Die Fondation Beyeler zeigt Gustave Courbets berüchtigtes Gemälde «L’origine du monde». Die realistische Abbildung des nackten Frauentorsos mit geöffneten Schenkeln wird inmitten der bürgerlich-protestantischen Sittsamkeit der Museums- und Kunststadt Basel zur besonders auffälligen Erscheinung.
Als «Hetären» wurden Edelprostituierte im Altertum bezeichnet, welche die wohlhabende Männerwelt nicht nur im Bett, sondern auch darum herum mit besonderen Begabungen erfreuten. Hetären oder Kurtisanen haben seit der Antike viele Künstler zu wundervollen Werken angeregt und auch für entsprechend angeregte Reaktionen gesorgt.
Laïs von Korinth war eine solche Hetäre – eine berühmte überdies, die im 4. Jahrhundert v. Chr. für ihre Dienste gemäss Überlieferung enorme Saläre einheimsen konnte. Hans Holbein d.J. hat 1526 das Bildnis einer Frau mit diesem Namen betitelt. Seine «Lais Corinthiaca» zählt zu den bedeutenden Hauptwerken der weltberühmten Öffentlichen Kunstsammlung Basel.
Eine madonnenhafte Kurtisane
Holbeins Laïs entspricht nun aber ganz und gar nicht dem Bild, das man sich landläufig von einer Kurtisane macht. Zu sehen ist eine vom Idealbild der italienischen Renaissance geprägte, edel gekleidete Frau, die auch als Madonna durchgehen könnte, wenn sie neben ihrer einfordernd offenen rechten Hand nicht einige Goldmünzen liegen hätte.
Andere Künstler haben sehr viel aufreizendere Frauenbildnisse hinterlassen. Tizian zum Beispiel, dessen «Venus von Urbino» von 1538 (Uffizien, Florenz) die Betrachter, nackt auf einem Bett ausgestreckt, mit einer selbstverständlich-neckischen Direktheit anblickt. Während Tizians Schöne ihre Scham mit der Hand diskret bedeckt, präsentiert sich in einem weiteren berühmten Aktbild, der zwischen 1795 und 1800 entstandenen «Nackten Maja» von Goya (Prado, Madrid), die Dame gänzlich unverhüllt.
Züchtige Basler Sammlung
Nach solchen Gemälden sucht man in den Raumfluchten des Kunstmuseums vergebens, auch wenn es die eine oder andere nackte Frauenbrust zu entdecken gibt. Die in den stürmischen Wellen herumtollenden Nereïden von Arnold Böcklin zum Beispiel; die barbusigen Meerjungfrauen vermögen wohl gewisse Fantasien anzuregen, wirklich herzhaft pikant wirkt die ungestüm-phantastische Szenerie indes nicht. Ebenso wenig wie das einigermassen neckisch dreinblickende Akt-Trio aus Lucas Cranachs bekanntem Gemälde «Das Urteil des Paris».
«Es ist geradezu frappant, wie wenig Aktdarstellungen das Kunstmuseums aufzuweisen hat», bestätigt Museumsdirektor Bernhard Mendes Bürgi, der die weltbekannte, alles in allem aber züchtige Sammlung seit 2001 betreut. «Die Basler Sammlung ist geprägt durch die sittsame Mentalität des puritanisch-protestantischen Bürgertums», sagt er. Und es ist eben dieses Bürgertum, das massgeblich an ihrem Aufbau und somit auch an ihrem Charakter teilhatte.
Feudale Ursprünge haben mehr Eros zur Folge
Diese sittsame Zurückhaltung ist keine baslerische Besonderheit. Auch in den Kunsthäusern in Genf und Zürich spielen Aktdarstellungen keine prägende Rolle. Ganz im Gegensatz zu den grossen Häusern südlich der Alpen sowie in anderen Sammlungen, die aus fürstlichen und nicht aus bürgerlichen Quellen zusammengetragen wurden. «In der feudalen Kultur, nehmen Sie zum Beispiel den Prado in Madrid mit seinen wunderbaren Akten von Tizian bis Goya, spielen Eros und die frivole Damenwelt eine weitaus gewichtigere Rolle.»
Die auffallende Zurückhaltung in Sachen Frauenakten basiert zum einen auf der Auswahl der Künstler. Holbein, der in Basel «Banquiers, Gelehrte und noble Frauen» als Auftraggeber hatte, wie Niklaus Meier im Katalog zur grossen Holbein-Ausstellung 2006 zusammenfasste, ist alleine schon deswegen alles andere als ein Meister des Eros. Dasselbe gilt auch für Konrad Witz und andere alte Meister des Oberrheins, die eines der wichtigen Standbeine der Basler Sammlung sind.
Das setzt sich bis ins 20. Jahrhundert fort, als das Kunstmuseum als erstes europäisches Museum ein bedeutendes Konglomerat an amerikanischer Kunst aufzubauen begann. «Dass hier das Gewicht auf Künstler wie Barnett Newman und Jasper Johns gelegt wurde und Willem de Kooning nicht vorkommt, ist ebenfalls eine klare Aussage», sagt Bürgi. Statt auf die üppige Fleischlichkeit von de Kooning konzentrierte man sich in Basel lieber auf die Minimal Art und den Abstrakten Expressionismus.
Landschaftsbilder von grossen Aktkünstlern
Nun ist es aber nicht so, dass die grossen Meister der Aktmalerei in der Basler Sammlung gar nicht vorkommen. So gibt es zum Beispiel mehrere Werke des Altmeisters Hans Baldung gen. Grien zu bewundern, der im frühen 16. Jahrhundert geradezu drastisch wolllüstige Szenerien schuf. In Basel ist er indes mit religiösen Darstellungen und mit Memento-mori-Bildern vertreten.
Auch weitere bekannte Schöpfer von Frauenakten sind in der Öffentlichen Kunstsammlung mit wunderbaren, aber ganz und gar jugendfreien Gemälden vertreten. So etwa Ernst Ludwig Kirchner mit grossformatigen Davoser Berglandschaften oder Gustave Courbet mit einem Blumenstillleben.
Eros in Sonderausstellungen der Fondation Beyeler
Jawohl, dieser Gustave Courbet, dessen Kultwerk «L’origine du monde» in der Fondation Beyeler als Mittel- und Anziehungspunkt einer grossen Sonderausstellung zu diesem Künstler zu bewundern ist. Ulf Küster, der die Ausstellung kuratierte, hat in der Fondation bereits mehrfach mit dem Thema Eros in der Kunst zu tun gehabt. So 2006 und 2007 als Co-Kurator der beiden «Eros»-Ausstellungen und 2012, als er die mit einigen Badezimmerszenerien bestückte Retrospektive zu Pierre Bonnard betreute.
«Grundsätzlich misstraue ich der Kategorisierung in erotische und nicht erotische Kunst», sagt Küster. «Eros ist letztlich etwas, das im Auge des Betrachters oder der Betrachterin entsteht.» Aber auch er bestätigt den Eindruck, dass der Fokus in den öffentlichen Sammlungen Basels nicht unbedingt auf der Aktmalerei liegt.
Das gilt auch für die Sammlung von Ernst Beyeler: Abgesehen von einer Badezimmerszene von Edgar Degas, einer Gruppe Badender von Cézanne, einer expliziten Rodin-Skulptur und einigen Picasso-Spätwerken stossen die Besucherinnen und Besucher auch in Riehen auf vergleichsweise wenige Akte.
Hinter normalerweise verschlossenen Türen
Zumindest in der Sammlung, denn in Sonderausstellungen kommt dieses Thema durchaus und immer wieder zum Tragen. «Ernst Beyeler hatte eine erotische Beziehung zur Kunst und war auch dem Eros in der Kunst durchaus nicht abgeneigt», sagt Küster. Das gilt laut Küster auch für andere Privatsammlerinnen und -sammler der Stadt. «Ich hatte Einblicke in Basler Privatsammlungen, die mit erotischen Frauenakten reich bestückt sind.»
Ein Teil dieser Sammlungen, die normalerweise hinter verschlossenen Türen verborgen bleiben, wird in Basel bald öffentlich zugänglich sein. Es handelt sich um die prächtig bestückte Kunst- und Wunderkammer zwischen Manierismus und Surrealismus von Richard und Ulla Dreyfus-Best, die ab 20. September im Kunstmuseum zu sehen sein wird.
Der Titel der Ausstellung, die bereits in der Peggy Guggenheim Collection in Venedig zu sehen war, «For Your Eyes Only», weckt Erwartungen, die nicht enttäuscht werden. «Hier stehen profane Artefakte neben Objekten der Ars erotica und der Ars religiosa …», schreibt Ausstellungskurator und Kunstgeschichtsprofessor Andreas Beyer im Ausstellungskatalog. Wer darin blättert, stösst unter anderem auf die einem deutschen Meister aus dem 16. Jahrhundert zugeschriebene Darstellung des Liebesspiels zwischen Vulkan und Ceres, das sogar den Blick auf die vom Schamhaar befreite Vulva der Fruchtbarkeitsgöttin zulässt.