Vom Naturistenspass zum Porno Normalo

Der Filmblock «Nackte Haut im Schweizer Film» an den 48. Solothurner Filmtagen zeigte, wie innert zwanzig Jahren sich auch in der Schweiz der verkehrsfreie «Füdlifilm» zum Hardcore-Porno entwickelte.

Szene aus «Hasenhimmel» von Oliver Rhis. (Bild: zVg)

Der Filmblock «Nackte Haut im Schweizer Film» an den 48. Solothurner Filmtagen zeigte, wie innert zwanzig Jahren sich auch in der Schweiz der verkehrsfreie «Füdlifilm» zum Hardcore-Porno entwickelte.

Haut und Erotik im Schweizer Film? 1958 sah das so aus: zwei junge, sittsame Damen fliegen auf die französische Mittelmeerinsel Ile die Levant. Dort wurde 1931 Heliopolis gegründet, das erste Nudistendorf Europas, und von dort schreiben die beiden Frauen der verheirateten und darum zuhause gebliebenen Freundin Postkarten, während sie gerade das Bad putzt.

Mittelmeerstrand, FKK, junge ungebundene Menschen – aus dieser Ausgangskonstellation lässt sich aus heutiger Sicht rasch ein schlüpfriger Plot entwickeln. «Naturisten-Ferien», ein farbiger Stummfilm des Thuners Werner Kunz, bleibt allerdings stramm züchtig und kommt über ein paar nackte Busen, die unter der Mittelmeersonne bräunen, nicht hinaus. In der bleiern-bürgerlichen Schweiz der Fünfziger Jahre gab es noch keine Erwachsenenkinos, und so konzipierte Kunz seine «Füdlifilme» als Dokumentationen über den Nudismus – ein Trick, der es ihm erlaubte, ein grosses Publikum anzusprechen: Die Premiere von «Naturisten-Ferien» lief im Zürcher Kongresshaus vor 1500 Leuten, später zeigte er den Film unter anderem auch im Basler Stadtcasino, und in Lausanne lief er unglaubliche 78 Wochen ohne Unterbruch.

Werner Kunz war der erste, der in der Schweiz nackte Haut zum Filmthema machte, nicht nur an südländischen Stränden, sondern auch im Schnee der Schweizer Alpen. Auch in «Naturisten im Schnee», der Untertitel «Ein Sportsonntag in den Bergen» ist deutlich genug, ist Sex nicht mal am Rand ein Thema. Vier junge Frauen werfen sich Schneebälle zu und fahren Schlitten. Nur eben nackt. Dass der «Sportsonntag» dennoch Zensoren auf den Plan rief, hat mit der Umgebung zu tun: Nudisten im Kandertal, in einer Schweizer Postkartenidylle? Abgelehnt.

Moralgeschichte

Der Filmblock «Nackte Haut im Schweizer Film», der von Ausschnitten aus Kunz‘ Blütteleien eröffnet wird, beinhaltet also nicht nur nationale Film- sondern auch Moralgeschichte, wie Moderator Matthias Uhlmann ausführt. Uhlmann, Filmwissenschaftler an der Universität Zürich, Redaktor des Filmjahrbuchs Cinema und Dissertant zur Geschichte des Schweizer Nudistenfilms, war allerdings nicht primär an der Empörungshistorie interessiert, sondern an der Wendung vom Nackt- zum Sexfilm.

Nach einer ersten Liberalisierungswelle entstanden – auch mit Schweizer Beteiligung – die ersten Softpornos. Das Filmbeispiel «Ich – ein Groupie» zeigte nicht nur nackte Haut und verdeckten Sex, sondern griff den Zeitgeist der Libertinage auf: es ging um Drogen, Rockmusik, Bewusstseinserweiterung und Roadtrips. «Ich – ein Groupie» stammt von Erwin C. Dietrich, der in Zürich nicht nur als Produzent, sondern auch als Verleiher und Kinobesitzer in Erscheinung trat und – wie Kunz zehn Jahre zuvor – den Sexfilm in der Schweiz seiner Zeit in kontrollierte. Da war der Sexfilm bereits in sein Milieu der Erwachsenenkinos abgewandert – und bliebt dort, als die letzte Verschärfung mit dem Hardcore-Porno im Verlauf der Siebziger Jahre kam.

Auch in diesem Genre hatte Zürich seinen Patron, Edi Stöckli, Produzent und Verleiher und am Podium in Solothurn anwesend war. Die von Stöckli produzierten Pornos – wie der skurrile «Bangkok-Porno», von dem ein Ausschnitt gezeigt wurde – boten explizite Szenen, die das «uneingelöste Versprechen der Softsexfilme» (Stöckli) einlösen sollten, führten den gezeigten Sex mittels Klamauk und grotesken Dialogen jedoch aus dem Schlafzimmer hinaus rein ins Absurde.

Zensurgrenzen

Damit seien die grundsätzlichen Grenzen des Pornos erreicht, resümierten Stöckli wie Uhlmann einhellig: alles ist gezeigt. Dazu hätte man sich an der Diskussion, an der auch die Baslerin Sandra Lichtenstern des Künstlerduos Glory Hazel, das Pornofilme aus den Siebzigern rezykliert und musikalisch neu unterlegt, beteiligt war, ein paar vertiefte Angaben erwünscht. Über die Entwicklung der Zensurgrenzen beispielsweise, oder über die gesellschaftliche und mediale Resonanz des Schweizer Sexfilms.

Uhlmann ging es jedoch um etwas anderes, und Stöckli sekundierte ihn eloquent und einer Vielzahl an Anekdoten: Der Sexfilm erlebte in den Achtziger Jahren seinen Eingang in die Pop- und Massenkultur, durch das Internet seine Demokratisierung für die Nutzer, durch Werbung und Design schliesslich eine kommerzielle Verwertung ausserhalb der Schmuddelecke. Porno wurde Mainstream und hat seinen Emanzipationskampf hinter sich, «und vielleicht sollte man ihn wieder in der Ecke des reinen, privaten Konsums im Halbdunkel vor dem Fernseher bringen», sagte Lichtenstern und somit von der Deutungsüberfrachtung befreien.

Porno Normalo also, gedreht und bewertet nach ästhetischen und nicht nur moralischen Kriterien. Wie das gehen könnte, zeigte am Ende des Blocks der Zürcher Oliver Rihs mit «Hasenhimmel», ein zwanzigminütiger Versuch des «philosophischen Pornos»: Unverdeckte Sexszenen, visuell ambitioniert aufbereitet, bestückt mit philosophischen Dialogen während der Rammelei.

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