War Shakespeare wirklich Shakespeare?

Neider hat, wer Grosses leistet – ein Shakespeare aber hat Zweifler. Unmöglich, dass dieser Kerl solch geniale Werke schrieb! Zum 400. Todestag hat sich TaWo-Leser Marcus Tschudin durch die schrägsten Hypothesen und dunkelsten Verschwörungstheorien geackert.

A newly discovered portrait of William Shakespeare, presented by the Shakespeare Birthplace trust, is seen in central London, Monday March 9, 2009. The portrait, believed to be almost the only authentic image of the writer made from life, has belonged to one family for centuries but was not recognized as a portrait of Shakespeare until recently. There are very few likenesses of Shakespeare, who died in 1616. (AP Photo/Lefteris Pitarakis)

(Bild: AP Photo/Lefteris Pitarakis)

Neider hat, wer Grosses leistet – ein Shakespeare aber hat Zweifler. Unmöglich, dass dieser Kerl solch geniale Werke schrieb! Zum 400. Todestag hat sich TaWo-Leser Marcus Tschudin durch die schrägsten Hypothesen und dunkelsten Verschwörungstheorien geackert.

Es wurde wacker geprasst und gebechert an jenem kühlen Abend im April 1616, als der elisabethanische Dramatiker William Shakespeare zwei Freunde in seinem Haus bewirtete – den Dramatiker Ben Jonson und den Poeten Michael Drayton. Shakespeare war damals bereits von Krankheit und Erschöpfung gezeichnet. Um seine Gäste zu verabschieden, trat er, beschwipst, aber ohne Hut und Mantel, in die kalte Nacht hinaus.

Auf die Erkältung folgte eine Lungenentzündung. Sein Arzt und Schwiegersohn John Hall wusste diese nicht wirksam zu behandeln – sie mag Shakespeare letztlich dahingerafft haben. Das Kirchenregister verzeichnet sein Begräbnis am 25. April 1616; beigesetzt wurde er in der Holy Trinity Church von Stratford-upon-Avon.

Unter dem Balkon von Romeo und Julia – ein Bildstoff aus Verona.

Shakespeares unsterbliches Vermächtnis: 14 Komödien, 11 Historien und 11 Tragödien, in denen er mit sprachlicher Wucht, poetischer Kraft und Witz das ganze Spektrum unserer Gefühle, Konflikte und Leidenschaften ausbreitet. Seine Einsichten in seelische Vorgänge und sein Flair für bühnenwirksame Szenen begeistern und verblüffen noch heute; sein Zeitgenosse Ben Jonson sollte mit seiner Prophezeiung recht behalten: «He was not of an age, but for all time.»

Aufstand der Klugscheisser

Im Laufe des 18. Jahrhunderts traten nach und nach Zweifler und Besserwisser auf den Plan. Sie stellten die Autorschaft Shakespeares infrage:

Was? Dieser Sohn eines Handschuhmachers aus dem provinziellen Stratford? Dieser ungebildete Kerl aus dem ländlichen Warwickshire, der nur die lokale Schule besucht hatte und nie im Ausland gewesen war? Der soll erschütternde Tragödien wie «Hamlet» oder «King Lear» verfasst haben? Witzige Komödien wie «As You Like It» oder «The Merry Wives of Windsor»? Grandiose Historienstücke wie «Henry V» oder «Richard III» oder gar exquisite Sonette? Lächerlich!

In der Folge kursierten die Namen einer Reihe hochrangiger Persönlichkeiten, von denen es hiess, sie seien die wahren Autoren der fälschlicherweise Shakespeare zugeschriebenen Werke. In erster Linie traute man die Werke dem Philosophen Francis Bacon zu, dem Adligen Edward de Vere und dem Dramatiker Christopher Marlowe. Aber auch der Staatsmann Sir Walter Raleigh kam infrage – und sogar Königin Elizabeth I.

Nehmen wir die drei wichtigsten Hypothesen mal unter die Lupe:

War Francis Bacon Shakespeare? Warum nicht.




Der Favorit: Universalgenie Francis Bacon (1561-1626).

Der Philosoph, Politiker, Wissenschaftler und Staatsmann Francis Bacon ist seit jeher der Favorit der Anti-Shakespeare-Fraktion. Warum? Zunächst, weil Bacon gelehrt genug wäre. Und dann, weil die Anhänger der These überall versteckte Hinweise in Shakespeares Werken sahen, Übereinstimmungen in seiner Korrespondenz, seinen Memoiren und Aufzeichnungen. Geradezu fanatisch vertrat die Amerikanerin Delia Bacon (sic!) diese These. 1856 schlug sie gar vor, das Grab Shakespeares zu öffnen. In der Hoffnung, dort Beweise zu finden.

Nun, Bacon war gewiss einer der ganz Grossen seiner Epoche und ein hoch angesehener Literat. Sein Stil und seine Ausdrucksweise sind jedoch erheblich anders als diejenigen Shakespeares. Und warum hätte sich das berühmte Universalgenie hinter einem Pseudonym verbergen sollen? Was hätte er davon gehabt?

In seinem amüsanten Essay «War Shakespeare zufällig Shakespeare?» mischt sich der kürzlich verstorbene italienische Semiotiker und Romancier Umberto Eco augenzwinkernd in die Shakespeare-Bacon-Kontroverse ein: Um jene Werke zu schreiben, so Eco, hätte es der Arbeit eines Lebens bedurft. Und dann musste sich der Verfasser ja auch noch regelmässig in der Theaterwelt engagieren. Die Zeit dafür wäre für Bacon nur zu gewinnen gewesen, wenn er die Mühe, sein eigenes umfangreiches philosophisches Œuvre zu verfassen, an jemand anderen delegiert hätte.

«So kam es zu der Hypothese, dass Shakespeare, der ja ein Mann mit einigen Fähigkeiten gewesen sein musste, von Bacon zu diesem Zweck angestellt und besoldet wurde», schrieb Eco. «Shakespeares soziale Herkunft würde auch den Grundton von gesundem Menschenverstand erklären, der Bacons Werke durchzieht. Mithin wäre Shakespeare der Autor der Bacon zugeschriebenen Werke.» Touché! 

War der Earl of Oxford Shakespeare? Warum auch nicht.




Auch ein valabler Kandidat: Edward de Vere (1550–1604).

Seit den 1930er-Jahren ist auch der Adlige Edward de Vere, 17. Earl von Oxford und Zeitgenosse Shakespeares, Kandidat, der wahre Autor zu sein. Ein höchst valabler Kandidat: hoch gebildet, weit gereist, Förderer der schönen Künste, Bewunderer der italienischen Kultur sowie bekannter Dichter und Bühnenautor. Argumentiert wird mit Parallelen zwischen der Biografie de Veres und Passagen in den Stücken, zum Beispiel seien sich die Figur des Polonius in der Tragödie «Hamlet» und William Cecil, de Veres Erzieher, auffällig ähnlich.

Fest steht, dass der Earl von Oxford seine literarischen Ambitionen früh aufgegeben hatte. Es könnte natürlich sein, dass er unter dem Pseudonym Shakespeare weitergeschrieben hat, wie argumentiert wurde. Den Höflingen sei es nämlich untersagt gewesen, Gedichte oder andere literarische Werke zu publizieren. Was aber auch feststeht ist, dass der Earl 1604 starb. Somit kann er mehrere wichtige Werke, vor allem die Tragödien «Othello», «King Lear» und «Macbeth» gar nicht verfasst haben – sie sind alle später entstanden.

War Christopher Marlowe Shakespeare? Warum erst recht nicht.




Wohl kaum: Christopher Marlowe (1564-1593).

Christopher Marlowe war im elisabethanischen England ein berühmter Dramatiker und Autor populärer Stücke wie «The Tragical History of Doctor Faustus», «Tamburlaine» und «The Jew of Malta». Verfechter der Marlowe-These finden, Satzstellung, Wortwahl und Versrhythmus seien bei Shakespeare quasi identisch. Ferner betonen sie Marlowes universitäre Bildung, die ihrer Ansicht nach unabdingbar sei für jeden, der sich anheischig mache, Shakespeares Werke geschaffen zu haben.

Allerdings wurde Marlowe schon im Jahre 1593 bei einem Wirtshausstreit erstochen. Als Autor der Werke Shakespeares Werke kommt er von daher kaum infrage. Seine Fans weisen aber ungerührt darauf hin, dass Marlowe damals vielleicht gar nicht ums Leben gekommen sei; da er im Auftrag der Krone auch als Spion tätig war, könnte es nämlich sein, dass er aus Gründen der Staatsräson seinen Tod vortäuschen musste. Darauf habe Marlowe eben notgedrungen unter einem Pseudonym weitergedichtet, unter «Shakespeare». Nun ja.

Warum Shakespeare Shakespeare war. Und bleibt.

Es fällt auf: Die Argumente der Anti-Shakespeare-Fraktion stehen allesamt auf wackligen Beinen. Historisch gesehen gibt es nichts, was es rechtfertigen würde, den Barden vom Sockel zu stürzen oder einen anderen darauf zu heben. Die Zweifler scheitern schon bei der Erklärung, inwiefern ihre Favoriten durch die Publikation unter dem Pseudonym Shakespeare hätten profitieren können.

Hingegen lässt sich die Position, dass Shakespeare der Autor der Werke Shakespeares ist, recht einfach verteidigen. Zunächst sind ihm die Dramen über 400 Jahre lang diskussionslos zugeschrieben worden: Kein einziger Elisabethaner hat daran Zweifel geäussert. Wir wissen, dass ein Mann dieses Namens 1564 in Stratford-upon-Avon geboren wurde und dort auch starb. Dokumente beweisen, dass Shakespeare Stratford um 1585 verliess und 1595 in London auftauchte. Nach 1594 ist er als Mitglied der Lord Chamberlain’s Men registriert, einer Schauspieltruppe, die Shakespeares Stücke aufführte und den Autor als Kollegen aus Stratford kannte.

Ausserdem war Shakespeare Teilhaber des «Globe», des Londoner Theaters der Truppe. Ferner erscheint sein Name von 1598 an auf den Titelseiten mehrerer Stücke und auf dem Frontispiz der 1609 publizierten Sonette.

Von wegen ungebildet

Was die angeblich mangelhafte Bildung anbelangt, sei angemerkt, dass Stratford eine ausgezeichnete Schule besass, in der die Schüler eine rigorose Erziehung in den klassischen Fächern genossen, was die gelehrten Passagen in den Werken mehr als erklärt. Nicht zuletzt zeigen die Stücke zahlreiche regionale Eigenheiten, die für Warwickshire und Shakespeares Geburtsort Stratford typisch sind; beispielsweise für den Landstrich kennzeichnende Wörter und Redensarten sowie lokale Namen für Flora und Fauna.

Und ganz wichtig: Sieben Jahre nach dem Tod Shakespeares, 1623, publizierten John Heminges und Henry Condell, Schauspieler in Shakespeares Truppe, die auch in seinem Testament erwähnt werden, das «First Folio», in dem sämtliche Werke Shakespeares sowie seine Sonette unter seinem Namen gedruckt vorliegen. Begleitet sind sie von persönlichen Würdigungen einschliesslich Ben Jonsons Lobgedicht «To the Memory of my Beloved the Author Mr William Shakespeare and What He Hath Left Us», in dem er den Barden als den «süssen Schwan von Avon» bezeichnet.

Fazit: Game, Set und Match für Shakespeare. Der Rest ist Schweigen.

 

Unter dem Balkon von Romeo und Julia – ein Bildstoff aus Verona.

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