Mit dem Imagine-Festival und dem offiziellen Auftakt zur Sommersaison auf dem nt/Areal wurde der Basler Open-Air-Sommer gestern Abend lanciert: Ein erster Augenschein.
Lange liess er Basel bangen und warten, doch am Freitag – endlich – zeigte er sich von seiner strahlendsten Seite: der Frühsommer. Perfektes Timing für den Auftakt zur regionalen Open-Air-Saison, die auf dem Barfi mit dem Imagine-Festival und auf der Erlenmatt mit dem orchestrierten «Sommer auf dem nt /Areal» im Gross- und Kleinbasel lanciert wurde.
Zwei kulturelle Ausgeh-Angebote aus der alternativen Ecke also, die den vielbeschworenen Freiraum-Gedanken bereits seit der Millenniumswende konkret umsetzen und trotz Feierei und Freizeitvergnügen ihre politisch-utopischen Wurzeln nie gekappt haben.
Mit Sack, Pack und selbstgedrehter Zigarette
Aus Aufbruch wurde Usus, mittlerweile zählen beide zu bestens etablierten Playern auf dem Basler Freiluftplatz. Insbesondere das Imagine-Festival, das alljährlich von einem 40-köpfigen OK und rund 100 freiwilligen Helfern organisiert wird, gilt neben dem biennalen Jugendkulturfestival (dieses Jahr am letzten August-Wochenene) zu den Fixpunkten der Basler Open-Air-Agenda: Ein – so das Wetter mitspielt – sicherer Wert im Basler Kulturjahr, das mehrere Tausend vornehmlich jugendliche Schaulustige anzieht.
So verwandelte sich das Areal um den Barfüsserplatz schon am frühen Freitag Abend in einen friedlich-fröhlich summenden und brummenden Bienenstock, wo unzählige sonnenbebrillte Teenager-Cliquen kichernd und kreischend, Handybilder schiessend und Bier trinkend im Kreis rotierten. Zwischen dampfenden fernöstlichen Nudeltöpfen, indianischem Traumfänger-Schmuck und neonbunten Handy-Hüllen, Zirkus-Gauklern und Cocktailbar wurden Handschläge verteilt, führten junge Grazien die eigenen Beine in knappen Hotpants spazieren, liess man sich mit Sack und Pack auf dem Boden zur selbstgedrehten Zigarette nieder oder brachte sich vor einer der beiden Bühnen auf Barfi und Kloster in beste Zuschauer-Position fürs nächste Konzert.
Zwischen Verletzlichkeit, Verzweiflung und leiser Kritik
Hier allerdings zeigte sich der Auftakt leicht getrübt, hatte der geplante Folkrock-Headliner Jamie N Commons doch abgesagt. Der kurzfristig gefundene Ersatz Chet Faker erwies sich eher als Zwischenlösung denn als mitreissender Höhepunkt. Der australische Soul-meets-Electronica-Künstler musste wegen einer Computerpanne seinen Auftritt mehrfach unterbrechen. Was zur Folge hatte, dass sich während seines Auftritts nie wirklich ein zwingender Groove oder roter Faden bildete. Da zeigten sowohl das junge Basler Antiradio-Kollektiv (mit Nachwuchssängerin Debrah Scarlett) mit ihrem lazy Laidback-Vibe wie auch die zeitgleich zu hörenden Turntablist-meets-Electronica-Tüfteleien von Chief feat. Deheb auf der kleineren Klosterhof-Bühne einen besseren Flow.
Erster Festival-Höhepunkt dagegen: Der eindringliche Auftritt des Berner Senkrechtstarters Abu, der in der schwülen Abendhitze die unter der coolen Oberfläche brodelnden existenziellen Ängste der jungen Generation in wuchtige Alternative-Rock-Arrangements verpackt und zwischen Verletzlichkeit und Verzweiflung changierende Authentizität auf die Bühne brachte. Damit verlieh er dem wieder in Kooperation mit Terre des Hommes Schweiz stattfinden Anti-Rassismus-Anlass (Motto 2013: «Rassismus macht kurzsichtig») eine dezent spürbare politische Note.
Ein gallisches Dorf, von Türmen aus Bauschutt umgeben
Gänzlich anders präsentiert sich die Situation aktuell auf dem Kleinbasler nt/Areal: Hier ist der politische Wille zur Aufwertung ganz unmittelbar zu spüren, die Transformation des einst grossflächigsten Basler Freiraums in vollem Gang. Neu führt die betonierte Strasse zum Zentrum, dem ehemaligen «Erlkönig», heute Restaurant «Bahnkantine». Die ehemaligen Schleichwege bleiben von Zäunen abgesperrt, hinter denen sich meterhohe Bauschutt-Berge auftürmen, die der Szenerie vor allem nachts eine unwirkliche, aber nicht unreizvoll dystopische Note verleihen.
Umso charmanter wirkt das gallische Dorf, das zwischen dunkel glänzenden, neuen Wohnblöcke und gesäumten Wegen übrig geblieben ist: Da ist der Cirquit Vulcanelli (das ehemalige Wagenmeister-Gebäude), das von den Machern von Schiff und Grenzwert betriebene Sonnendeck und die ebenfalls etablierte Bretter-Bude der Sommerresidenz. Sie locken mit subversivem Do-it-Yourself-Spirit, wo man im Schatten der Baukräne dinieren, Cocktails schlürfen und kleinen Konzerten und DJ-Sets lauschen kann.
Das Tollhaus ist tot – es lebe das nt
Verwandelte sich das nt in früheren Jahren in ein veritables Tollhaus aus jugendlichen Feierhorden, szenigem Partyvolk und rotweintrinkenden Bordstein-Philosophen, so streben die heutigen Macher klar den Konsens und ein Leben im Einklang mit der Stadt- und Arealentwicklung an. Die an der freien Luft gespielte Musik – Jazz- und Gypsy-Konzerte oder Rare Grooves und luftige Minimal-Elektronik vom Plattenteller – sollen sich bewusst in die Szenerie einbetten, und nicht wummernd zum Exzess animieren.
Die Zeiten der früheren Freinachtsbewilligungen sind definitiv passé: Vom morgendlichen Brunch vor der Bahnkantine übers entspannte Strandbarfeeling unter Sonnenschirmen bis zum abendlichen Boule- und Tischfussballspiel mit Open-Grill und Pizza-Plausch soll die Erlenmatt als «Mikrokosmos der urbanen Kultur der Gegenwart» dagegen auch diesen Sommmer tagtäglich Treffpunkt der urbanen Quartierbevölkerung bleiben, wenn es nach den beiden Wirten Jonas Berner (Sommerresidenz) und Sebastian Scharf (Sonnendeck) geht, welche die Gesamtkoordination der Areal-Aktivitäten unter dem Motto «Sommer auf dem nt/Areal» neu auch offiziell unter einer gemeinsamen Identität koordinieren und vermarkten.
Das Ende eines Experimentierfelds
«Das nt/Areal ist nicht tot – nur sein Gesicht verändert sich», betont Berner, und Scharf fügt hinzu: «Für die Bespielung haben uns die Behörden nach wie vor wirklich humane Bedingungen gewährt. Es wäre daher eine Schande, diese einzigartige Kulisse nicht nochmals voll auszunutzen.» Fürs spätnächtliche Tanzvergnügen stünden ja noch immer die beiden Partner Cirquit sowie die am anderen Ende des Areals wiedereröffnete Jägerhalle zur Verfügung, mit denen man ebenfalls eng kooperiere.
Ein gemeinsamer «nt/Pass», eine Stempelkarte, wo alle, die für jedes der fünf Lokale eine Konsumation nachweisen können, einen Gratisdrink bekommen, soll die Zirkulation zwischen den einzelnen Standorten weiter erhöhen. Und für Farbtupfer sorgen Zusatzangebote wie die Filmprojektionen des Wanderkinos «Cine Ambulante».
Ende Sommer zieht dann das Bläsi-Schulhaus nur wenige Schritte von der Sommerresidenz entfernt ein – und markiert damit Zäsur und Zukunft des zwischenzeitlich blühenden kulturellen Experimentierfelds Erlenmatt. Zur Sommer-Eröffnung jedoch, wo sich bis spätnachts unzählige Neugierige auf neuem Wege Richtung ihres alten Pièce de Resistance auf-, und damit die Nacht inmitten der Bauzone zum Tage machten, war davon noch wenig zu spüren.
- Imagine-Festival: Sa, 8.06., Barfüsserplatz. u.a. mit Movits, Rangleklods, Delorean Cloud Fire, Zigitros und Kitchen.
- «Sommer auf dem nt/Areal». Erlenmatt, ab sofort täglich bis Ende September von 9 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts, Saisonstart dieses Wochenende mit diversen Specials, Details zum Programm siehe Homepages der beteiligten Lokale Jägerhalle, Grenzwert, Sommerresidenz, Vulcanelli und Bahnkantine.