Weibsbilder und Mangamänner: Die Basler Jugend ist los

Chäschte, Flädlisuppe, Weibsbilder, wallende Goldmähnen und baggernde Einhörner: Eine Bestandsaufnahme des JKF-Freitags in fünf Stationen.

Rap auf dem Theaterplatz: Das JKF 2015 hat angefangen!

Chäschte, Flädlisuppe, Weibsbilder, wallende Goldmähnen und baggernde Einhörner: Fünf Stationen Jugendkulturfestival am Freitag.

In der letzten Woche dominierte ein Thema die Redaktionsräume der TagesWoche: Jugendkultur. Was ist sie, was will sie? Wer steckt dahinter? Fragen, die sich nicht ganz einfach beantworten liessen. Jugendkultur lässt sich nicht in eine Schublade stecken (wobei sie als Begriff zugegebenermassen bereits eine Schubladisierung darstellt), und wer Licht in diesen sperrigen Begriff bringen will, der muss sich mit dem beschäftigen, was die Jugendkultur in erster Linie ausmacht: Die Jugend.

Während des JKF geschieht das einerseits mit dem Hashtag #daschjugendkultur, der uns mit Bildern der Besucher und Teilnehmer füttern soll, andererseits mit einer Bestandsaufnahme direkt vor Ort, am Freitagabend, in 5 Stationen:

1. Jugendkultur isch stark: Münsterplatz

Erster Halt ist der Münsterplatz und schon hier fängt es bei mir an mit der Kategorisierung: Ein Revier jener Art von Jugend, die man früher als Vorwand brauchte, um sich dann doch heimlich bei den jungen Anarchos mit Denner-Bier und schlecht gerollten Joints zu berauschen. Jene Jugend, bei der die Eltern immer wohlwollend nickten, sobald man sich mit ihr in Verbindung setzte: Sportlich, braungebrannt, gutgelaunt und wohlerzogen. Nur die Sprayer am Anfang des Münsterplatzes, die zwei Container mit beeindruckenden Bildern versehen, scheinen nicht ganz reinzupassen.

#daschjugendkultur
Jugendkultur hat 1000 Facetten, die wir allein unmöglich beleuchten können. Deshalb sind wir auf eure Hilfe angewiesen: Wir sammeln unter dem Instagram-Hashtag #daschjugendkultur die besten Bilder vom JKF 2015. Mitmachen und berühmt werden (ein kleines bisschen, vielleicht).

Aus grossen Boxen singt Asaf Avidan «one day baby we’ll be old» und ich laufe nach hinten zu den Parkour-Jungs, die so cool sportlich, braungebrannt und gutgelaunt daherkommen, dass ich mich für meine Schubladisierungswut schäme. Täusche ich mich, oder war das bei uns noch klarer abgetrennt – Sportler, Hippies, alle Sorten von links- oder rechtsaktiv und Streber? Die rumspringenden Jungs hier scheinen sich nicht um solche Einordnungen zu scheren. Sie haben auch gar keine Zeit dafür, denn ein paar Meter weiter stemmt gerade eine Maschine von Mädchen eine Hantel mit Gewichten, so schwer wie Babyelefanten.

Unsere Kinnladen klappen nach unten. Als sie die Hantel wieder runterlegt, laufe ich zu ihr. «Wieviel hast du da grad gestemmt?» – «140 Kilo» antwortet sie so nonchalant, als ginge es um ihr tägliches Abwasch-Ämtli. Ich lache ungläubig und schaue nach hinten zu den Jungs, die starren aber zugleich so tun, als seien sie beschäftigt. 
 

2. Jugendkultur isch verhängt: Literaturhaus

«Tut mir leid, die Vorstellung ist leider vorbei» sagt die nette Frau hinter dem Tresen im Literaturhaus. Wir schauen ungläubig auf die Uhr. Vor lauter Babyelefanten-Stemmerin haben wir die «Brühend»-Vorstellung verpasst.

Typisch Jugend, hängengeblieben. Zum Glück sind noch ein paar da, die uns erklären können, was passiert ist: «Man hörte Küchengeräusche, es wurden Zwiebeln angedämpft, dann wurde abgelöscht, dann roch es nach frischem Gebackenem – und nach 20 Minuten war es vorbei» meint die Frau am Tresen – «die Gäste waren schon ein bisschen traurig», lacht eine der Schauspielerinnen, die hinten am langen Tisch Gläser stapelt. Im Raum riecht es nach Flädlisuppe.

3. Jugendkultur isch nid bescheide: Theaterplatz

Auf dem Weg zum Theaterplatz laufen wir an einer Tafel vorbei, wo jemand «Diesen Charakterzug hätte ich gerne» draufgeschrieben hat, mit Zeilen zum Ausfüllen darunter. Die Zeilen sind weitgehend leer, nur zweimal steht «bescheiden». 

Am Theaterplatz treten «Vybezbilder» auf. Wir lachen über den Namen und fantasieren im Vorfeld über die Palette an Klischees, die wir uns von einem Auftritt einer Crew mit solchem Namen erhoffen. Glücklicherweise werden wir eines Besseren belehrt: Diese rappenden Vollweiber sind vielleicht kurios in ihrer Namensgebung, auf der Bühne sind sie grossartig. Das sehen nicht nur wir so, das Publikum ist zahlreich, vorwiegend tanzende junge Frauen mit ihren leicht apathischen männlichen Anhängseln, die mit grossen Augen auf die wackelnden Körperteile der Rapperinnen glotzen.

4. Jugendkultur isch «ROAAAAARRRRRRRRR!!!»

«Willkommen, willkommen!» Fabian Degens Augen blitzen, so, wie sie im Verlauf der nächsten Stunde noch öfters blitzen werden: Freudig, aufgekratzt und ein bisschen wahnsinnig. Wir befinden uns im Safe der Mitte, wo Degen zusammen mit zwei Freunden das machen wird, was er so fantastisch kann: Vorlesen. Wer jetzt an Märli oder Schweizer Jungliteratur denkt, liegt weit daneben, denn Degens Metier findet sich in den Tiefen meiner Nerd-Jugendkultur (womit ich mich an diesem Abend endlich wieder an einer Schublade festhalten kann) – in Mangas, konkreter: in der Manga-Serie Dragonball

Enstprechend ist auch das Publikum hier eher über 30 und eher ohne Hipster-Turnsäckli. Was dem Spass am Ganzen keinen Abbruch tut, ganz im Gegenteil. Degen und seine beiden Sidekicks rühren zu irren Lachtränen, sie kämpfen, sie schreien (einmal sogar mit dem Publikum, das ganz laut eine «ROOOOOAAAAARRRR»-Explosion erzeugen muss), sie tragen falsche Schnäuze und wallende Goldmähnen (classic Son-Goku), sie sind wunderbar. Wobei vielleicht nicht mehr ganz so Jugendkultur. Oder doch? Also sicher Teil einer früheren Jugendkultur, die dann im Endeffekt ja genau so Jugendkultur-Berechtigung hat, philosophieren wir im zugegeben bereits etwas dunstigen Dosenbier-Schleier.

5. Jugendkultur bi nümm ig: Barfüsserplatz

Es ist halb 12, auf dem Barfi spielt ein fantastischer Kafka Kaya. Hier kommt das Publikum zusammen, Muskelprotze, Rastamädchen, Turnsäckli, Preppies (sagt man denen noch so? «Die mit den Longchamp-Taschen», würde man heute vielleicht sagen) – alle mögen den bärtigen Julien Bitter.

«KAFKA KAYA ist eine Liveshow, welche den Zuschauer in eine andere Welt trägt, hypnotisiert und nicht mehr loslässt» schreibt das JKF im Programm. Ganz hypnotisiert sind die ganzen Zuschauer noch nicht, aber so schmalzig es klingt: Die Welt in der sie sind, scheint eine gemeinsame zu sein – und das muss man erst einmal schaffen. 

Ich laufe nach hinten zu den Ständen, wo sich meine Freundin darüber kaputtlacht, dass sie beim Bierkauf zweimal nach dem Ausweis gefragt wurde, «Für mich isch das Jugendkultur!» lacht sie. Ein paar Minuten später erfahre ich, dass ein Bekannter von mir Papa wird. Mir steigen die Tränen in die Augen, aus Freude, aber ein bisschen auch, weil einem ausgerechnet hier bewusst wird, dass die eigene Jugend langsam aber sicher vorbei ist. Wir umarmen uns, neben mir baggern zwei Jungs als Einhörner verkleidet ein paar Blondinen an. Dasch Jugendkultur. 

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Das JKF steht für freien Eintritt und mehrere Bühnen in der Innenstadt. Heute Samstag geht es in die zweite Runde.

Die TagesWoche hat im Rahmen des JKF 2015 der jungen Kultur und ihren Machern einen Themenschwerpunkt gewidmet. Dazu sind folgende Artikel erschienen:

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