Vom Bussgang zum Wellnessmarsch

«Pilgern boomt», verkündet das Museum der Kulturen Basel und geht den europäischen Pilgermärschen kulturhistorisch nach. Man lernt viel über die wirtschaftliche Bedeutung des Pilgerns, doch kaum etwas über die Pilger selbst.

Ein Blick ins Obergeschoss der Museums der Kulturen, in die Ausstellung «Pilgern». (Bild: Derek Li Wan Po)

«Pilgern boomt», verkündet das Museum der Kulturen Basel und geht den europäischen Pilgermärschen kulturhistorisch nach. Man lernt viel über die wirtschaftliche Bedeutung des Pilgerns, doch kaum etwas über die Pilger selbst.

Ganz zuoberst im Museum für Kulturen ist die Ausstellung angelegt, die am Donnerstag eröffnet wird, und wer den Gang durch drei Stockwerke bis unters Dach hinter sich bringt, hat bereits den Einstieg ins Thema hinter sich: Pilgern ist auch im 21. Jahrhundert Fussarbeit.

Dass «Pilgern boomt», wie es der Ausstellungstitel verkündet, wird bereits nach den ersten Schritten deutlich. In einem Glaskasten sind die Werke jüngeren Datums versammelt, die dieser jahrhundertealten christlichen Tradition neue Popularisierungsschübe verliehen haben: Hape Kerkelings Jakobswegnotizen «Ich bin dann mal weg», das laut Kurator Dominik Wunderlin die Pilgerzahlen Deutschlands spürbar in die Höhe jagte, «Auf dem Jakobsweg» von Paulo Coelho, dazu Reiseführer und spirituelle Einführungsliteratur.

Bemerkenswert unverschleiert integriert die Ausstellung die Wiederentdeckung des Pilgerns in der Gegenwart, ohne die verschobenen Ausgangsmotive unerwähnt zu lassen: war die Pilgerreise zu Fuss früher als Entbehrung zu begreifen, die verstärkt durch Bussgürtel oder Wollhemd ganz besonders auch physisch verstanden wurde, hat sich in seiner Renaissance der Marsch auf dem Jakobsweg zu einem geistigen Wellnessgang gewandelt. Als temporärer Austritt aus der materialistischen Gesellschaft, als Therapie gegen Lebenskrisen und Überdrusserscheinungen.

Nerviges Merchandise

«Pilgern boomt» verfolgt allerdings einen anderen Anspruch, nämlich die Ausleuchtung der kulturhistorischen Hintergründe. Entlang den fünf Etappen des Pilgerprozesses – der Vorbereitung, dem Aufbruch, dem Gang, der Ankunft und der Rückkehr – versucht die Ausstellung sich mittels illustrierenden Devotionalien dem Phänomen anzunähern. Auffallend dabei ist die grosse Menge an Merchandise, das seit dem späten Mittelalter Pilgerziele umschwärmt hat und in der Neuzeit Orte wie Lourdes, Santiago de Compostela oder Teile der Jerusalemer Altstadt zu Konsumtempeln des Christenkitschs verwandelte. Einige der Exponate finden sich auch in «Pilgern boomt»: Wachsvotive, Pilgerurkunden aus dem Heiligen Land, Kerzen, Karten, Poster.

Das ist manchmal skurril anzuschauen, manchmal leidlich repetitiv. Aufschlussreich sind die Fahrpläne und Reiseprospekte, die Marschkleider und Souvenirbestände aus früheren Jahrhunderten, die belegen, dass traditionelle Pilgerwege bereits früh wirtschaftliche Entwicklungen beförderten. So gehörten Lourdes oder das innerschweizerische Einsiedeln zu den ersten Orten mit Bahnanschluss in den jeweiligen Landesnetzen. Und erschwerte die politische Situation die sichere Reise, wie etwa zu bestimmten Zeiten im osmanischen Jerusalem, wurde Ersatz geschaffen: Im 15. und 16. Jahrhundert entstand, in der Ausstellung detailliert bebildert, im Piemont der Sacro Monte di Varallo, eine Anlage mit Dutzenden von Sakralbauten in Erinnerung an die christlichen Pilgerorte im Heiligen Land. Mittlerweile ist der «Heilige Berg» selbst Unesco-Weltkulturerbe geworden.

Heiligenbilder und Souvenirnippes

Wenig zu sagen hat «Pilgern boomt» indes über die entscheidenden Momente, die Pilgermärsche von Wanderläufen unterscheiden: über die innere Einkehr, über das religiöse Erlebnis, die Ankunft und die geistig-seelischen Effekte. Gerade multimedial hätte sich da einiges angeboten, mittels Bekenntnissen und Erinnerungen als Tondokumente, mittels Archivfilmen von Pilgerorten, erzählten Reiseberichten und breiten Fotozeugnissen. So verliert die Ausstellung vor lauter Heiligenbilder und Souvenirnippes manchmal sein eigenes Objekt, den Pilger, etwas aus dem Blickfeld.

Völlig neben die Spur gerät sie, wenn sie ohne klaren Grund den Gegenstand austauscht und sich dem Feld der säkularen Religiosität annähert: Porzellangeschirr mit Portraits von John F. Kennedy oder Charles de Gaulle oder Bildmotive zur Massenveranstaltung «König Fussball», wie sie gegen Ende der Schau präsentiert werden, verraten viel über zivile Anbetung und religiöse Restbestände. Zum Prozess des Pilgerns, zum Akt von Abmarsch, Besinnung und Ankunft haben diese Ausstellungsgegenstände kaum was zu sagen.

  • «Pilgern boomt». Museum der Kulturen Basel, Münsterplatz 20. 14. September 2012 bis 3. März 2013. www.mkb.ch

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