Mit 20 Produktionen aus 17 Ländern und rund 170 Bühnenkünstlern verwandelt das Theaterfestival Basel die Stadt und Region für zwei Wochen in eine Theaterlandschaft. Und gleich anschliessend hebt das Theater Basel den Vorhang zur neuen Spielzeit.
«Bereit sein ist alles.» Dieser Ausruf Hamlets ist in der Basler Promiszene offensichtlich Programm. Wenn Carena Schlewitt zur Eröffnung «ihres» Theaterfestivals Basel ruft, dann tanzt die komplette Corona der Basler Polit- und Kulturszene an. So auch wieder diese Woche, als der Startschuss zur dritten Ausgabe des Festivals unter Schlewitts Leitung fiel.
Die Basler Regierung gab sich beinahe vollzählig, die Bewerber um das Amt des Regierungsratspräsidenten geschlossen die Ehre. Die Baselbieter Regierung war zumindest mit der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektorin vor Ort. Rund um sie herum viele Grossräte und alles, was die Region Basel an Theaterleitern und Theaterleuten aufzubieten hat.
Es war eine Eröffnung nach Mass: mit einer Grossproduktion, einem Musical, um genau zu sein, mit schmissiger Musik, virtuosen Choreografien und einem textlichen Inhalt, der bei einer Produktion dieser Art verwirrt. Manche gar verärgert, wie an Ort und Stelle zu vernehmen war. «Purer Zynismus», zischte eine Basler Theatermacherin nach der Vorstellung.
Tanzen, bis dass die Welt untergeht
«Sound of Music» lautet der Titel in Anlehnung an einen Musical-Schmachtfetzen von 1959. «It’s alright, good night», singt die Chorus Line auf der leeren Bühne in der Reithalle. Aber während die gut gebauten und beeindruckend agilen Darsteller mit einem eingefrorenen Lächeln auf den Gesichtern fröhlich virtuos tanzen, berichtet der Schriftzug im Hintergrund von Menschen, die nicht mehr schlafen können, weil sich so viele junge Leute das Leben nehmen. Oder vom Absturz einer Boeing 777 der Malaysia-Airlines, bei dem über 300 Menschen ums Leben kamen.
Tanzen, tanzen, tanzen, bis dass die Welt untergeht. Wie das legendäre Orchester der «Titanic», das auf dem sinkenden Luxusliner unbeirrt weiterspielte, bis nichts mehr ging. Regisseur Yan Duyvendak lässt die Welt nicht untergehen. Ein Happy End bietet er freilich auch nicht, kein Deus ex Machina poppt auf, der unvermittelt alles zum Guten wendet. Aber der Regisseur zeigt hinter den lächelnden Fassaden Menschen, die ihre Lebensenergie nicht verlieren – und letztlich eben nicht aus Zynismus heraus agieren.
Ein Festival für Entdecker
«Sound of Music» war der passende Auftakt für ein Entdeckerfestival, das internationale Produktionen nach Basel bringt, die überraschende Begegnungen mit neuen Theaterformen und -ästhetiken versprechen. Eine Oper der Supermarktkassierinnen zum Beispiel («Have a Good Day!» von Operomanija aus Litauen), Shakespeares komplettes Werk, auf einem Tisch nachgespielt mit Utensilien aus dem Küchenschrank («Complete Works: Table Top Shakespeare» von Forced Entertainment), aber auch ernst-berührende Einblicke in den Kriegsalltag in Syrien («Während ich wartete» von Omar Abusaada).
Das Theaterfestival Basel zeigt auf wunderbare Weise, was Theater heute leisten kann: Es kann unterhalten, indem es überrascht, es kann berühren und irritieren (zuweilen auch verärgern), weil es immer wieder nahe am Zeitgeschehen ist. Und es kann mit Experimenten und neuen Formen verblüffen.
Bis am 11. September dauert das Festival, das neben diversen Bühnen auf dem Kasernenareal auch das Theater Roxy in Birsfelden, das Neue Theater in Dornach, das Kleinbasler Union und das Schauspielhaus sowie die Kleine Bühne des Theaters Basel bespielen wird.
Vielfach ausgezeichnetes Basler Schauspiel
Im Schauspielhaus und auf den restlichen Bühnen des Theaters Basel wird sich unmittelbar nach dem Festival der Vorhang zur neuen Spielzeit heben. (Nun ja, ein bisschen offen war er schon mit der Vorpremiere von Shakespeares «Was ihr wollt» im Römertheater Augusta Raurica am 13. August. Das Basler Publikum kann sich darüber freuen, nach längerer Durststrecke wieder über ein Dreispartentheater zu verfügen, das zumindest im Schauspiel wieder einen festen Platz in der Champions League hat.
Das zeigte sich letzte Saison, die erste unter der Leitung von Andreas Beck. Beck war mit seiner gesamten Leitungscrew und etlichen seiner Ensemblemitglieder ebenfalls bei der Eröffnung des Theaterfestivals anwesend. Das deutliche Strahlen auf den Gesichtern der Theaterleute war nicht nur Zeichen der Vorfreude aufs Festival, sondern auch Nachwirkung von vielfachen Auszeichnungen, welche die neue Truppe jüngst entgegennehmen konnte.
Ganz und fast ganz oben in den Bestenlisten
In der Kritikerumfrage von «Theater heute», deren Resultate vor knapp einer Woche veröffentlicht wurden, landete Simon Stones letztjährige Inszenierung von Ibsens «John Gabriel Borkman» gleich in zwei wichtigen Kategorien an der Spitze der Bestenlisten: Die herausragende Koproduktion mit dem Wiener Burgtheater und den Wiener Festwochen wurde zur Inszenierung des Jahres erkoren. Und die in dieser Inszenierung brillierende Schauspielerin Caroline Peters wurde zur Schauspielerin des Jahres ernannt.
Stones Inszenierung hat bereits viele Ehrungen erhalten: Sie wurde unter anderem mit dem Wiener Nestroy-Preis ausgezeichnet und erhielt eine Einladung zum Theatertreffen in Berlin. Den Titel des deutschsprachigen Schauspielhauses des Jahres verpasste das Theater Basel nur knapp. Hier landete das Dreispartenhaus in der Kritikerumfrage auf Platz 2 hinter den ex aequo erstplatzierten Spitzenhäusern Volksbühne und Maxim Gorki Theater in Berlin.
Die Erwartungen sind hoch
Die Erwartungen an die zweite Spielzeit der Ära Beck sind entsprechend hoch. Am 15. September wird sie starten, mit drei Premieren an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Los gehts mit der Uraufführung eines Auftragswerks mit dem Titel «Im Turm zu Basel». Die Autorin Theresia Walser wird darin einen Blick hinter die undurchdringliche Fassade des BIZ-Turms werfen, wo die mächtigen Zentralbanker der Welt an der Wirtschaftsstrippe eben dieser ziehen. Auch hier sucht das Theater die Nähe zum Zeitgeschehen.
Zwei Tage darauf wird die Opernwelt ihren Blick nach Basel richten. Dann wird der begehrte Regie-Shootingstar (und Basler Hausregisseur) Simon Stone seine erste Oper inszenieren. Nicht etwa eines der gängigen Repertoirestücke von Mozart, Verdi oder Wagner, sondern eine Oper, die heute kaum jemand mehr kennt: «Die tote Stadt» von Erich Wolfgang Korngold. In den 1920er-Jahren, als diese Oper entstand, war sie ein Welthit. Und Korngold wurde später in den USA zum Vater der sinfonischen Filmmusik. Zeit also, den Komponisten aus der Vergessenheit zu ziehen. Denn am Puls der Zeit kann nur operieren, wer die Vergangenheit kennt.