerzieller, sondern auch ein kritischer Erfolg: Sowohl Marthe Keller wie auch Dustin Hoffman wurden für einen Golden Globe nominiert.
Dabei hatte Dustin Hoffman die Rolle nur angenommen, um seinen Konkurrenten Al Pacino auszustechen, der sich für den Part interessierte (und für den Marthe Keller schwärmte).
Langer Atem
Laurence Olivier, die britische Schauspielerlegende, wäre um ein Haar ganz ausgefallen: Der Theatermime, der Hoffman zum Abschluss der Dreharbeiten Shakespeares gesammelte Werke schenkte, war an Krebs erkrankt. Das Studio erklärte sich erst zu seinem Engagement bereit, als der Londoner Versicherer Lloyds auf Druck des britischen Parlaments für ihn bürgte.
Olivier wollte mit dieser seiner vielleicht letzten Rolle möglichst viel Geld in die Haushaltskasse seiner Familie spülen. Dabei hat sich die Zähigkeit des «Marathon Man» wohl auf ihn übertragen: Er überlebte den poetisch gerechten Filmtod seiner Leinwandfigur um ganze 13 Jahre.
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Internationales Filmfestival Freiburg (Fiff), 11.–19. März 2016.
1945 in Basel geboren, absolvierte Marthe Keller als Teenager eine Tanzausbildung und gab 1962 ihr Debüt am Stadttheater Basel. Nach einem Skiunfall wechselte sie ins Schauspielfach und schaffte den Sprung zunächst nach Frankreich und 1976 mit «Marathon Man» auch nach Hollywood. Ab den 1980ern spielte Marthe Keller vor allem Theater, in den letzten Jahren hat sie auch einige Opern inszeniert, etwa an der Metropolitan Opera in New York. Auf der Leinwand war sie zuletzt in Barbet Schroeders «Amnesia» (2015) zu sehen.