Der einflussreiche amerikanische Künstler wurde in seiner Wohnung in South Pasadena (Los Angeles) tot aufgefunden. Er soll laut seiner Galeristin Helen Winter an Depressionen gelitten haben.
«If orange is beautiful I just shit a masterpiece» stand in goldenen Buchstaben auf dem Bild, dessen Grundfarbe den Betrachter – wie könnte es anders sein – in intensivem Orange anschrie. Ob das Werk der US-Amerikaners Mike Kelley vor einem Jahr an der Art Basel am Stand der Galerie Jablonka verkauft worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Das Zeugs zum Meisterwerk hat es allemal – nicht nur wegen der aufregend primitiven Rechtfertigung seiner Farbwahl. Sondern vor allem wegen der traurigen Nachricht, dass der einflussreiche Post-Konzeptkünstler gestern, im Alter von 57 Jahren, tot in seinem Haus in Los Angeles aufgefunden worden ist. Offenbar ist Mike Kelley, einer der einflussreichsten US-Künstler der Gegenwart, freiwillig aus dem Leben geschieden.
Was hat ein Meisterwerk eigentlich mit Schönheit zu tun? Oder zielt der rotzige Spruch auf dem orangen Bild nicht eher auf den Mainstream-Geschmack eines Publikums, das in den letzten Jahrzehnten den Kunstmarkt überschwemmt hat, um sich ein Stückchen Nonkonformismus für die Wohnzimmerwand abzuholen? Was ein Kunstwerk heute noch sein und bewirken kann, war eine der zentralen Fragen von Mike Kelley, den viele weniger mit konzeptueller Malerei als mit raumgreifenden Installationen aus weichen Formen und knalligen Farben in Verbindung bringen: Seinen hängenden Garten aus farblich abgestimmten Knäueln aus zusammengepressten Plüschtieren durfte man in vielen Varianten, zuletzt auch an der Art Basel in Miami Beach, bewundern (2011 am Stand der New Yorker Shafrazi Gallery). Und wäre da nicht auch aufgrund der grellen Punk-Attitüde eine bissige Ironie mit an der Leine gehangen, die man ex post auch als bitteren Sarkasmus lesen könnte, man hätte Kelley als einen weiteren, der bunten Pop-meets-Punk-Poesie verpflichteten Zeitgenossen missverstehen können.
Kaputte Nähte
Sein Markenzeichen mögen Kuscheltiere gewesen sein. Doch sein Interesse galt nicht der weichen Oberfläche, sondern dem durch die kaputten Nähte unschön hervorquellenden Füllstoff, dem dunklen Kern der pudelweichen Knäuelkugel, die in ihrer grosskotzigen Übertreibung den American Way of Life ein monströses Gesicht geben. Kelley machte Perversionen im Niedlichen sichtbar, rührte an Tabus, bohrte im Verdrängten. In allen Medien zuhause, selbst kuratorisch, musikalisch, multimedial tätig, war er ein Dompteur im postmodernen Zirkus des Populären, was sich bei ihm in einem oft überdrehten, oft archaisch-tribalen Fetischismus artikulierte. Er kombinierte klassischen Kitsch und verkitschte die Klassik, kramte in den Müllhalden der Glückskultur, und ist dabei doch eine Antithese zu Jeff Koons: statt aalglattem Porno-Schick pflege er den Kunst gewordenen Nonkonformismus, der die Erwartungen des Publikums mitunter förmlich niedermähte.
1954 in Detroit geboren, studierte Kelley in Michigan und Valencia (Kalifornien) Kunst; seine Lehrer waren unter anderem John Baldessari und Douglas Huebler. Noch vor seinem Abschluss 1977 stand er mit dem heute für seine projizierten, sprechenden Eierköpfe bekannten Tony Oursler mit der Punk-Band «The Poetics» auf der Bühne, später kooperierte er mit der bekannten Band «Sonic Youth», für die er ein bekanntes Plattencover («Dirty») entwarf. Der rebellischen Underground-Szene entsprungen, sah er sich noch später, als er bereits gefeiert und von vielen Epigonen künstlerisch einverleibt worden war, als Aussenseiter am Rande der Gesellschaft. Kommerziell höchst erfolgreich, wurde er von mehreren grossen Galerien weltweit vertreten und in wichtigen Museen mit Einzelausstellungen geehrt.
Derzeit sei er daran gewesen, eine Ausstellung fürs Stedelijk Museum in Amsterdam vorzubereiten. Dazu wird es nicht mehr kommen. Offenbar habe Mike Kelley seit längerem an Depressionen gelitten. «Destroy All Monsters» hiess Kelleys erste Band, die bis heute existiert. Es hat den Anschein, als hätten die Monster gesiegt.