Zum Abschluss der diesjährigen Ausgabe der Avo Session zeigte sich Rod Stewart von seiner charmantesten Seite – was man hingegen leider nicht von allen Anwesenden behaupten kann.
Die Avo-Session, das ist bekanntlich nicht bloss irgendein Festival, das mit grossen Namen lockt: Der Zauber der nach dem Jazz-Musiker und Zigarrenfabrikanten Avo Uvezian benannten, zweiwöchigen «Session» am Rheinknie, wo sich Weltstars die Klinke in die Hand geben, liegt im exklusiven, intimen Rahmen des Anlasses. Ob die Performance zu halten mag, was der grosse Name verspricht, und die Basler sich von ihrer ausgelassensten Seite zeigen, oder ob an den Clubtischen doch eher die Geschäftsberichte des letzten Quartals besprochen werden, liegt dabei meist weniger an der musikalischen Qualität des Gebotenen, was sich meist auf äusserst solidem, wenn auch klar mainstream-orientierten Niveau bewegt – es entscheiden vielmehr subtilere, psychologische Faktoren:
Stimmt die intime Ambiance, die an ein Candlelight-Dinner erinnert, springt der Funke von der Künstlerpersönlichkeit zum Publikum über? Finden Weltstars noch den Draht zu ihren Fans, wenn keine Lightshows und Stadiongräben die Distanz zwischen ihnen zementieren, wenn sie sich ganz hautnah und ungewohnt nackt zeigen? Diese These wurde gestern, zum Auftakt des grossen Finales der diesjährigen Ausgabe, die heute Abend zuende geht und aufgrund des Messe-Umbaus ausnahmsweise im Musical Theater stattfand, zumindest nochmals eindrücklich unterstrichen.
Breitbeinig bübisch, besorgend brüchig
Auf der Bühne steht erstmals Bad Boy Rod Stewart: Das Raubein mit der Reibeisenstimme, dessen Gesang so frei Schnauze und maskulin, so unverstellt und direkt daherkommt, dass er sogar mit den abgedroschensten Schnulzen Männer wie Frauen zu Tränen rühren kann. Und der Herzensbrecher beweist von der ersten Sekunde an, dass er auch mit 67 Jahren, trotz ernsthafter Gesundheitsprobleme, nichts von seiner unnachahmlichen Ausstrahlung eingebüsst hat: Als wäre er die leibhafte Ausgeburt, die mehrfach destillierte Quintessenz der Floskel «Harte Schale, weicher Korn», steht er breitbeinig vor dem vollen Musical-Theater-Saal und scheint gleichzeitig mit jeder einzelnen Frau im Saal zu flirten.
Schon nach wenigen Takten hat er die Halle unter Strom gesetzt, reisst es die Leute von ihren Stühlen, strömen sie in Scharen hin zur Bühne, um noch näher beim herben Charmeur zu sein. Dass der Working-Class-Hero in Wirklichkeit überraschend klein und fast zerbrechlich schmächtig wirkt, dass der Mikrofonständer heutzutage leicht zittert, wenn er ihn grosspurig in die Luft stemmt, dass die Knie und Hüften bei den Rockstarposen sichtlich steifer geworden sind: Geschenkt. Trotz aller Alterserscheinung ist Rod Stewart so ungehobelt herzlich, so bübisch schlitzohrig geblieben wie bei seinen ersten Erfolgen vor 40 Jahren.
Mag man also über die schwindenden Kräfte gern hinwegsehen, fällt es beim Gesang wiederum leider einiges schwerer, über die Intonationsschwierigkeiten und das deutlich reduzierte Volumen seines einst so markerschütternden Organs hinwegzuhören. Nach einer Kehlkopfoperation ist schlicht nur noch ein Bruchteil seiner stimmlichen Fähigkeiten übrig geblieben, und auch wenn gerade diese Brüchigkeit bei Balladen wie «Sailing» einen besonderen, sensiblen Reiz entfaltet, so fehlt sie wiederum bei Uptempo-Rocknummern wie «Rhythm of my Heart» oder «You’re in My Heart» umso deutlicher.
(K)ein «peinlicher, alter Knacker»
Kein Wunder also konzentriert sich Charmebolzen Rod ganz auf die Show, lässt lieber mal ein paar Zeilen weg und animiert seine Dutzend Mitmusiker zu Gitarren- und Geigensoli, und kommuniziert derweil schalkhaft und launig mit dem Publikum – etwa, wenn man bei «Do Ya Think I’m Sexy» eine alte Rolling-Stone-Ausgabe auf die Leinwände projiziert und er darin mit der Aussage, er wolle niemals ein peinlicher, alter Knacker werden, der mit 50 immer noch denselben Song singt, zitiert wird. «Ups», kommentiert Stewart unter dem schallenden Gelächter des mehrheitlich gleichaltrigen Publikums trocken.
Es ist diese erfrischend freimütige Selbstironie, diese augenzwinkernde Altersmilde, die den Auftritt des Altrockers immer noch zu einem fesselnden Erlebnis macht, und ihm nach jedem dargebotenen Welthit eine Standing Ovation sichert. Dass er gar nicht erst versucht, so zu tun, als wäre er immer noch 30, sondern mit sichtlicher Freude die Klischees über seine Person persifliert, macht ihn umso charmanter. Gerne hätte man daher diesen Abend bis zur letzten Zugabe ausgekostet.
Ungnädiger Ton
Doch alles sollte anders kommen. Als die Rockröhre sich nämlich kurz für eine Pinkelpause zurückzieht, die Kritikerin beschliesst, es ihm gleich zu tun, und den Saal daraufhin erst eine Sekunde nach Wiederbeginn erreicht, passiert das Malheur: In der kurzen Spanne zwischen zwei weihnächtlich-sentimentalen Balladen gelingt es mir nicht, im Dunkel des Saals die richtige Reihe zu finden. Während ich noch in meiner überfüllten Handtasche nach einem Feuerzeug krame, um auf dem Ticket meine Platznummer zu entziffern, eilt auch schon eine Platzanweiserin herbei. Allerdings nicht, um mich bei der Suche nach dem Sitz zu unterstützen, sondern um mich unsanft aus dem Saal zu entfernen. In ungnädigem Ton erklärt sie mir, dass es nicht erlaubt sei, sich während des Konzerts auf den Treppen aufzuhalten – und Feuerzeuge wären erst recht verboten.
Aber nehmen wir die Sache mit Humor. Und hoffen insgeheim, dass es sich bei diesem Zwischenfall um ein bedauerliches Einzelereignis handelt, und nicht um ein schlechtes Omen: Nicht auszudenken, wenn mit der bekanntlich bisher einzigartigen Avo-Ambiance kurzen, kafkaesken Prozess gemacht würde. Und der Anlass sich in Zukunft, wo die Avo Session neu «Baloise Session» heissen wird, sich in einen pingelig-bürokratischen Hindernislauf mit dem Charme eines Versicherungsvertreters verwandeln würde.
Heute Abend geht die Avo-Session mit dem zweiten Konzert von Rod Stewart zuende. Im Vorprogramm spielt ab 20 Uhr die Basler Songwriterin Anna Aaron.