Vom Reiz des seelenlosen Klangs

An der Schola Cantorum Basiliensis wird nicht nur musiziert, sondern auch geforscht – zum Beispiel über die Viola da Gamba in der Renaissance. Hier wurde eine neuartige Bauweise erprobt, die faszinierende Klangergebnisse verspricht. Wir sprachen mit dem Musiker Thilo Hirsch über diese neue alte Gambe.

Thilo Hirsch mit seiner Gambe. (Bild: zVg)

An der Schola Cantorum Basiliensis wird nicht nur musiziert, sondern auch geforscht – zum Beispiel über die Viola da Gamba in der Renaissance. Hier wurde eine neuartige Bauweise erprobt, die faszinierende Klangergebnisse verspricht. Wir sprachen mit dem Musiker Thilo Hirsch über diese neue alte Gambe.

Jeder, der eine Geige zu Hause hat, weiss um ihren innersten Kern: den Stimmstock, auch «Seele» genannt. Die Setzung dieses kleinen Holzstabes, der innen zwischen Decke und Boden klemmt, bestimmt den Charakter des Instruments; minimale Veränderungen der Positionierung können den Klang stark zum Vor- oder Nachteil verändern.

Lange Zeit dachte man, dass jedes Streichinstrument eine solche Seele haben müsse. Es ist zwar bekannt, dass in Mittelalter und Renaissance auch Instrumente ohne Stimmstock existierten, doch solche Rekonstruktionen hielten heutigen Klangvorstellungen nicht stand. Nun hat sich ein Basler Forschungsprojekt intensiv mit der stimmstocklosen Bauweise beschäftigt und mit neuartigen Methoden eine Viola da Gamba aus der Renaissancezeit rekonstruiert. Thilo Hirsch, Co-Projektleiter und Musiker, erzählt über diese neue alte Gambe, die am Freitag Abend im Konzert erstmals öffentlich zu hören sein wird.

Thilo Hirsch, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine neuartige Renaissancegambe zu rekonstruieren?

Bisher haben wir auf Kopien von Instrumenten gespielt, über die man nur wenig weiss. Viele Elemente heutiger Nachbauten basieren auf Spekulationen.

Gibt es keine Originale aus der Renaissance, die man kopieren kann?

Doch, die gibt es. Verschiedene Museen besitzen Instrumente aus der Zeit um 1500. Aber über die Jahrhunderte hinweg haben sie viele Umbauten erfahren. Gerade die guten Instrumente wollte man weiter benutzen und hat sie den Anforderungen der jeweiligen Zeit angepasst. Viele Gamben wurden beispielsweise in der Barockzeit zu Violoncelli umgebaut; diese wiederum später den Klangidealen der Romantik angepasst. Dadurch ist uns oft der Blick zurück versperrt.

Was unterscheidet Ihr Forschungsprojekt von bisherigen Unternehmungen dieser Art?

Wir haben nicht nur systematisch Abbildungen von Instrumenten dieser Zeit untersucht, sondern auch alle schriftlichen Beschreibungen ausgewertet und die noch erhaltenen Instrumente dieser Zeit in den Museen neu ausgemessen. Alle Informationen wurden in einer Datenbank gespeichert und ausgewertet. Besondere Aufmerksamkeit erhielt dabei das Fehlen des Stimmstocks.

«Viele Töne hatten einen ‹Wolf›, das heisst, sie sprachen nicht richtig an.»

Diese frühen Instrumente hatten also tatsächlich keine «Seelen»?

In der Theorie weiss man eigentlich schon lange, dass diese Instrumente ohne Stimmstock und Bassbalken auskamen. Doch in der Praxis erbrachte diese Bauweise keinen guten Klang, viele Töne hatten einen «Wolf», das heisst, sie sprachen nicht richtig an. Also wurden weiterhin Instrumente gebaut, die zwar äusserlich wie Renaissancegamben aussehen, aber innen wie Barockinstrumente konstruiert sind – sie funktionierten damit einfach besser. Dabei wird der Stimmstock erst um 1600 schriftlich erwähnt – zum ersten Mal übrigens bei William Shakespeare in «Romeo und Julia». Eine Figur dort heisst James Soundpost, Jakob Stimmstock.

Was ist an der nun neu gebauten Renaissancegambe anders?

Wir ahnten, dass die Funktionen, die heute Stimmstock und Bassbalken übernehmen, in der früheren Bauweise anders kompensiert wurden. Deshalb haben wir bei den Bildern besonders die Stärke der Holzdecken untersucht und festgestellt, dass das Holz an verschiedenen Stellen deutlich dicker war als an anderen Stellen. Die akustischen Auswirkungen einer solchen Bauweise haben wir zuvor am Institut für Wiener Klangstil anhand eines 3D-Modells simuliert. Anschliessend haben drei Gambenbauer ein identisches Instrument nach unserem Modell gebaut.

Weshalb haben Sie diese neue Gambe gleich drei Mal bauen lassen?

Um auch den individuellen Einfluss der Instrumentenbauer auf das Resultat feststellen zu können. Instrumentenbau ist eine kreative Tätigkeit; wir haben nun also drei Interpretationen der Informationen aus unserem Forschungsprojekt vorliegen.

Was war das für ein Gefühl, als Sie die neue alte Gambe zum ersten Mal spielen konnten?

Das ist herrlich, es ist wie Weihnachten und Geburtstag zusammen.

«Diese Renaissance-Bassgambe hat einen hellen, aber sehr intensiven Klang.»

Hat Sie die Gambe überrascht?

Ja, sie klingt grossartig. Und es ist das erste stimmstocklose Instrument, das ich kenne, das wirklich ausgezeichnet funktioniert! Diese Renaissance-Bassgambe hat einen hellen, aber sehr intensiven Klang, der besonders in der Höhe eine grosse Freiheit besitzt. Ach, man muss es einfach hören. Das ist wie mit Gerüchen, die lassen sich ja auch so schlecht beschreiben.

Kommen diese Instrumente in unseren modernen Konzertsälen überhaupt zum Tragen?

Bei den bisherigen Proben war ich selbst erstaunt über die Intensität und die Lautstärke dieser Instrumente. Das Aha-Erlebnis kommt, wenn man genau das Repertoire spielt, das zu diesen Instrumenten passt. In unserem Konzert spielen wir Werke aus Italien zwischen 1520 und 1560, von Adriano Willaert, Silvestro Ganassi und anderen. Diese Musik klingt jetzt viel leichter, stimmiger, als mit Instrumenten aus späteren Jahrhunderten.

Wie deutlich unterscheidet sich der Klang denn zu den bisher dafür verwendeten Instrumenten?

Das Problem ist nicht die Andersartigkeit des Klanges, sondern unsere eigenen Klangvorstellungen. Würde ich diese Instrumente als mongolische Pferdekopffideln vorstellen, würde man im Publikum vielleicht sagen: Aha, interessant, klingt irgendwie anders. Das kann man dann mögen oder nicht. Manche finden gerade das Fremde sehr reizvoll. Geht es aber um europäische Instrumente, akzeptieren wir das Fremde viel schwerer. Da hören wir stets vergleichend, kritisieren schnell, dass die Renaissancegambe nicht so voll klingt wie die Barockgambe, das Barockcello nicht so satt und dunkel wie das moderne Cello. Dabei hat jeder Klang seinen Reiz. Man muss sich nur darauf einlassen können.

  • Konzert: Freitag, 3. Mai 2012 um 20.15h in der Musik Akademie Basel, Kleiner Saal «Co’l dolce suono – Konzert mit virtuoser venezianische Musik aus dem Künstlerkreis um Silvestro Ganassi, Adriano Willaert und Polissena Pecorina», ensemble arcimboldo, Basel, Leitung: Thilo Hirsch
  • Symposium der Schola Cantorum Basiliensis – Hochschule für Alte Musik: «Transformationen instrumentaler Klanglichkeit am Beispiel der frühen italienischen Viola da gamba», 3.5. und 4.5., Museum für Musik, Basel, Im Lohnhof 9, Roter Saal.

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