Der Andrang in der Kaserne war gross, der Rossstall ausverkauft: Die 30-jährige Soulsängerin Nneka zauberte zwar eindrucksvolle Energie- und Emotionsschübe auf die Bühne, zelebrierte dabei aber auf Dauer zu stark, wie schwer ihr die Seele ist.
Auf dem Cover ihrer neuen CD blickt sie uns mit lehmverschmiertem Gesicht entgegen: «Soul Is Heavy» heißt die neue Scheibe von Nneka Egbuna, und das kann heissen «die Seele ist schwer», oder vielleicht auch: Ihr Soul ist nicht gerade leichte Kost. Erdig und zornig klingt die Nigerianerin, die wesentlich dazu beigetragen hat, dass auch im deutschsprachigen Raum eine Black Consciousness Fuss gefasst hat. Mit 19 kam sie nach Hamburg um Anthropologie zu studieren und stieg parallel ins Musikgeschäft ein. 2005 erschien ihr Debüt mit kompromisslosen Texten und vorwärtspreschendem Sound, die «Sunday Times» verglich sie nicht zuletzt aufgrund ihrer frechen, expressiv vibrierenden Stimme bereits mit Lauryn Hill.
Sie begleitete drei Jahre später ihren grossen Fan Lenny Kravitz auf Tour. Gab sich auf dem Nachfolger «No Longer At Ease» noch etwas unverschämter gegenüber den Ölkonzernen und korrupten Staatsmännern, ganz in der wütenden Tradition ihres Landsmannes Fela Kuti. Nun ist die 30-Jährige wieder auf der Bühne, um ihre neuen Songs vorzustellen, die zumeist in der alten Heimat entstanden. Und auch wenn sich der chaotische Alltag der Megapolis Lagos in die Lyrics hineingefressen hat, ist musikalisch der Zorn auf der CD oft in zarte Verletzlichkeit gewandelt: Mit Streichern und Pianolinien zu den HipHop- und Dubtexturen, mit fast zartem Gesang zwischen rockigen Ausbrüchen.
Unter ihren rebellischen Möglichkeiten
Wie funktionierte das live? Der volle Rossstall in der Kaserne zeigt, welche Popularität Nneka erlangt hat. Von Beginn an hat sie das Publikum im Griff. Dabei ist die Show der zierlichen Frau in der Jeansjacke anfänglich alles andere als spektakulär: Mit gemächlichen Reggaerhythmen und Gitarrenballaden zum gepflegten Hammondorgel-Sound leitet sie ein, zeigt jedoch schon ihre unverwechselbaren Vokalqualitäten: Da ist diese helle Stimme, die messerscharf durch die dicke Saalluft schneidet, dieses Deklamieren, das oft nur auf einem Ton passiert, gegen Ende auffordernd nach oben kippt und schmerzliche Intensität fast im Predigerton verbreitet. Durch «trial and temptation» sei sie seit ihrem letzten Auftritt in Basel gegangen, Hass habe sie erfahren und dunkle Energie, die sie aber in Licht gewandelt habe. Wie in das harmlose Popliedchen «Shining Star», mit dem sie weit unter ihren einst so rebellischen Möglichkeiten bleibt.
Anklage gegen die Mächtigen
Begleitet von einem soliden, aber unauffälligen Quartett, wird Nneka mit einem Afrobeat erstmals richtig packend, für den sie selbst eine Trommeleinlage liefert. Nahtlos daran an schliesst sich ihre wütende Hymne auf die «V.I.P.», die – frei nach Landsmann Fela Kuti – «Vagabonds In Power»: eine Anklage gegen all jene Mächtigen, die das Volk für dumm verkaufen. Überraschend und originell wird das Stück in Rumbabeats gekleidet. Jetzt hat sie an Fahrt gewonnen, schiebt gleich den ausdrucksstärksten Song des Abends nach, den mit schweren Bläserfanfaren gestützen Soulreggae «My Home», eine verzweifelte Suche nach der Heimat bei und in sich selbst. Überzeugend wirkt auf der Bühne auch das gerappte Titelstück des neuen Albums, das sich im Refrain in krachigen Rock wandelt. Von Biafra bis ins heutige Lagos geht hier die Reise durch ihre Heimat Nigeria, sie zitiert den Revolutionshelden Isaac Boro und den Schriftsteller Ken Saro-Wiwa und zeichnet ein bitteres Bild vom Heute zwischen Lügen der Politiker und Hunger des Volkes.
Die Stimme zittert wie Espenlaub
Doch die treibende Dramaturgie der Show hat auch gegen Ende noch ihre Brüche, als sie sich in einem verletzlichen Liebeslied wieder ganz zurücknimmt, in höchste Sopranlagen steigt und ihre Stimme zittert wie Espenlaub. Leider verbraucht sich ihre Einheitsmimik und -gestik irgendwann: Die geschlossenen Augen, das schmerzverzerrte Gesicht, vor das sie immer wieder ihre Hände schlägt, das In-die Knie-Gehen – all das mag ehrlich gemeint sein, wirkt aber bald eher wie ein übertriebenes Passionsspiel. Zumal das Finale damit sehr zerdehnt gestaltet wird, zu einem epischen, uninspirierten Keyboardintro, nach dem sie viel zu spät einschwenkt in ihren hämmernden Hit «Heartbeat». Bei allen eindrucksvollen Energie- und Emotionsschüben, die sie zweifellos aufbot: Dass ihr die Seele schwer ist, hat Nneka an diesem Abend ein wenig zu sehr zelebriert.