Überaus präsente und erfrischend aufspielende Schauspielerinnen und Schauspieler, eine kluge und alles andere als anbiedernde Inszenierung sowie ein packender Stoff: Mit der Bühnenbearbeitung von Otfried Preusslers düsterem Jugendbuch «Krabat» zeigen der junge Regisseur Tomas Schweigen und das Basler Schauspielensemble im Schauspielhaus Kindertheater vielleicht nicht für die Kleinsten, aber vom Feinsten.
Ganz alles habe sie nicht so richtig verstanden, gestand die Zweitklässlerin Maria (mit acht Jahren ist sie altersmässig am unteren Ende des vom Theater Basel empfohlenen Mindestalters) nach der Premiere. Aber der Abend, der mit einunddreiviertel pausenlosen Stunden für eine Kinderproduktion nicht gerade von kurzer Dauer ist, hat sie spürbar gepackt. Und zeitweilig auch köstlich amüsiert. Und viele Fragen lassen sich ja im Gespräch klären, wenn auch nicht alle. Denn auf Kinder wirken gewisse Sachen anders und sie sehen ganz bestimmt mehr als Erwachsene.
Und sie begreifen letztlich meist mehr, als wir ihnen zutrauen. Das zeigt die Antwort auf die Frage, was sie denn gesehen habe: «Da waren Bauernkinder, die haben eine Geschichte erfunden. Sie erzählen sich diese Geschichte und rutschen immer mehr in sie rein. Es geht um einen Buben, der ganz arm ist und allein, weil seine Eltern gestorben sind. Er kommt in eine Mühle, in der ein böser Zauberer herrscht, der jedes Jahr seinen besten Schüler tötet. Und am Schluss wird er durch ein Mädchen, das ihn liebt und das er liebt, befreit.»
Das ist (zugegebenermassen etwas verkürzt wiedergegeben) gut erklärt, auch wenn es in dieser Form etwas zu sehr nach einem Märchen der Grimmschen Art klingt. Preußler hat eine Geschichte geschrieben, die zwar durchaus eine packende Handlung hat, aber viel von den düsteren Gedankenwelten und Seiten erzählt, die die Menschen in sich tragen, vom Streben nach Macht, von Selbstzweifeln und von der Hoffnung. Gut und böse sind hier nicht so klar getrennt.
Märchenhaft-düster
Man kann aus diesem Stoff einen gruseligen Fantasy-Thriller in der Art von Harry Potter auf dem Dorfe machen, wie dies Filmemacher Marco Kreuzpaintner 2008 vollbrachte. Regisseur Tomas Schweigen und Dramaturgin Julie Pauker gehen in ihrer Bühnenfassung einen ganz anderen Weg. Die Bühne (Stephan Weber) zeigt eine etwas sanierungsbedürftige frühindustrielle Mühle bzw. eine in die Jahre gekommene Lebkuchenmann-Fabrik, in der junge Gesellen und Lehrlinge unter der gestrengen Aufsicht der Meisters (Urs Bihler) zur Fliessbandarbeit verdammt sind. Und erst durch das Geschichte-Spinnen der jungen Fliessbandarbeiter entwickelt sich aus dem harten Arbeitsalltag eine märchenhaft-düstere Welt rund um schwarze Magie, Macht und Tod, die nur durch die Kraft der Liebe durchbrochen werden kann.
Das künstlerische Leitungsteam entwickelte zusammen mit dem Ensemble ein ausgesprochen schlüssig gesponnenes dramaturgisches Geflecht, das erklärende und erzählerische Momente geschickt mit immer einnehmender werdenden Spielszenen verbindet. Nach und nach verdichtet sich die erzählte Geschichte zum Bühnenstück um die ebenso verführerische wie zerstörerische Macht der schwarzen Magie. Aus den Müllergesellen schälen sich langsam die Romanfiguren heraus: die von der Hauptfigur Krabat (Gerrit Frers), der sich gegen das Schicksal auflehnt, von seinem Freund Tonda (Lukas Kubik), der als Preis für die schwarze Magie geopfert werden muss, und von all den anderen, trotz der Konzentration schön gezeichneten Figuren (Inga Eikmeier, Adrian Fähndrich, Florian Müller-Morungen, Caroline Schär und Vera von Gunten). Allesamt vollziehen sie den Wandel von den ganz normalen Jugendlichen zu den gebrochenen Zauberlehrlingen mit bewundernswerter Subtilität.
Ein nachdenkenswert-kluger Abend
Das Überzeugende an diesem Abend ist, dass er, auch wenn es ein gewisses und durchaus erfreuliches Mass an Theater- und Verwandlungszauber sowie an verspielten Momenten gibt – natürlich dürfen die unheimlichen Raben aus «Krabat» nicht fehlen –, nicht zum überdrehten Fantasie-Zirkus wird. Natürlich fehlt es nicht an überraschenden und witzigen Einlagen – etwa, wenn sich die schweren Mehlsäcke, die ächzend herumgeschleppt werden müssen, durch magischen Einfluss plötzlich in luftige Papierblasen verwandeln. Aber alles in allem ist es ein ernster und nachdenkenswert-kluger Abend, den Tomas Schweigen den Kindern und ihren erwachsenen Begleitern serviert und letztlich auch zumutet. Völlig zurecht, wie der begeisterte Applaus am Premierenabend zeigte. Allerdings wurde die empfohlene untere Altersgrenze von acht Jahren durchaus mit Bedacht gewählt.
Übrigens: Tomas Schweigen wird zusammen mit seinem Regisseurkollegen Simon Sollberg und dem jetzigen Chefdramaturgen Martin Wigger ab 2012/13 für ein Jahr die Leitung des Basler Schauspiels übernehmen. Die jetzige Kinderproduktion schürt die Spannung darauf, was er dereinst in Basel im Erwachsenentheater zeigen wird. Ende März 2012 wird in der Kaserne Basel überdies die fulminante «Hamlet»-Produktion seiner freien Theatergruppe far a day cage zu erleben sein, eine weitere Möglichkeit, die Vorfreude zu steigern.
«Krabat»
Nach Ottfried Preußler (Theaterfassung: Julie Paucker und Tomas Schweigen)
Regie: Tomas Schweigen; Bühne und Raben: Stephan Weber; Kostüme: Anne Buffetrille; Musik: Martin Gantenbein, Stephan Weber; Dramaturgie: Julie Pauker
Mit: Urs Bihler, Inga Eikmeier, Adian Fähndrich, Gerrit Friers, Philippe Graff, Lukas Kubik, Florian Müller-Mohrungen, Carolin Schär, Vera von Gunten
Weitere Vorstellungen:
7., 10., 11., 12., 15., 18., 19., 20., 21., und 26.12. (unterschiedliche Anfangszeiten: siehe Spielplan)
im Schauspielhaus des Theater Basel