Sie lieben sich, sie schlagen sich und sie gehen vor allem aufs Ganze: In der Produktion «Grosser Bruder» vollführen Sarah und David Speiser im Vorstadttheater Basel den ganz alltäglichen Veitstanz des Geschwisterlebens.
Sie stecken voller Energie, der Fundus der gemeinsamen Erinnerungen ist immens. Wenn das Publikum auf die Zuschauertribüne des Vorstadttheaters strömt, stehen Bruder und Schwester bereits da. Sie müssen sich aber regelrecht dazu zwingen still zu stehen, der Druck im Dampfkessel der Emotionen scheint so hoch zu sein, dass er zu bersten droht.
Bruder und Schwester – mit Sarah und David Speiser steht ein tatsächliches Geschwisterpaar auf der Bühne – treffen sich. Wieder einmal nach längerer Zeit vielleicht. Sie sind älter geworden: er trägt einen dunklen Anzug mit schwarzer Krawatte und eine Hornbrille, sie eine helle Seidenbluse, eine elegante Hose und Stöckelschuhe.
Mit dabei haben sie einen Container, der mit Erinnerungsstücken an alte Zeiten gefüllt ist – Stücke, die in Abfallsäcken verpackt offenbar zur Entsorgung bereitgestellt wurden: Eine Barbiepuppe, ein Plüsch-Affe, eine Mütze, eine Tonbandkassette mit Aufnahmen aus der Kleinkinderzeit und so weiter. Diese Objekte öffnen die Tür zum Kosmos der Erinnerung an vergangene Zeiten.
Full-Power-Theater
Die Geschwister Speiser knien sich voll rein in ihre Produktion, die den Titel «Grosser Bruder» trägt. Es ist ein Stück Bewegungstheater (oder auf Neudeutsch Physical Theatre), das Sarah Speiser als Abschlussarbeit für ihr Studium an der Folkwang Universität der Künste in Essen geschaffen hat und nun in einer überarbeiteten Form im Vorstadttheater (Regie: Matthias Grupp) zur Aufführung kommt.
Physical Theatre ist der richtige Begriff für das, was es zu erleben gibt: Die beiden stürzen sich kopfüber in den Rausch der Erinnerungen: in die wilden Spiele, wüsten Streitereien, den von Eifersüchteleien geprägten Kampf um Aufmerksamkeit, die Momente trauter Zweisamkeit. Liebe und Hass, Streit und Versöhnung, Nähe und Abschottung liegen stets sehr nahe beieinander, fliessen übergangslos ineinander über.
Zu erleben ist ein wahrer Veitstanz der Emotionen, eine brodelnde Mischung aus Tanz, Akrobatik und Schauspiel-Performance, die ohne Dialoge, fast ohne Worte auskommt. Es sind ausgesprochen expressive Einblicke in eine Welt, die da hingepowert werden, eine Welt, die einem, wenn man denn mit Geschwistern zusammengelebt hat oder noch immer lebt (das Stück wendet sich an «alle ab 8 Jahren»), eigene Erinnerungen wachruft.
Der ganz spezielle Kosmos des Familienlebens
Es sind Lebensstücke aus dem ganz speziellen Kosmos des Familienlebens oder genauer des Zusammenseins von Bruder und Schwester. Auf höchst virtuose und zugleich stimmige Art zeigen Speiser und Speiser wie das ist, wenn man als Geschwister, ohne selber die Entscheidung getroffen zu haben, durch die Familienbande aneinandergebunden ist, wie sehr sich dieses Band bis kurz vor dem Zerreissen dehnen lässt, bevor es die Verbundenen wieder eng zueinander führt.
Es sind zum Teil wunderbare Bilder, welche die beiden Protagonisten dafür gefunden haben – etwa wenn sie im umgekippten Container wie in einer Waschmaschine im Kreis durcheinandergewirbelt werden. Es sind humorvolle Bilder und Momente, die einen ein bisschen darüber staunen lassen, dass die beiden dies ohne ernsthafte Verletzungen überstehen.
Zu erleben ist eine knappe Stunde Full-Power-Theater von zwei Performern, die auf eine Weise zur Sache gehen, als gäbe es kein morgen mehr. Das Premierenpublikum bedankte sich zurecht mit viel Applaus.
–
«Grosser Bruder» von und mit Sarah und David Speiser im Vorstadttheater Basel. Weitere Vorstellungen bis 29. März