Mit ihrem jüngsten Projekt im Basler Schauspielhaus, «Das Mansion am Südpol (eine Immobilie)», versucht Anna Viebrock einem architekturgeschichtlichen Diskurs auf der Bühne Leben einzuhauchen. Das Resultat ist schön anzusehen, aber ausgesprochen verwirrend und letzlich ziemlich flau.
Schade, dass das Stück keine Pause hat. Nach einer halben Stunde etwa oder noch besser nach zwanzig Minuten. Man würde einen Besuch der Aufführung wärmstens empfehlen. Des ersten Teils zumindest. Denn Bühnenbilder kann sie bauen, Anna Viebrock. Fantastische Bilder, vor denen man gerne zwanzig oder ein paar Minuten länger verweilt, immer wieder neue Details entdeckt und sich davon in den Bann ziehen lässt. Doch anderthalb Stunden sind etwas gar viel Zeit für das stille Betrachten eines dreidimensionalen Bildes.
Schleichende Geister
Nun ja. Es passiert schon etwas in diesem Raum, oder in diesem Fall genauer gesagt, um diesen Raum herum. Um das langsam verfallende Betonhaus mit den abgestuften zwei Veranden zum Meer hin, die keine Verbindung untereinander haben, und das im spitzen Winkel zur Bühnenrampe steht. Doch was da genau passiert, erschliesst sich nur sehr schwer – wenn überhaupt. Es gibt Menschen von heute und es gibt Geister von früher, die irgendwie aneinander vorbei und doch wieder nicht wirklich aneinander vorbeiwandeln und -sprechen.
Häuser erzählen Geschichten, ganz klar. Geschichten von ihren Erbauern, von Wind und Wetter, die ihnen zusetzen, und vor allem auch von ihren Bewohnern. Solche Geschichten werden in Architekturbüchern aufbereitet, in Romanen nacherzählt und in Filmen sowie auf der Bühne nachgespielt. Besondere Häuser generieren natürlich ganz besondere Geschichten – ganz speziell natürlich, wenn es aussergewöhnlich oder gar berühmte Menschen waren und sind, die es entwarfen, erbauten und darin lebten (oder es besetzten), sich darin liebten, dort starben, ermordet wurden. Das kann sehr spannend und unterhaltsam sein. An und für sich.
Eigentlich eine besondere Geschichte
Mit dem «Maison en bord de la mer» oder E 1027 über den Klippen im südfranzösischen Roquebrune-Cap Martin hat die gefeierte Bühnenausstatterin Anna Viebrock so ein besonderes Haus auserkoren. Entworfen wurde der Meilenstein der Architektur des frühen 20. Jahrhunderts von der schottischen Designerin Eileen Gray. Für sich selber und ihren Lebenspartner Jean Baldovici, ein rumänischer Architekturkritiker. In Beschlag genommen wurde es schliesslich von Le Corbusier (ja der von der Zehnernote, Ronchamp, Modulator etc.). Dieser Le Corbusier starb beim Bad im Meer just unter diesem Haus, das er zuvor – zum Teil nackt – mit acht Wandbildern grossflächig ausgemalt hatte und es dadurch nach Ansicht der Erbauerin Eileen Gray auf frevlerische Art der massgeblichen Schlichtheit beraubte. Und es gab spätere Besitzer, wie der Schweizer Arzt Peter Kägi, der dort von seinen Gärtnern umgebracht wurde.
Eine ausgesprochen spannende Geschichte also. Eigentlich. Erzählt wird sie ganz zu Beginn, in einer Filmeinspielung von einem Testamentsvollstrecker, der einem Mann und einer Frau offenbart, dass sie das Haus geerbt haben. Wie dieser Mann (Martin Hug) und diese Frau (Nikola Weisse) zueinander stehen, wird nicht ersichtlich. Neffe und Tante vielleicht, dann aber unvermittelt wieder zwei sich ganz und gar nicht nahestehende Menschen. Aber Menschen von heute, zu denen sich unvermittelt und in ihrer Rolle nicht weniger undefinierbar eine junge, hübsche, eher aus den 1960ern als von heute stammende Frau (Marie Jung) hinzugesellt, die sich am ehesten noch als die nicht begehrte Nicht-Geliebte zu erkennen gibt.
Geisterwesen, Geisterklavier
Und da ist die Erbauerin Eileen Gray (Carina Braunschmidt) und Le Corbusier (Graham F. Valentine mit wunderbaren Momenten), die als Geister der Vergangenheit das Haus, das seine verlorenen Bewohner nicht loslässt, Jahre nach ihrem Tod noch immer in Beschlag halten. Und es gibt ein Klavier, das ausserhalb des eigentlichen Bühnenraums immer wieder von alleine disharmonische Melodien spielt (Musik: Ernst Surberg); solche, die man bei Filmen über die Architektur der Moderne stets zu hören bekommt.
Diese Menschen nun bewegen sich durch den Raum bzw. um das Haus herum, sprechen mit- und oft aneinander vorbei, ohne dass wirklich klar wird, warum und mit welchem Ziel. Es gibt schöne Details, die sich, ausgestattet mit dem zu Beginn erlangten Vorwissen, nachvollziehen lassen. Etwa wenn Le Corbusier Grays Fussabdruck an der Aussenwand nachzeichnet und signiert, worauf die Fuss- und Hausbesitzerin verzweifelt versucht, die Spuren zu beseitigen. Und es gibt ein Intermezzo mit englischen Textprojektionen in der Art von Jenny Holzers Statements zum Thema Aura eines Hauses oder so.
Doch solch nachvollziehbare Momente sind die Ausnahme. Das mag an den kryptischen Textpassagen von Jürg Laederach liegen, bei dem sich Viebrock und ihr Dramaturg Malte Ubenauf einmal mehr ausgiebig bedient haben. Auch wenn die Figuren auf der Bühne ziemlich viel sprechen, vielsagend ist es nicht, was man zu hören bekommt, und mit dem Haus, das der zentrale Punkt des Abends ist, hat es oftmals nicht sonderlich viel zu tun – zumindest nicht offensichtlich. Und das ist auf die Dauer etwas ermüdend.
Im Programmheft wird das „Unbestimmtheitstheorem“ des Quantenphysikers Werner Heisenberg erklärt, das den Textlieferanten Laederach – er spricht von einem „Vagheitssyndrom“ – offensichtlich nachhaltig beeindruckt hat. „Wo genau etwas steht, und ob und wie es sich bewegt, unterliegt einer niemals ganz zu klärenden Unschärferelation“, heisst es dazu. Dieser Satz beschreibt den Theaterabend eigentlich ganz trefflich. Etwas mehr Schärfe hätte ihm sicher gut getan.
«Das Mansion am Südpol (Eine Immobilie)»
Von Anna Viebrock und Malte Ubenauf
Regie, Bühne und Kostüme: Anna Viebrock, Musik: Ernst Surberg, Dramaturgie: Malte Ubenauf und Fadrina Arpagaus
Mit: Carina Braunschmidt, Martin Hug, Marie Jung, Graham F. Valentine, Nikola Weisse
Weitere Vorstellungen: 19., 27., 29.03, 10., 12., 15., 20., 27., 29.04.2012 (20.00 Uhr, sonntags: 19.00 Uhr)