Seit der Buchmarkt von Absolventen der Literaturinstitute mitbestimmt wird, hat sich bei den Kritikern eine Allergie gegen deren Bücher breitgemacht. Das ist ungerecht und ermüdend.
Seit einiger Zeit ist bei Literaturkritikern die Rede von Institutsprosa. Gemeint sind Bücher von jungen Autoren, die in Biel, Leipzig oder Hildesheim literarisches Schreiben studiert haben und deren Bücher man diese Ausbildung anmerkt. Aus ihren Texten in geübter Sprache sprechen wohlhabende Bürgerkinder, die in hippen Städten wohnen und in ihrem Leben nichts Nennenwertes erlebt haben, worüber sich berichten liesse.
Die Helden ihrer Geschichten sind keine Macher, sondern Zauderer, die in ihrer Selbstfindung herumdümpeln. Nett, aber belanglos. Keine Reflexionen, die Diskurse lostreten können, sondern eingeübte Beschreibung von Oberflächen.
Diese Bücher gibt es – und die Kritik daran ist berechtigt. Zumal sich fragen lässt, ob der Literaturbetrieb sich einen Gefallen tut, wenn er seinen Nachwuchs ausbildet. Florian Kessler hat dieses Jahr mit einem Beitrag in der «Zeit» eine Debatte zu diesem Thema losgetreten.
Doch wenn es einen Trend bei Büchern vieler Institutsabgänger gibt, dann gibt es auch einen Kritikertrend, ihn zu suchen. Erscheint ein Buch mit den besagten Eckdaten, ist mit der bissigen Rezension fest zu rechnen. Das ist zum Teil berechtigt, aber nicht immer gerecht und in seiner Vorhersehbarkeit ermüdend.
«Der gepimpte Bericht eines Bauchnabelpoplers»
Zwei Beispiele sind die Debütromane von Fabian Hischmann und Simone Lappert. Hischmanns «Am Ende schmeissen wir mit Gold» war dieses Jahr für den Leipziger Buchpreis nominiert und hat dadurch einige Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Unter dem vielsagenden Titel «Mäxchen allein zu Haus» schrieb Christopher Schmidt am 26. Februar in der «Süddeutschen Zeitung» (online nicht verfügbar):
«Fabian Hischmanns Debütroman ist der mit bekannten Versatzstücken gepimpte Erfahrungsbericht eines Bauchnabelpoplers, der hauptsächlich durch das Fernsehen sozialisiert wurde und ansonsten eben nur beinahe mal was erlebt hätte.»
Das haut rein. Die Beobachtungen von Christopher Schmidt, der eine halbe Generation älter ist als der 30-jährige Hischmann, sind scharf und treffen zu – doch sie gehen bis zur Einseitigkeit. Hischmann hat sicher nicht das Rad neu erfunden, doch das haben schon ganz andere Autoren mit ihren Frühwerken nicht.
Max Frisch zum Beispiel mit seiner zweiten grösseren Arbeit, «Antwort aus der Stille». Die Erzählung aus dem Jahr 1937 ist zwar ganz reizvoll, interessiert aber niemanden mehr. Sie handelt von einem jungen Mann, der sich bei einer waghalsigen Bergbesteigung eine bleibende Verletzung zuzieht, dafür aber rausfindet, wie es in seinem Leben weitergehen soll. Da ist mehr 19. Jahrhundert drin als der spätere, unverwechselbare Frisch. Ein Lehrstück, wenn man so will.
Gerade das Normale ist interessant
In Hischmann steckt höchstwahrscheinlich kein Frisch. Und auch wenn man seinem Buch einiges ankreiden kann: Gerade die Unaufgeregtheit macht es interessant. Dieser Max, wie der (Anti-)Held heisst, ist wirklich ein Mäxchen. Alles ist ganz normal in diesem Buch, ein normaler Typ, mit normalen Sorgen und normalen Mitteln.
Im weiteren Text passiert dann viel zu viel, doch bis dahin hat der Text eine Anlage, die manchen Endzwanziger abholt. Hingegen Christopher Schmidt: «Wenn der Haupteindruck, dass man sich bei dieser Lektüre vor allem unterfordert fühlt, damit zusammenhängt, dass der Autor in Hildesheim und Leipzig Literatur studiert hat, sollte man über diese Mainstream-Schmieden noch einmal nachdenken. Und wer jetzt als erster Generationenporträt ruft, gehört mit Tannenzapfen gesteinigt. [Wortspiel aus dem Kontext]»
Doch Hischmanns Generation sieht nun mal so aus. Sie leidet keine Not, hat zu viele Möglichkeiten und auf die meisten davon keinen Bock. Das ist lasch, unsexy und wird in Gottes Namen hoffentlich bald wieder anders. Doch im Augenblick ist es die Situation und es ist die Situation von vielen. Und deswegen ist die Frage wichtig, was mit diesen Rumhängern, Abwartern und Mittelmässig-Findern los ist.
Allergie statt Kritik
Das und etwas mehr tut Simone Lappert, die mit «Wurfschatten» im Juli ihr erstes Buch veröffentlicht hat. Die Heldin Ada ist ebenfalls eine Antiheldin. Sie kriegt im Leben nichts auf die Reihe, weil sie in ihren Ängsten gefangen ist. Wiederum in der «Süddeutschen Zeitung» dreht Dana Buchzik den Punkt um: Ada verhänge ihr Leben – «so bleibt für Sorgen genug Zeit».
Von diesem Standpunkt aus nervt das Buch. Doch Buchzik hat einfach nicht richtig gelesen. Lappert beschreibt nicht bloss eine Rumhängerin, sondern sucht danach, wie es zu Adas Unfähigkeit kommt. Sich von seinen Ängsten lossagen, weil man keinen Bock auf sie hat, reicht nun mal nicht aus. Und deswegen ist das Buch interessant.
Buchzik hingegen, die selber kreatives Schreiben studiert hat, fasst zusammen: «Man merkt ‹Wurfschatten› deutlich an, dass Simone Lappert Absolventin des Schweizerischen Literaturinstituts ist» – und zwar am gekonnten Handwerk – «nichtsdestotrotz bleibt auch ‹Wurfschatten› ein Bericht von der Front wohlhabender Kinder.»
Beide Kritiken sprechen richtige Punkte an. Doch es scheint, als wären sie aus einer Allergie heraus entstanden. Als würden nicht bloss die Mängel der Bücher besprochen, sondern die Autoren dafür abgestraft, dass sie sich für einen bestimmten Figurentyp interessieren und diesen aus einem bestimmten Winkel beschreiben. Und wehe, sie haben dann noch kreatives Schreiben studiert. Da bleibt wenig Platz, sich auf die Texte einzulassen.