50 Vertreterinnen und Vertreter der Basler Literaturszene wenden sich in einem offenen Brief an Philippe Bischof, Kulturverantwortlicher des Kantons Basel-Stadt. Streitpunkt sind Aussagen Bischofs, die er in einem Interview mit der TagesWoche gemacht hat.
Sehr geehrter Herr Bischof,
Die TagesWoche vom 20. April brachte ein Gespräch mit Ihnen zum Basler Kulturleitbild 2012–2017. Dabei kamen Sie auch auf die Literatur zu sprechen. Unter anderem sagten Sie, die Literatur in Basel sei zurzeit nicht herausragend, und Sie präzisierten: «Wir hätten schreiben können: ‹Literatur ist in Basel nicht relevant› – aber das wäre völlig falsch gewesen. Denn Literatur ist in einem bestimmten Umfeld sehr wichtig und gerade in jungen Bereichen sehr aktiv, etwa der Slamszene. Es geht immer auch um die Wertschätzung und die (symbolische) Achtung der einzelnen Sparten.»
Wir haben Ihre Äusserungen mit einigem Befremden gelesen. Von einem Kulturchef würde man erwarten, dass er sich mit den einzelnen Sparten auseinandersetzt, ihre Leistungen würdigt und sie nach Kräften unterstützt. Sie tun das Gegenteil, Sie zeichnen ein Bild, das mit dem, was im literarischen Leben in Basel zurzeit geschieht, nichts zu tun hat. Für die Literatur haben Sie nur gerade eine symbolische Achtung übrig, was wohl nichts anderes heisst, als dass die Literatur Ihrer Meinung nach wahre Achtung nicht verdient hat.
Die Literaturstadt Basel sehen wir in einem ganz anderen, einem durchwegs positiven Licht. Auch das Kulturleitbild, das Sie selber mitverfasst haben, beschreibt eine vielgestaltige und lebendige Literaturszene. Es ist stossend, wie weit Sie als Kulturverantwortlicher bei der medialen Präsentation hinter die Position dieses Papiers zurückfallen. Wir bitten Sie, auf Ihre Äusserungen zurückzukommen und die folgenden Fragen zu beantworten:
1. Im Bereich Literatur ist in den letzten Jahren in institutioneller Hinsicht mehr in Bewegung gekommen als in jeder anderen Sparte. Die BuchBasel ist zur ersten Buchmesse in der Deutschschweiz herangewachsen; der Schweizer Buchpreis wird in unserer Stadt vergeben; das Literaturhaus erfreut sich grossen Zuspruchs und hat sich zu einem literarischen Zentrum weit über die Kantonsgrenzen hinaus entwickelt; das Lyrikfestival ist zum bedeutendsten Anlass seiner Art in der Schweiz geworden; jedes Jahr wird der Basler Lyrikpreis verliehen, und ab diesem Jahr wird es in Basel – jeweils am 2. Samstag im September – einen Tag der Poesie geben.
Fragen: Wie kommen Sie zum Schluss, die Literatur sei nicht relevant? Was müsste geschehen, damit die Literatur Ihrer Ansicht nach dieses Prädikat verdient? Womit würde der Staat die entsprechenden Bestrebungen unterstützen?
2. Basel hat eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren, die über die Stadt, über die Region, über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind und als gewichtige Stimmen im gesamtschweizerischen Kontext wahrgenommen werden. Dies in allen Gattungen der Belletristik, in der Prosa, dem Drama, der Lyrik, dem Krimi, aber auch in der Sparte Sachbuch und dem von Ihnen erwähnten Slam.
Fragen: Was meinen Sie damit, die Basler Literatur sei nicht herausragend? Was ist in Ihren Augen «herausragend»?
3. Alle genannten Institutionen haben sich in der letzten Zeit nachweislich dadurch ausgezeichnet, dass sie neue Publikumsschichten mobilisiert haben. Als Stichworte mögen genügen: Ausbau des populärliterarischen Teils der BuchBasel, Diversifikation des Angebots im Literaturhaus, Einbezug von Rap und Spoken Poetry im Lyrikfestival.
Fragen: Was bringt Sie dazu zu sagen, die Literatur sei (nur) in einem bestimmten Umfeld wichtig? Warum diese vorsätzliche Marginalisierung der Literatur, die allen Bestrebungen der Akteure auf dem Platz zuwiderläuft?
Es würde uns freuen, von Ihnen eine Antwort zu erhalten.
Mit freundlichen Grüssen,
- Freddy Allemann, Autor, Leiter Théâtre de la Fabrik Hégenheim
- Urs Allemann, Autor
- Corinne Banora, Autorin
- Martin Roda Becher, Autor
- Aernschd Born, Autor, Songpoet
- Wolfgang Bortlik, Autor
- Dagmar Brunner, Redaktionsleitung «ProgrammZeitung»
- Rudolf Bussmann, Autor, Präsident Internationales Lyrikfestival Basel
- Martin R. Dean, Autor
- Albert M. Debrunner, Präsident Allgemeine Lesegesellschaft Basel
- Katrin Eckert, Intendantin Literaturhaus Basel
- Bonnie Faust, femscript
- Katja Fusek, Autorin
- Peter Gisi, Autor
- Valentin Herzog, Autor, Präsident Arena Riehen
- Petra Hofmann, Autorin
- Lukas Holliger, Dramatiker/Kultur-redaktor SRF
- Ingeborg Kaiser, Autorin
- Christoph Keller, Autor
- Friederike Kretzen, Autorin
- Guy Krneta, Autor
- Jürg Laederach, Autor
- Jan Lurvink, Musiker/Autor
- Peter Mathys, Autor
- Roland Merk, Autor
- Roger Monnerat, Autor
- Jacqueline Moser, Autorin
- Esther Murbach, Autorin
- Rolf Niederhauser, Autor
- Annemarie Pieper, em. Prof. der Philosophie, Universität Basel
- Barbara Preusler, Leitung Kulturpavillon
- Philipp Probst, Autor
- Katka Räber-Schneider, Autorin
- Markus Ramseier, Autor
- Kathrin Schärer, Kinderbuchillustratorin und -autorin
- Gottfried Schatz, Buchautor und Essayist
- Urs Schaub, Autor, Projektleiter Leseförderung ED Basel-Stadt
- Irène Speiser, Autorin
- Markus Stegmann, Autor
- Alisha Stöcklin, Mitorganisatorin Tag der Poesie
- Verena Stössinger, Autorin, Leitung «Lektorat Literatur»
- Katarina Tanner, Autorin
- Brigitte Tobler, Autorin
- Patrick Tschan, Autor
- Felix Werner, Messe- und Festivalleiter BuchBasel
- Gertraud Wiggli, Lyrikerin
- Daniel Zahno, Autor
- Ivo Zanoni, Autor
- Kathy Zarnegin, Autorin
- Martin Zingg, Publizist
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12