«Alice wer?»
Fragende Blicke in der Redaktionssitzung. Der Kulturredaktor klärt netterweise auf: «Alice Phoebe Lou, die kenn ich. Die ist gut», sagt er kopfnickend.
Gut ist sie nun wirklich nicht. Alice Phoebe Lou ist so, dass man sie packen, ihre Stimme in ein Konfiglas pressen und es fest verschrauben möchte. Sie mitnehmen, wohin man auch geht. Um das Glas hin und wieder einen Spalt zu öffnen, es ans Ohr zu halten und dem Zucker zu lauschen.
Man könnte auch einfach ein Spotify-Abo lösen, aber wo bliebe da die Challenge?
Die feuerspuckende Alice
Alice Phoebe Lou zum Beispiel mag Challenges. Mit 16 ist die heute 24-jährige Südafrikanerin allein von den Klippen des Kaps losgezogen zu den Strassen von Paris. Und spuckte Flammen. Buchstäblich, sie war tatsächlich als Feuerkünstlerin unterwegs.
Einen Sommer lang zeuselte sie in den Gassen, dann kehrte sie zurück nach Südafrika. Mit 18 kam sie wieder alleine nach Europa, zuerst nach Amsterdam, dann Berlin. In der deutschen Hauptstadt merkte sie: Die Musik war ihr eigentliches Feuer.
Und die Münzen lagen den Passanten lockerer in der Hand, wenn sie sich nicht vor den Feuerstössen ducken mussten. Mit ihrer Gitarre stellte sich Lou auf die Strasse. «Es war fürchterlich – fucking fürchterlich», beschrieb sie ihr erstes Mal 2015 in einem Interview mit dem Magazin Café Babel. Doch es wurde besser, wie man hier sieht:
Es wurde sogar so gut, dass die 19-jährige Lou beschloss, in Berlin zu bleiben und sich bei der Warschauer Brücke oder im Mauerpark über die Runden zu singen. «Musik war mein Weg fort von all dem, was ich nicht tun oder sein wollte, von einem Leben der Monotonie. Musik ist meine letzte Hoffnung. Mit 19 Jahren ist es meine letzte Hoffnung», sagte die Folk-Sängerin zu jener Zeit in einem Youtube-Interview. Dabei hatte die Tochter zweier Dokumentarfilmer ursprünglich die Idee, in Südafrika Anthropologie zu studieren.
Diese Stimme sprengt (leider) jedes Konfiglas
Daraus wurde jedoch nichts – zum Glück! Hinter den hellblonden Haaren, den blauen Augen und dem zarten Gesicht dieser Alice im Wunderland steckt nämlich eine Kraft, die einen erschreckt. Seien wir ehrlich: Kein Konfiglas der Welt könnte dieser Wucht standhalten. Lous Lieder beginnen oft langsam und zart. Ihre Stimme ist fein, aber wenn sie ausholt, dann kommt das Raue, das jeden Zweifel an ihrem Können wegschmirgelt. Und Platz schafft für die Oktaven-Sprünge, wie sie die junge Kate Bush nicht besser hätte stehen können. Aber hören Sie doch selbst:
Auch den Berlinern gefiel, was sie da hörten. Hunderte von ihnen pilgerten jeweils zu den Strassenauftritten der jungen Frau mit Gitarre, die «Berliner Morgenpost» verlieh ihr schliesslich den Titel der «populärsten Strassenmusikerin Berlins». Nach ihrem Auftritt bei einem TEDx-Talk 2014 in der Stadt hörte plötzlich die ganze Welt mit.
Major-Labels klopften an, Coldplay wollten die mittlerweile 21-jährige Strassenmusikantin auf Europatournee mitnehmen. Und das, obwohl Lou die kommerzgetriebene Pop-Industrie öffentlich kritisierte. Mit Kritik spart sie auch in ihrer Musik nicht: In «Society» singt sie über aufgezwungene Werte, in «She» über die Diskriminierung von Frauen.
Lou lehnte alle Label-Angebote ab. Dafür begleitete die Sängerin Rodriguez (der aus dem Oscar-gekrönten Dokumentarfilm «Searching for Sugar Man») bei seiner Tour durch Südafrika: Da weiss jemand, was sie will und nicht will.
Mittlerweile hat die Folk-Sängerin einen Manager, immerhin tourt sie durch Europa, Afrika und Asien. Ganz ohne Kompromisse will es nicht gehen. Ihr erstes Album «Orbit» von 2016 erscheint bei Motor Entertainment. Lou muss das Label für den Vertrieb ihres Albums zwar am Verkaufserlös beteiligen, behält aber zu jedem Zeitpunkt die Rechte an ihrer Musik.
Bleibt zu hoffen, dass es so bleibt. Sonst nehmen Sie am Freitag sicherheitshalber ein Konfiglas mit.
Alice Phoebe Lou am «Stimmen»-Festival: Freitag, 20. Juli, ab 20 Uhr im Rosenfelspark Lörrach. Tickets gibt es hier.