Wednesday Night Was Alright For Fighting

Sir Elton John begeisterte am Mittwochabend mit seiner Greatest Hits Live-Show zur Eröffnung der Martkplatzkonzerte am Stimmenfestival.

Elton John versteht sich mehr als Entertainer denn als Songwriter. Und das ist er mit Leib und Seele. (Bild: Juri Junkov)

Sir Elton John begeisterte am Mittwochabend mit seiner Greatest Hits Live-Show zur Eröffnung der Martkplatzkonzerte am Stimmenfestival: 140 Minuten voller symphonischer Wunderkerzen-Momente, donnerndem Südstaaten-Rock und etlichen Songs aus dem Jubiläumsalbum «Goodbye Yellow Brick Road».

«Ich kann zu mehr oder weniger allen Worten eine passende Melodie schreiben», sagt er 2005 bei einem Interview im New Yorker Actor’s Studio. Und fordert die Zuhörer der Schauspielerwerkstatt auf, ihm doch ein Buch auf die Bühne zu bringen. Und dann setzt sich Elton John mit Ibsens «Peer Gynt» an den Flügel, schlägt willkürlich eine Seite auf und vertont nach kurzem Moment der Sammlung eine dramatische Szene aus dem Zweiten Akt live vor seinen verblüfften Zuhörern.

Es gehört ohne Zweifel Genius dazu, so aus dem Jetzt zu schöpfen. Doch Genius läuft ohne solides Handwerk ins Leere. Beides greift in den Songs von Elton John so grandios ineinander wie bei kaum einem Songwriter.

Doch gerade diese Bezeichnung mochte er nie hören: Er verstand und versteht sich als Entertainer. Als genial und handwerklich agierender Unterhaltungskünstler, der sogar eine Unpässlichkeit überspielte. So präsentierte sich der 67-jährige denn auch auf dem vollen Lörracher Marktplatz mit Band. Mit einjähriger Verspätung, hatte der Brite letztes Jahr doch krankheitsbedingt absagen müssen.

Kleine Rockoper zum Einstieg

Während seine fünf Mitstreiter allesamt in saturierten Zwirn gewandet sind, hat sich der Sir seinen modischen Spleen bewahrt: In einem glitzernden Frock Coat mit der Rückenaufschrift «Madman Across The Water» kommt er zu den donnernden Synthi-Salven von «Funeral For A Friend» auf die Bühne. Mit beachtlicher Wucht stanzt er barocke Figurationen aus den Tasten, sein Gesangseinsatz ist kraftvoll und präzise. Man hört – wie im weiteren Verlauf des Abends – den alten Elton der Siebziger vor allem in den explosiven Phrasen durch. In den Balladen hat sein Timbre ein tiefviolette Legierung angenommen.

Dieser Einstieg gerät für sich schon zu einer kleinen Rockoper. Daran haben die schön abgezirkelten E-Gitarrensoli von Davey Johnstone, mit wehender Blondmähne vor dem Ventilator. Johnstone ist ein Band-Urgestein genau wie der an den Drums etwas rigide und müde wirkende Nigel Olsson.

Der Prolog ist gelungen, die Leute – überraschend gut generationendurchmischt – sind aus dem Häuschen. Elton John schreitet zu den Bühnenrändern, grüsst huldvoll und verschmitzt, pickt sich mit dem Zeigefinger immer wieder einzelne Fans heraus. Mit seinem tapsenden Schreiten mutet er an wie eine Mixtur aus mildem Sonnenkönig und der Star Trek-Figur Neelix.

Ein Dynamiker ist der Altstar nie gewesen: Das Pianoforte dient ihm für ein permanentes Fortissimo.

Weiter gehts mit «Bennie & The Jets», dessen herrlich marschartige Akkorde er bluesig aufüllt, dem durch die reife Stimme noch trauriger tönenden «Candle In The Wind» und dem funkigen «Grey Seal», allesamt aus dem Meilenstein «Goodbye Yellow Brick Road». Und schon kommt der Verdacht auf, Elton John sei auch auf die derzeit so beliebte Schiene eingeschwenkt, komplette Alben zu spielen, wie das Peter Gabriel, Yes oder Fleetwood Mac derzeit praktizieren. Anlass genug gäbe es, denn das Werk ist ja gerade 40 geworden.

Doch mit der Ballade «Levon» wird die Linie unterbrochen: John holt dazu seine beiden kroatischen Lieblinge von den 2Cellos auf die Bühne. Sie werden zusammen mit den manchmal etwas klebrigen Keyboards von Kim Bullard die orchestrale Textur andeuten, die einst Arrangeur Paul Buckmaster den frühen Klassikern verpasst hat. Die Jungs tun auch munter mit Pizzicati bei den Uptempo-Stücken mit, leider hört man sie oft kaum.

Symphonische Wärme hier, Rhythm and Blues-Feeling der alten Schule da – von diesen Polen lebt der weitere Verlauf der Show. Die Soulsubstanz fällt dabei sehr weiss aus, denn die vier Backgroundsängerinnen um Legende Tata Vega, die beim Freiburger Auftritt vor drei Jahren dabei waren, sind leider zuhause geblieben.

Allerdings besitzt die Band mit Kim Bullard einen Perkussionisten, der auch als vokale Allzweckwaffe eingesetzt wird und seinen Chef immer wieder bei kniffligen Falsett-Fallen auffängt: So im Refrain von «Goodbye Yellow Brick Road» oder bei der «sad situation» in «Sorry Seems To Be The Hardest Word».

Wie viel der Protagonist letztlich auch seiner klassischen Ausbildung verdankt, demonstriert er eindrücklich in einem Solo, aufgeladen mit Chopin- und Rachmaninoff-Harmonik, in die Blue Notes hineinstolpern. Das alles dient schliesslich nur als gigantisches Intro zum «Rocket Man». Ein Dynamiker allerdings ist der Altstar nie gewesen: Das Pianoforte dient ihm für ein permanentes Fortissimo.

Wunderkerzen schwingen mit

Dann muss er – man merkt ihm jedoch kein Schwächeln an — für ein paar Minuten von der Bühne. Mit Michael Jackson- und U2-Covern überbrücken die Cello-Akrobatiker – doch sorry, das steckt leider wie ein Spiess in der Haut dieses Greatest Hits-Abends. Da wirkt es fast bizarr, dass Elton John bei seiner Rückkehr zu «With Or Without You» mitimprovisiert.

Ein Stolperer von Olsson bei «I Guess That’s Why They Call It The Blues» bleibt Randnotiz, denn es schliesst sich der Balladenblock mit so grossartigem Material wie «The One» an, ein seltener Ausflug in die Neunziger. Und schliesslich «Your Song», kollektiv mitgesungen und im Vergleich zur Luftigkeit des Originals gegen Ende doch ein wenig zu aufgebauscht. Anders als die grosse Gospelhymne «Don’t Let The Sun Go Down On Me», die mit ihrem hymnischen Ton Stadien füllen kann. Wunderkerzen schwingen nun auf einem Dach über dem Marktplatz mit.

Entertainer mit Leib und Seele

Es ist dann der Elton John, der sich von Kindheit an so begeistert hat für die Klänge aus den USA, der die Schlusskurve dominiert. Und es wird klar, warum er drüben phasenweise mehr Erfolg verbuchte hat als in der Heimat: Wie er seine Honky Tonk- und Boogie-Improvisationen im Überfluss auf den Flügel hämmert, dazu immer wieder voller Begeisterung mit offenem Mund ins Publikum grinst, wie Gitarrist Johnstone auf seiner Zackengitarre flatternde Riffs dazu krähen lässt, wie Bassist Matt Bisonnette vorwärtspumpt, Keyboarder Bullard von Schweine- bis Kirmesorgel alle Register zündet: Das kann auch keine Südstaaten-Band besser.

«The Bitch Is Back», «I’m Still Standing» und «Saturday Night’s Alright For Fighting» kommen in atemloser Abfolge, und als sich Elton John mal kurz auf den Flügel setzt, wird das fast so begeistert beklatscht wie seinerzeit sein Handstand auf dem Arbeitsgerät.

Klar, nach einer ergreifenden Einlage aus dem «König der Löwen», an die er sich wieder erinnere, seit er zwei kleine Kinder habe, so sagt er, muss noch der «Crocodile Rock» kommen – von fast 5000 La-la-la-la-la-Mäulern wird der Refrain gesungen. In den Schlussapplaus sagt er noch den rührenden Satz: «Mir ging’s heute Abend nicht besonders gut – ich hoffe, ich habe euch trotzdem glücklich genug gemacht.» Das kann nur von einem kommen, der Entertainer mit Leib und Seele ist.

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