Brummen im Kopf und aufgefrischte schöne Erinnerungen: Ein Abend mit den amerikanischen Indierock-Pionieren Dinosaur Jr. in der Kaserne Basel.
Laut sollte es werden, das stand schon an der Eingangstüre zur Kaserne: 100 Dezibel, und je länger das Konzert dauern sollte, desto dröhnender – Achtung! – der anhaltende Brummton im Kopf. 100 Dezibel! Das ist gegenüber dem Standard von 93 eine seltene Ausnahme für das lärmempfindliche Umfeld der Kaserne. Aber für die, die da kommen, ist auch das normalerweise zu wenig: Dinosaur Jr.
Verstärkertürme als Bodyguards
Irgendjemand hat ihnen mal den Ruf der lautesten Band der Welt angedichtet, den sie mit anderen Formationen teilen, und zumindest die Bühnenausstattung sieht nicht nach einem Dementi aus: Hinter Bassist Lou Barlow und Sänger/Gitarrist Joseph Mascis drängen sich wie Bodyguards die Verstärkertürme und als Mascis seine ersten schiefen Akkorde abfeuert, ist man sofort drin in diesem Sog.
Eine Aura der souveränen Runtergerocktheit umgibt dieses Trio, zwischen deren kolossalen Schallwänden sich Schlagzeuger Patrick Murphy mit gehörigem Krafteinsatz seinen Platz ertrommeln muss. Aber was diese Band legendär gemacht und ihnen gleichzeitig die Chance auf anerkannte Grösse ausserhalb der Nische versperrt hat, ist noch immer da: der Unwille zur Lieblichkeit.
Am Nullpunkt einer neuen Rockmusik
Dazu muss man wissen: Dinosaur Jr. standen zusammen mit einer Handvoll anderer Gleichgesinnter in den späten 80er-Jahren am Nullpunkt einer neuen Rockmusik, die sich aus dem Punk nährte, ohne auf das Könnertum des frühen Hardrock von Black Sabbath oder Led Zeppelin verzichten zu wollen. Grunge hiess das später, als die zweite Generation ans Ruder kam, und sinkt man im Rossstall der Kaserne ein ins scheinbar unterbruchslose Gefräse von Mascis‘ Gitarre und den Prügeleien von Barlow am Bass, erinnert man sich daran, dass auch der erfolgreiche Stoner Rock von Queens Of The Stone Age irgendwo seine Quellen haben musste.
Dinosaur Jr. hatten über den Pionierstatus im amerikanischen Indierock nie den Nimbus von Zeitgenossen wie Sonic Youth erreicht, was an den häufigen Besetzungswechseln nach den ersten Anfangserfolgen gelegen haben mag oder einem achtjährigen Stillstand.
Als die Band ab 2007 in der Originalbesetzung wieder Platten zu veröffentlichen begann, wovon die vierte demnächst erscheinen soll, freute man sich einerseits über den nostalgisch verzierten Wiedererkennungswert – andererseits entpuppte sich vor allem das Album «Farm» (2009) als eine gelungene Weiterentwicklung. Die unverzichtbare Dröhnwut sprengte da und dort ihr Format, nahm melodischen Wagemut auf sich, der Mascis‘ Gesang ein paar Ausreisser über sein minimalistisches Raunen hinaus abverlangte.
Dinosaur Jr. war es somit nicht genug, nur das stilbildende Frühwerk zu verwalten, und das stattliche Publikum im gut gefüllten Rossstall war Indiz dafür, dass hier nicht nur alten Erinnerungen gedacht werden sollte. Allerdings gelang der Transfer der jüngeren filigraneren Töne nur halbwegs. Wie schwere schwarze Wolken wälzte das Trio den dichten Riffrock vor sich her, der alte Klassiker wie «Freak Scene» ebenso wie «Goin‘ Down» vom anstehenden neuen Album verschluckte.
Keine Hürden für Exzesse
Kommt hinzu, dass Mascis seinen Hang zu ausufernd verrohten Gitarrensoli diesmal besonders freigiebig von der Leine liess. Auf der anderen Seite soll man sich daran nicht stossen – der Überwältigungsrock dieser alten Saurier nimmt einen dann am vollkommensten ein, wenn den Exzessen möglichst wenig Hürden gesetzt sind.
Daraus herausgehoben haben sich ihre Version von «Just Like Heaven» von The Cure, das ihnen fast seit Anbeginn als grösster Hit an den Fersen klebt – und «Feel The Pain» mit seinen frivolen Gitarrensprüngen. Der Song war derjenige aus ihrem eigenen Material, der ihnen am ehesten den Durchbruch brachte, dank reichlich Präsenz auf MTV2. 1994 war das, MTV spielte tatsächlich hauptsächlich Musik und das gleich auf zwei Kanälen. Lang ists her.