Kein anderer hat den toten Christus je so schonungslos gemalt wie Hans Holbein der Jüngere. Das Gemälde, das zu den Meisterwerken der Öffentlichen Kunstsammlung Basel gehört, wird nun für ein knappes Jahr im Museum der Kulturen gezeigt.
Es soll schon vorgekommen sein, dass Betrachter sich von diesem Bild abwandten: Das bläulich angelaufene Gesicht des «Toten Christus im Grabe», gemalt in den Jahren 1521–22 von Hans Holbein dem Jüngeren, ist nicht jedermanns Sache. Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski erlitt beinahe einen epileptischen Anfall, als er das Bild betrachtete – obwohl er derart begeistert davon war, dass er auf einen Stuhl stieg, um es näher betrachten zu können, wie seine Frau in ihrem Tagebuch festhielt.
Zwei Meter lang ist das Gemälde, das zusammen mit dem Amerbach-Kabinett bereits 1662 in den Besitz der Öffentlichen Kunstsammlung Basel kam, und der Christus somit lebensgross. Er liegt auf einem dünnen Leinentuch in einer steinernen Grabnische. Der Körper ist ausgemergelt, jede Rippe sichtbar. Die Qualen der Kreuzigung sind ihm noch ins Gesicht gemeisselt: Die Augen sind nach oben verdreht, der Mund halb geöffnet, die Haare zerzaust. Die Wundmale der Kreuzigung sind offengelegt. Es ist der Anblick, der sich einem Augenzeugen bei der Grablegung Christi geboten hätte.
Schonungslose Nahaufnahme. (Bild: ©Kunstmuseum Basel)
Holbein präsentiert den toten Christus in einer Momentaufnahme und in schonungslosem Realismus. Die Konfrontation ist immens und nie dagewesen, nicht nur jene mit dem Anblick eines verwesenden Leichnams, sondern auch jene mit dem Menschsein des Gottessohnes. Dostojewski schrieb deshalb in seinem Roman «Der Idiot» dem Bild die Kraft zu, den Glauben auszulöschen.
Ganz Mensch, ganz tot
Holbeins Christus ist ganz Mensch, weil er ganz tot ist. Hier verweist nichts darauf, dass er dereinst auferstehen soll. Er ist gänzlich einsam. Kein trauerndes Personal, das ihn begleitet, wie sonst üblich in solchen Darstellungen. Abgelegt an einem Ort, an dem er wie jeder andere Tote sich endgültig selbst überlassen ist.
Wofür hat Holbein diesen Christus gemalt? Für eine Heilig-Grab-Nische, wo er den Gläubigen jeweils nur an Ostern gezeigt worden wäre? Bis heute ist diese Frage nicht restlos geklärt, doch scheint diese Erklärung nicht hinreichend. Christian Müller, ehemaliger Leiter des Kupferstichkabinetts im Kunstmuseum Basel, vermutet stattdessen, der Christus sei von Bonifacius Amerbach bestellt worden, um ihn zusammen mit einer Inschriftplatte als Wandepitaph für seine Eltern und seinen Bruder im Kleinen Kreuzgang der Basler Kartause anbringen zu lassen. Dieses Epitaph stimmt in seiner Grösse mit Holbeins «Christus» überein. Im Zuge der einsetzenden Reformation sei Bonifacius Amerbach dann aber wieder von diesem Plan abgekommen, und das Bild sei direkt in das Kunstkabinett seines Sohnes Basilius gelangt. Was, so Müller, auch seinen guten Zustand erklären würde.
Normalerweise gehört Holbeins «Toter Christus im Grabe» zu den Werken, die ständig im Kunstmuseum Basel zu sehen sind. Während der Schliessung musste auch er seinen Platz räumen. Er wird aber – zusammen mit anderen Schlüsselwerken aus der Altmeister-Sammlung des Kunstmuseums – ab dem 11. April bis Ende Februar 2016 in einer Gastausstellung im Museum der Kulturen zu sehen sein. Vernissage der Ausstellung «Holbein. Cranach. Grünewald.» ist am 10. April um 18.30 Uhr.