Die Liebhaber von zeitgenössischer Musik und bildender Kunst gruppieren sich zu fast völlig getrennten Communitys. Zwei Ausstellungen in Basel mit Performance- und Konzertcharakter könnten die beiden Sphären nun endlich miteinander ins Gespräch bringen.
Jannik Giger winkt munter über den Kasernenplatz. Es ist neun Uhr morgens, der erste Fasnachtstag verströmt leise seine akustischen Spuren. Nein, auf dem Morgenstraich sei er nicht gewesen, sagt Giger (29) – obwohl hier sein eigenes Thema eine gute Performance macht: die gleichzeitige Gestaltung von akustischen und visuellen Erfahrungswelten.
Giger ist von Haus aus – ja was eigentlich? «Ich habe schon früh Videoarbeiten gemacht», sagt Giger, «da ist die Verbindung von Visualität und Akustik schon von vornherein gegeben.» Studiert hat er dann in Bern Musik und Medienkunst, anschliessend in Luzern bei Dieter Ammann einen Master in Komposition abgeschlossen. «Um das kompositorische Handwerk zu lernen», wie er sagt. Denn er wollte nicht mehr nur das Bild seiner Videoarbeiten erzeugen, sondern auch den Ton dazu. Und um das zu realisieren, musste er lernen, wie er seine klanglichen Vorstellungen schriftlich fixieren kann.
Doch dass es bei seinen Kompositionsaufträgen mittlerweile wiederum meist rein ums Akustische geht, dass er seine Ideen aufzuschreiben und abzugeben hat, ohne wirklich in Kontakt mit den Interpreten zu kommen, und ohne seine visuellen Ideen einbeziehen zu können, stört ihn gleichermassen. So ist seine aktuelle Arbeit ein Versuch, beide Sphären miteinander zu verbinden.
Dirigieren = Kommunikation
«Gabrys und Henneberger – Transformationen» heisst seine Videoinstallation im Ausstellungsraum Klingental. Gezeigt werden drei Videos (Kamera: Aurelio Buchwalder und Patrick Meury): Im Eingangsbereich trifft der Besucher auf einen Ausschnitt von der Uraufführung von Gigers Komposition «Clash» mit dem Ensemble Phoenix – allerdings als Stummfilm, ohne Tonspur. «Das ist ein dokumentarisches Video», erklärt Giger, «man sieht: Dirigieren bedeuten Kommunikation – es ist eine Sprache, die dekodiert und interpretiert wird.»
Im grossen, völlig abgedunkelten Ausstellungsraum stehen dann zwei Videos einander gegenüber: Ensembleleiter Jürg Henneberger, wie er die Partitur von «Clash» dirigiert, ohne jedoch eine akustische Realisierung seines Dirigats zu hören – eine Trockenübung also, eine Fokussierung auf die gestische Kraft seiner Bewegungen. Und schliesslich der Kontrabassist Aleksander Gabrys, der – wie Henneberger – bei der Uraufführung von «Clash» mitwirkte, nun aber statt der Noten das Video von Hennebergers Trockendirigat vor sich hat – und daraufhin völlig frei improvisiert.
«Das war eine Versuchsanordnung», sagt Giger. «Was passiert mit Henneberger, mit Gabrys, wenn keine reale Kommunikation zwischen Dirigent und Interpret stattfinden kann?» – Findet tatsächlich keine reale Kommunikation statt? Henneberger führt seine gezirkelten Bewegungen so akkurat wie eh und je aus; seine Gesten sind äusserst kommunikativ auf ein imaginiertes Ensemble ausgerichtet. Zumindest mit seinem inneren Ohr dürfte Henneberger ein angeregtes Zwiegespräch führen.
Und Gabrys: Traktiert sein Instrument in einem immer heftiger werdenden Rausch, schreit gegen die Projektion des Dirigenten an, als ob er um eine winzige Reaktion, um ein bisschen Kommunikation anbettelt, mit jedem Ton, mit jedem Schlag mit dem Bogen, der schliesslich zerbricht und als Trophäe des Kampfes müde zu Boden sinkt.
Bildende Kunst und zeitgenössische Musik sind bei Gigers Arbeit auf ganz subtile Weise miteinander verknüpft. Die Musik – Gigers eigene Komposition – ist Grundlage des Transformationsprozesses. Doch sie ist akustisch nicht präsent, nur durch die Gesten Hennebergers gegenwärtig. Musikalisch tonangebend hingegen ist Gabrys Improvisation auf dem Kontrabass – womit sich die Rollen zwischen Künstler, Komponist, Dirigent bzw. Regisseur vollends verschoben haben. Darüber nachzudenken, bietet die etwa zehnminütige Videosequenz auch nach mehrmaligem Ansehen genügend Stoff.
Akustische Signale in Licht verwandelt
«Das ist eine ganz besondere Arbeit», sagt später Christoph Bösch, Flötist beim Ensemble Phoenix. «Dass ein Komponist sich selbst so zurücknimmt und von der Aufzeichnung seines eigenen Werkes die Tonspur entfernt, um dem visuellen Eindruck herauszuheben – das ist schon ziemlich stark.» Gemeinsam mit seinen Ensemblekollegen Jürg Henneberger (Rhodes Piano) und Daniel Buess (Schlagzeug) ist Bösch gerade selbst bei einem anderen spartenverbindenden Projekt dabei: einer Licht/Klang-Installation in der Galerie Stampa, die den Schein von Neonröhren auf Europaletten (Olaf Nicolai) im Takt der Musik von Thomas Peters «stampa repetitionen» tanzen lässt.
Vier ganz unterschiedliche Sätze hat Peter geschrieben; manche sind von starker Dynamik und scharfem Rhythmus geprägt, andere mit flächigen Akkorden ausgestattet oder mit geräuschhaften Episoden gestaltet. Die akustischen Signale sollen über eine Schnittstelle in Lichtsignale umgewandelt werden. Dem Ingenieur, der diese Schnittstelle baut, habe er vorab Klangbeispiele zugesendet, sagt Peter. Doch wie genau diese Übertragung aussehen wird und wie der Künstler Olaf Nicolai die Neonröhren im Raum um die Musiker herum anordnen wird, das wissen die Musiker und der Komponist erst wenige Tage vor der Uraufführung.
Die Initiative zu diesem Projekt stammt vom Ensemble Phoenix selbst – um den Dialog zwischen den Disziplinen zu fördern. «Es gibt so viel Ghettoisierung in der Kunst», sagt Bösch. «Welcher bildende Künstler kennt denn neue Musik? Und umgekehrt?» Die Ausdrucksmittel und die Beschäftigung mit dem Material seien bei Kunst und Musik zwar unterschiedlich, doch beiden Sparten gehe es um zeitgenössischen Ausdruck, um die Beschäftigung mit dem Heute. «Ich halte das Interesse der jeweils anderen Sparte nicht nur für selbstverständlich, sondern für notwendig. Das ist Nahrung. Solche Kooperationen sind – sofern sie nicht nur pro forma sind – immer eine Bereicherung.»
Dass es an finanzieller Unterstützung für solche Projekte mangle, könne man allerdings nicht sagen. «Es gibt verschiedene Förderstellen, die das Spartenübergreifende fördern wollen – aber manchmal mit sehr restriktiven Mitteln. Sie wollen künstlerisch Einfluss nehmen und verunmöglichen dadurch, Grenzen neu zu überschreiten. Man sollte den Künstlern mehr Vertrauen schenken.»
Dass auch das Publikum Interesse an diesen spartenübergreifender Kunst findet, bleibt den beiden Projekten zu wünschen. Jannik Giger weiss zwar, dass die Gründe, eine Vernissage zu besuchen («Szenetreff») ganz andere sind als die, einer Uraufführung beizuwohnen: «Klar ist es etwas völlig anderes, wenn ich in einem Konzert ruhig sitzen und zuhören muss, als wenn ich mich in einer Ausstellung in meinem ganz eigenen Tempo den Werken nähern kann – und mich dabei noch darüber unterhalten kann. Im Konzert bin ich der Musik ganz anders ausgeliefert. Wie im Kino eigentlich. Aber das ist ja auch das Schöne daran.»
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Jannik Giger: Gabrys und Henneberger – Transformationen, Ausstellungsraum Klingental, Kasernenstrasse 23, Basel. Bis 23.3.
Performance Jürg Henneberger: Freitag, 14.3., 22 Uhr; Performance Aleksander Gabrys: Sa, 22.3., 20 Uhr
Olaf Nicolai. «instant light» / Thomas Peter: «stampa repetitionen», Galerie Stampa, Spalenberg 2, Basel.
Konzert 1: Samstag, 15. März 2014, 18 Uhr
Installation: 18. – 22. März 2014
Weitere Konzerte jeweils Samstag, 18 Uhr, Installationen bis 12.4.