Im Theater ist «War Horse» ein Riesenhit. Steven Spielberg hat die Geschichte eines Pferdes verfilmt.
«War Horse» lockte eine Million Abenteurerinnen, Veteranen, Kriegsfetischisten, Jugendliche, Pazifisten, Trinker, Mütter, Pferdenarren und Theaterbegeisterte ins Theater. Da eine Puppen-Kompagnie mitmacht, kommen noch die Freunde der Puppenkiste dazu. Ich wollte wissen warum und machte auf dem Weg nach Valencia – auf der Flucht vor der Kälte – einen wochenendlichen Zwischenstopp im Londoner Theaterviertel.
Verliebt ins Pferd
Eigentlich braucht Alberts Vater einen Ackergaul. Stattdessen ersteigert der Bauer ein Klassepferd seinem Lehnsherr vor der Nase weg, ruiniert fast den Hof und bricht schliesslich seinem Sohn das Herz, weil er Joey weggeben muss: Albert verliebt sich in das Pferd – und wir auch. Warum?
Die Südafrikanische Puppen-Kompagnie lässt im National Theatre jeden Abend das Pferd aus dem Nichts entstehen. Jede der unfassbar präzise beobachteten Regungen der Kreatur wird von fünf Menschen gemeinsam ausgeführt. Das verscheucht den Kitsch noch aus der rührendsten Szene. Schwerstarbeit und Zauber machen uns das Pferddasein gleich doppelt erfahrbar: Eine Maschinerie voller Menschlichkeit am Tier ausgeübt. Derart geschunden, gejagt, gepeitscht und geritten wird die Kreatur durch die Kriegswirren bewegt. Eine grandiose Kunst-Metapher gegen jede Kriegslogik. Mit einem exzellenten National-Theatre-Ensemble, einer leeren Bühne, ausgesuchtem Licht-Design und – lebensgrossen Pferdepuppen.
Romantischer bilderbogen
Wie verwandelt Spielberg diesen Theaterhit in einen Traum? Wie einst Graf Tolstoi, der die Lebensgeschichte des Pferdes «Leinwandmesser» im zaristischen Russland erzählte: Er folgt dem Pferd so nah, dass es fast zu uns sprechen kann. Wie Tolstoi spitzt Spielberg alles im demütigen Dulden des Pferdes zu. «War Horse» ist ein romantischer Bilderbogen mit einer klaren Botschaft: Krieg wird überall gegen die kleinen Leute geführt, so lange, wie die mitmachen – ein Ackergaul führt uns vor Augen, wie lange sie es tun.
Dass Lichtspiel dem Geschehen näher rücken kann als die Bühne, nützt Spielberg meisterhaft aus. Albert verliert erst seinen Gefährten und dann sein Augenlicht an den Krieg. Erst blind findet er sein Pferd wieder, im Schützengraben. Im hinreissendsten Augenblick des Filmes galoppiert Joey in die Stacheldrahtverhaue zwischen den Fronten, so eindrücklich, dass die Krieger beider Seiten innehalten, um die Kreatur zu retten. Spielberg fasst die Perversion von Krieg in einem Bild zusammen. Krieg wird nie für etwas, sondern immer gegen etwas geführt.
Familienangelegenheit
Der Natur ist das egal. Dass Spielbergs Bilder die Grenzen des Kitsches streifen, darf man ihm nachsehen. «War Horse» bleibt eine Familienangelegenheit – auch im Film. Wo der Film Augen öffnet, schafft Theater Raum für Einsicht. Beide treten mit derselben Waffe gegen den Krieg an – der Kunst. Das Theater kann deutlicher zeigen: wie anstrengend sie zu führen ist.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.02.12