«We want the people to go wild»

Am 25. Oktober zieht das Belgrader Krokodil-Festival im Volkshaus ein. Der Höhepunkt dieses Wochenendes kombiniert seriöse Literatur mit Musik und Video zu einer wilden Performance. Was steckt dahinter? Wir trafen den Mitbgeründer Vladimir Arsenijević.

Ein so ernster Blick, Herr Arsenijević? Dabei lacht er doch so gern. Genau diese Stimmungen zusammenzubringen, soll seinem Festival gelingen. (Bild: Valentin Kimstedt)

Am 25. Oktober zieht das Belgrader Krokodil-Festival im Volkshaus ein. Der Höhepunkt dieses Wochenendes kombiniert seriöse Literatur mit Musik und Video zu einer wilden Performance. Was steckt dahinter? Wir trafen den Mitbgeründer Vladimir Arsenijević.

Vladimir Arsenijević kommt mit Alexa Tepen von Culture Scapes zum Volkshaus und ist bereits im Gespräch. Mit Arsenijević gibt es nichts anderes als Gespräch. Das ist nicht bedauerlich, denn der 48-jährige Serbe hat viel zu sagen. Auf meine spröde Allerweltsfrage, welche Botschaft er gern rüberbringen würde mit dem Krokodil-Festival, das er 2009 in Belgrad mitbegründet hat und das sich vorgenommen hat, am Freitagabend, 25. Oktober, das Volkshaus aufzumischen, auf diese Frage hat er natürlich nichts zu sagen. Und gibt damit die beste Antwort. Er will mit dem Hybrid aus Autorenlesung und Show das Publikum erreichen, das ist alles.

Krokodil – das klingt herzig, klingt nach Kinderbüchern von Janosch. Ganz so falsch ist das vielleicht gar nicht. Arsenijević weiss, dass Autorenlesungen eine schwierige Sache sind. Tischchen, Mikro, Glas Wasser: ganz, ganz schwierig. «Es gibt immer noch den Glauben an die Magie des gelesenen Wortes. Der ist falsch.» Deswegen holt er verschiedene Autoren auf die Bühne. Kein Auftritt darf länger als zehn Minuten dauern, performed wird im Stehen. Das Wort Lesung kommt bei Arsenijević nicht vor, dafür mehrmals das Wort Show.

Literatur-Show – eine Anbiederung?

Nich unheikel. Ist Anbiederung im Busch? Doch es scheint nicht so. Die Autoren (diesen Freitag neben Vladimir Arsenijević Daša Drndić, Andrej Nikolaidis und Nenad Veličković aus Kroatien, Montenegro und Bosnien) schreiben seriöse Texte, ein poltischer Ansatz ist immer im Hintergrund. Wenn ihr Vortrag nicht groovt, gibt es Hilfsmittel, Musik, Video, Licht. Das Zusammenspiel ist akurat geplant, improvisiert wird nicht, über die ganze Show werden zwei Grossleinwände von einem VJ bespielt. Die Musik besorgt die Band KAL mit einem Motto, das nicht weiter ergänzt werden muss: «Rock’n’Roma».

«Jugoslawien war ein grosser Raum ohne nationale Grenzen. Mir hat das sehr getaugt.»


Vladimir Arsenijević, Autor und Gründer von «Krokodil»

Im Verlauf des Gesprächs kristalisiert sich Arsenijevićs kulturelles Anliegen sehr wohl heraus. Und zwar beim Thema der nationalen Identität: «Die Leute fragen mich: Was sagst du da und dazu aus serbischer Sicht? Für mich ist das egal. Ich habe keine serbische Sicht.» Heimat ist, wo das Herze ist, diesen kitschigen Satz zitiert auch Vladimir Arsenijević und lacht. Ein Ort fliesst in sein Heimatnetzwerk ein, wenn er mit ihm etwas verbindet, Freundschaft, Begegnung. «Jugoslawien war ein grosser Raum ohne nationale Grenzen. Mir hat das sehr getaugt.»

Kein Interesse an nationalen Grenzen

Und darum geht es bei Krokodil. Arsenijević trommelt Autoren aus verschiedenen Regionen des Balkans zusammen, fährt damit um die Welt und tischt den Leuten eine Performance auf, dass sie berauscht nach Hause gehen. Und irgendwann vielleicht merken: Krass, die kamen ja aus den verschiedensten Ecken – aber so what!

Arsenijević selbst schreibt über die Geschichte seines Grossvaters, der in die Schweiz ging und in Zürich Oerlikon lebte. Bis ans Lebensende hatte er lediglich den Nansen-Pass, ein Reisedokument für staatenlose Flüchtlinge. Der Pass wurde vom Land ausgestellt, in dem sich der Flüchtling zu diesem Zeitpunkt aufhielt, und erlaubte ihm die Rückkehr dorthin. Mit dem Nansen-Pass war man ein nationaler Niemand. Zugleich ist der Pass eine Utopie, der Arsenijević sehr zugetan ist: «Wenn jeder einen Nansen-Pass hätte, statt dem Pass seiner Herkunft, wären Nationalstaaten und ihre Grenzen überflüssig.»

Das Format Lesung in eine andere Sphäre hieven

Ein Literaturabend mit kosmopolitischer Botschaft, die nicht formuliert wird, und mit seriöser Literatur, die als wilde Performance daherkommt – das klingt bestechend. Am Eröffnungsabend vom 24. Oktober ging es ebenfalls darum, Grenzen aufzubrechen. Oder eher darum, sie gar nicht aufkommen zu lassen. «Kleine» Autoren aus der Region standen auf derselben Bühne wie der «grosse» Christoph Ransmayr. Balthasar Streiff holte immer noch ein Blasintrument aus der Tasche, das niemand von uns je gesehen hatte. Sehr kauzig, sehr gut für diesen Abend. Freilich blieb es eine Veranstaltung im sitzen, auch wenn die Redner standen. Es blieb der Tonfall der intellektuellen Kunstlesung im Saal – und das ist gut so.

Doch es wird spannend, ob Krokodil das Format der Autorenlesung in eine andere Sphäre hieven kann. Keine höhere, keine tiefere, sondern eine geladenere: «We want to make the people go wild», gibt Arsenijević den Tarif durch. Krokodil hatte bereits Publikum von über tausend Menschen. So, wie die Stimmung ist, mit Arsenijević im Café, kann man ihm das gut glauben.

  • Das Krokodilfestival im Volkshaus: 25.10., 21 Uhr, Volkshaus. Die Autoren und Moderatoren sprechen in ihrer Muttersprache. Es wird mit Spruchbändern und live übersetzt.

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