Die unglaubliche Tilda Swinton hat für einmal danebengegriffen: Bei ihrem neuen Film «A Bigger Splash» schläft einem das Gesicht ein. So ein Ausrutscher kann den besten Schauspielern passieren. Wieso stört es uns bei Swinton also so ungemein?
Es gibt Schauspielerinnen, die brauchen einen einzigen Auftritt, und man vergisst sie nie wieder. Einmal kurz aufgetaucht und schon sind sie für immer auf unserer Netzhaut eingebrannt, als die unfassbar Talentierte (Lupita Nyong’o in «12 Years a Slave»), die unfassbar Witzige (Ilana Glazer in «Broad City»), die unfassbar Schöne (Freida Pinto in «Slumdog Millionaire») oder – wenn man wirklich nur noch schauen kann und einem dabei jegliche Worte entfallen – die unfassbar Unfassbare.
Wie Tilda Swinton.
Tilda Swinton ist so unfassbar unfassbar, dass es einem ganz unheimlich ums Herz wird, wenn die knochige Schönheit wieder einmal über die Leinwände der Welt schwebt. In jedem der rund 50 Filme, in denen sie (mit 55!) mitgespielt hat, sieht sie komplett anders aus, von der bitchigen Chefredakteurin eines Männermagazins bis zur blutleeren Vampirsbraut kann Swinton jeden erdenklichen Menschentypus verkörpern.
Tilda Swinton kann sich in jede Rolle perfekt hineinleben, diese aber war ihr geradezu auf den Leib geschneidert: Swinton als Vampirfrau Eve, in Jim Jarmuschs «Only Lovers Left Alive». (Bild: Sandro Kopp)
Dabei sieht die Schauspielerin alles andere als wie eine beliebig auszufüllende Fläche aus: Sehr gross und sehr mager, mit einer Haut wie die einer Schneekönigin, zart und adelsblass. Wüsste man nicht, dass sie eine Frau ist, man könnte sie ebenso für einen Mann halten. Geschlechterschubladen lassen sich bei ihr nicht aufmachen.
Dazu Augen wie grüne Murmeln, die ihr Gegenüber unerbittlich fixieren und an die Grenze zum Unbehagen drängen. Es sind diese Grenzen, die Swinton so einzigartig machen: Man kann sich nicht sattsehen an ihr, die Faszination wird dabei aber immer von einem Frösteln begleitet, als wäre man in der Präsenz von etwas Göttlichem, einem Wesen von einem anderen Stern.
Und als wäre dieses ausserirdische Aussehen nicht genug, wird es auch noch begleitet von einer geradezu massiven Ausstrahlung, die eindringlich durch die Murmeln glüht, egal ob sie jetzt gerade ein Werbe-Interview für die Mercedes-Benz-Fashion-Week führt oder kurz davor ist, sich an der Halsschlagader eines Sterblichen festzusaugen.
Swintons Adelsblässe kommt nicht von ungefähr: Die Schauspielerin entstammt einem der ältesten Clans Schottlands, dem Clan Swinton. Ihre Kindheit verbrachte sie mit drei Brüdern auf den majestätischen Anwesen des Clans, dunkle Schlösser in den Highlands – grosse, wilde Gärten, schwere Samtvorhänge, Hauspersonal, das ganze Programm. Zur Schule ging sie in ein Privatinternat in Kent, zusammen mit Diana Spencer, der späteren Prinzessin von Wales.
Entsprechend gediegen waren auch die Ansprüche, die auf der jungen Tilda lagen: «Wife of the establishment» hiess das Lebensziel, Ehefrau eines reichen Dukes, sediert mit ein paar Kindern, Inneneinrichtung und Charity Dinners. Während der Schulzeit habe sie kein Wort geredet, meinte sie einmal zum «Guardian», so unangenehm sei ihr der britische Upperclass-Zirkus gewesen.
Weg vom Aristokraten-Brimborium
Nach der Schule ging sie nach Cambridge und studierte Sozial- und Politikwissenschaften. Hier entfloh sie dem Aristokraten-Brimborium, indem sie sich der Kommunistischen Partei anschloss und anfing, Theater zu spielen, erst auf der College-Bühne, dann in der Royal Shakespeare Company. Irgendwann kamen Rollen im Fernsehen, erste Filmengagements und schliesslich die grossen Hollywood-Regisseure, Cameron Crowe, Jim Jarmusch, die Coen-Brüder.
Ja, auch das ist Tilda Swinton: Als schrumplige Dame in Wes Andersons «The Grand Budapest Hotel», man könnte auch sagen: als Zukunftsvision. (Bild: zVg)
Seither hat es Swinton geschafft. Sie hat sich von der Theaterbühne in die Hollywood-Studios hochgearbeitet, kühn und mondän und mit dem selbstverständlichen Selbstbewusstsein einer privilegiert Geborenen. Das kann arrogant wirken und man kann es ihr durchaus ankreiden, klar, aber dann würden wir auch die Freude diskreditieren, die wir jedes Mal empfinden, wenn diese engelsgleiche Gestalt auf dem Bildschirm auftaucht. Rauh, verwegen, zugleich elegant und zart, durch und durch Abbild ihrer Herkunft. Ihren Filmen nimmt sie den ordinären Mainstream-Charakter und verleiht ihnen Grandezza und Schönheit.
Kurzum: Steht da Tilda Swinton? Wird ein guter Film sein. Das gilt sogar für «Die Chroniken von Narnia», die trotz hochgradig grenzwertigem Kitsch doch noch so etwas wie Klasse ausstrahlen, dank dieser fabelhaft grausamen Schneekönigin, die reihenweise Kinderherzen zum Gefrieren bringt.
Swinton rockt sogar gewöhnungsbedürftige Walküren-Outfits (aus «Prinz Kaspian von Narnia»). (Bild: Phil Bray)
Und jetzt?
Alles Argumente, die dafür sprechen, dass wir es hier mit einer der klügsten, schönsten, talentiertesten Schauspielerinnen zu tun haben, die uns Hollywood momentan bietet.
Und die kürzlich leider gehörig danebengegriffen hat.
«A Bigger Splash» erzählt die Geschichte des Rockstars Marianne (Swinton), die mit ihrem Loverboy ein paar Wochen Urlaub auf Pantelleria macht. Die Ferien sind als Genesungspause gedacht – Marianne muss sich von einer Stimmbänder-Operation erholen, ihr Freund Paul hat Entzug und Selbstmordversuch hinter sich.
Die beiden geniessen die Sonne, wälzen sich im Strandmatsch und lieben sich im hellblauen Pool. Bis die Ruhe gestört wird: Auftritt Mariannes überschwänglicher Ex Harry, ein sunny Musikproduzent mit 17-jähriger Tochter. Beide haben es auf das Paar abgesehen – Harry auf seine alte Flamme, Tochter Penelope auf den dauertrübseligen Paul.
Brillante Besetzung, fader Inhalt
Diese Ménage-à-quatre könnte ganz interessant sein, besonders mit dieser fantastischen Besetzung, die Regisseur Luca Guadagnino um sich geschart hat: Swinton, die bereits in seinem letzten Film «Io Sono l’Amore» brilliert hat, der Belgier Matthias Schoenaerts als Paul, «Fifty Shades of Grey»-Dakota Johnson als Penelope, die genau den richtigen Ton zwischen Desinteresse und Frivolität für ihre Rolle als 17-jähriges Gör anschlägt. Und den grossartigen Ralph Fiennes als Harry, der gleich noch eins draufsetzt und mit unverwüstlicher Energie alle an die Wand spielt.
Leider macht eine hochkarätige Besetzung noch lange keinen guten Film. «A Bigger Splash» bietet überhaupt keine Splashs, er plätschert dröge vor sich hin, die Dialoge uninspiriert, der Plot nach zehn Minuten erzählt. Alle machen alle an, alle haben irgendwie was mit allen, am Ende stirbt jemand und man ist nicht berührt.
Berührt ist man in erster Linie nur ob einer Tatsache: Tilda Swinton hat sich getäuscht! Mit diesem Film ist ein Stück von ihrem Zauber verflogen, ihrem sonst so sicheren Händchen für tolle Stoffe kann nicht mehr blind vertraut werden. Wo Swinton steht, wird in Zukunft vielleicht kein guter Film mehr drin sein.
Nur: Wieso regt uns das so auf?
In Tilda Swintons ausserirdischer Erscheinung erleben wir das Erhabene. Wir beobachten sie auf der Leinwand mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination, sie ist keine von uns, aber menschlich genug, um sie unserer Lebenswelt zuzuordnen. Damit erfüllt Swinton die Rolle des Schauspielers mehr als jeder andere Darsteller unserer Zeit: Eine Figur, die unnahbar und berührend zugleich ist, die uns unsere Mickrigkeit vor Augen führt und gleichzeitig das Gefühl gibt, etwas Grossem beizuwohnen.
Wenn sich diese Figur nun täuscht, ist dieses Gebilde in Gefahr. Es gibt keine Perfektion mehr, in der wir uns spiegeln können. Das makellose Gesicht hat ein paar Altersflecken bekommen, die wir nur schwer akzeptieren können. Das Unfassbare wird langsam fassbar, das Erhabene immer menschlicher. Das ist irgendwie sympathisch, sicher. Nur hat ein Ideal nicht sympathisch zu sein.