CocoRosie schaffen an ihrem Konzert in der Basler Kaserne einen Sound, der dank eng aneinander gerückter Gegensätze hohe Reibungswärme erzeugt. Eine aufwühlende, sinnlich opulente Pop-Oper.
Vorhang auf für eine Soundwelt der Gegensätze. In der Mitte der Bühne steht eine Harfe, am Rand kitzeln zwei Musiker verfremdete Kratzbeats und verschlungene Pfeifgeräusche aus den Synthesizern, in ihrem Rücken stottert ein Beatboxer, als die beiden Casady-Schwestern die Bühne betreten.
Die eine, Sierra, ist in einen dicken, dunklen Glitzermantel eingehüllt, zupft die Harfe und singt mit ihrer durch den Operngesang geschulten Stimme elegische Klagelaute, die andere, Bianca, schnattert einen nasal quäkenden Sprechgesang und trägt ein Geweih auf dem Kopf, bedeckt von einem schwarzen, halbtransparenten Schleier. Willkommen im Spielzimmer von CocoRosie.
Eine Coming-of-Age-Geschichte mit epischen Zügen
CocoRosie erfüllten vor knapp zehn Jahren, als der Freak Folk als Klammer um eine junge Folk-Szene mit einem ausgeprägten Tastsinn in andere Musikkulturen und -genres geschlossen wurde, die Rolle der ästhetisch schrägen, politisch jedoch ausserordentlich sensibilisierten Schwestern. Schon ihre Coming-of-Age-Geschichte trägt epische Züge: Als Kinder einer Künstlerin und eines Wanderpredigers, zogen sie im Kindesalter von einem amerikanischen Bundesstaat zum nächsten, verloren sich jedoch aus den Augen, als die Eltern sich trennten.
Erst zehn Jahre später fanden sie, als junge Frauen, wieder zueinander: in Paris. Dort sassen sie in Montmartre zusammen in einer Badewanne, erzählten sich selbst ausgedachte Fabelgeschichten, collagierten sie mit Soundfragmenten aus Spielzeugen, Tierlauten und den Geräuschen alltäglicher Gebrauchsgegenstände. Daraus wurde ihr erstes Album «La Maison de mon rêve».
Eine Hörprobe vom ersten Album:
Zehn Jahre später ist ihr fünftes Album «Tales Of A Grass Widow» frisch erschienen, und manche ihrer bereits früh angeeigneten Attribute sind erhalten geblieben: die Lust am kombinatorisch freien Spiel, die eskapistisch-esoterische Erscheinungsform, die ungeerdet wirkende Bewegungsfreiheit zwischen Performance und Soundcollage, zwischen Pop-Oper und audiovisueller Kunst.
Auch dazu eine Hörprobe:
Darüber hinaus könnte man, wie ihr Konzert in der ausverkauften Kaserne-Reithalle einnehmend demonstrierte, dem Schwesternduo jedoch einen augenfälligen performativen Reifeprozess unterschieben, wenn der Begriff ihren noch immer exzessiven Spieltrieb nicht derart fälschlich kastrieren würde. Herrlich, wie CocoRosie schon früh in «End Of Time» die Gegensätze ihres Sounds knisternd nahe verrücken, wie der hervorragende Beatboxer Tez seine Kaskaden aus donnernden und knackenden Beats unter den zart gedehnten Hauchgesang von Sierra Casady schaufelt, während aus den Synthesizern die Begleitgeräusche nur sparsam hineinschweben.
Aufwühlend, wie die Harfe mit einem Klang nahe am Kitsch ein Stück wie «Fairy Paradise» eintröpfelt, das kurz, aber heftig von grobem Lärm zerrissen wird. Ergreifend, wie in «Harmless Monster» schwere Klavierakkorde vom schwarzen Flügel den karg arrangierten Song in düstere Stimmungen treiben und die Casady-Schwestern mit ihren so gegensätzlichen Stimmen sakrale Schauer erzeugen. Und mit einer fast meditativen Spannungskraft breitet sich «Far Away» aus, der Downbeat schwappt tief und bedächtig, die Stimmen delierieren im Loop, und ein gummiger Bass zieht seine unermüdlichen, groovestarken Kurven.
Dazwischen offerieren die expressiven Tanzauftritte von Nomi Ruiz (Hercules and Love Affair), die das Vorprogramm bestritten hat, gehörige Adrenalinkicks, und überwältigt Beatboxer Tez mit einer brillianten Solonummer. Sinnlich eine opulente Feier, dramaturgisch ein trickreich gestaltetes Programm, aus dem die mehrjährige Bühnenerfahrung spricht. Nach zwei Stunden tappt man verzaubert hinaus in die Nacht.