Von Basel nach Brooklyn und zurück

Frank Matter bringt den berührenden Dokumentarfilm «Von heute auf morgen» ins Kino. Anlass für eine Begegnung mit dem Basler Filmemacher.

Filmemacher Frank Matter (2. von links) beim Dreh seines Dokumentarfilms «Von heute auf morgen». (Bild: Dominik Labhardt © soap factory GmbH)

Frank Matter bringt den berührenden Dokumentarfilm «Von heute auf morgen» ins Kino. Anlass für eine Begegnung mit dem Basler Filmemacher.

Er hat den Ort nicht nur vorgeschlagen, weil sich sein Büro gleich auf der anderen Seite der Rangiergeleise befindet. Sondern auch, weil es ihm hier sehr gefällt: Am Hafenbecken 1, im Restaurant zum Rostigen Anker. Orte mit eigenwilligem Charme, stellt sich heraus, haben Frank Matter seit jeher angezogen.

Vor mehr als 30 Jahren lockte es den Gymnasiasten aus Sissach am Wochenende nach Basel, ins alte Postgebäude, wo Autonome das AJZ ausgerufen hatten. Das Bier war billig, die Atmosphäre prickelnd. Jahre später war er ein Aktivposten in der Alten Stadtgärtnerei, unter anderem als Mitarbeiter der Volksküche oder der Wunderbar.

Spezialvorführungen

Der Dokumentarfilm «Von heute auf morgen» ist unter anderem in Basel, Liestal und Sissach zu sehen.

Spezialvorführungen in Anwesenheit von Frank Matter: 6.10. (11.00), Kino Atelier, Basel. 13.10. (10.30), Palace, Sissach. 13.00 (15.00), Marabu, Gelterkinden.

Leute von damals trifft er heute in der Tiki Bar, wo er hinter und vor der Theke Freundschaften pflegt, die ­seine lange Abwesenheit überdauert haben: Denn, nachdem er sich in ­Basel einen Namen als Journalist gemacht hatte (unter anderem bei der Stadtzeitung «Dementi»), zog es Matter ins Ausland. «Zuerst wollte ich nach Berlin», erzählt er bei einem Bier in der Abendsonne. «Dann aber besuchte ich New York, tauchte in die Stadt ein – und fühlte mich so angenehm aufgehoben wie in einer perfekt temperierten Badewanne.»

Korrigierte Vorurteile

Er war 29, als er auswanderte, um in Brooklyn zu leben, damals günstiger, aber auch gefährlicher Zufluchtsort. «Ich lebte eine Zeit lang in einem gros­sen Loft in einem Abbruchhaus, die Miete betrug nur 500 Dollar», ­erinnert er sich. Matter hielt sich mit Aufträgen für Schweizer Zeitungen über Wasser – und tauchte daneben in die Independent-Filmszene ein.

Auf den Geschmack war er schon in Basel gekommen, mit einer Regieassistenz bei Peter Aschwanden. Ihre Wege kreuzten sich wieder, als Matter nach 13 Jahren New York zurückkehrte: Aschwanden wollte ­einen Dokfilm über die Arbeit der Spitex drehen, Matter stieg als Produzent ein. Sie recherchierten ­monatelang, Dossiers und Geldsuche folgten, doch dann starb Aschwanden von heute auf morgen.

«Von heute auf morgen», so heisst auch der Film, den Matter alleine ­fertigstellte. «Anfänglich rieten mir v­iele Freunde davon ab, das Leben alter Leute zu dokumentieren. Elend und Einsamkeit, das wolle sich doch niemand im Kino anschauen, meinten sie», gibt Matter freimütig zu. Heute ist er froh, das Werk seines einstigen Mentors vollendet zu haben. Denn, je länger er die alten Leute und ihre Helfer mit der Kamera begleitete, desto mehr korrigierte er Vorurteile, fing ihre Schicksale ein, aber auch ihren Witz, Trotz und Kampfgeist. Und den Einsatz der Spitex-Leute in Allschwil und Schönenbuch.

In Solothurn feierte der Film Anfang 2013 Schweizer Premiere und ­erhielt erste begeisterte Kritiken, im Juni gabs den Basler Filmpreis. Und jetzt läuft er in 25 Kinos an. Bemerkenswert, wie tief Matter ins Privat­leben der Alten eintaucht, ohne je aufdringlich zu wirken. Mit der Kunst der Sensibilität bildet er die Realität ab. Weshalb der langjährige Journalist nun selbst viele Interviewanfragen erhält – «ungewöhnlich für mich, weil doch eigentlich die Menschen im Vordergrund des Films stehen, stellvertretend für gesellschaftliche ­Themen wie die sogenannte Überalterung und das Pflegewesen», sagt er.

Arbeit mit fremden Ideen

Nebst eigenen Filmen realisiert Matter mit zunehmendem Erfolg Regie­arbeiten anderer. Seine Produktionsfirma «Soap Factory» verbuchte schon 2010 einen beachtlichen Erfolg mit «Nel Giardino Dei Suoni»: Das Porträt eines blinden Klangforschers und -therapeuten wurde von Kritikern und Festivaljurys gelobt. Warum reizt ihn die Arbeit an fremden Ideen? «Ich lerne stets dazu – und profitiere vom Austausch mit anderen Regisseuren wie in diesem Fall Nicola Bellucci. Zudem macht es mir nichts aus, mal in den Hintergrund zu treten», erläutert Matter.

«Mir macht es nichts aus, mal in den Hintergrund zu treten.»

Daneben setzt er sich auch für andere ein, die ganz in Vergessenheit geraten sind. Den experimentellen Künstler Klaus Lutz etwa, der wie Matter nach New York übersiedelte. Dort lernten sie sich kennen und schätzen. Nach Lutz’ Tod im Jahr 2009 überführte Matter den Nachlass in die Schweiz, darunter eigen- und einzigartige Werke, die er zusammen mit Freunden bekannter machen will. «Denn Lutz war zu Lebzeiten leider völlig unterschätzt, finde ich», sagt Matter. Und hat es am Ende doch wieder geschafft, das Gespräch auf jemand anderes zu lenken.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 04.10.13

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