Wie sich Kunst und Design gegenseitig befruchten

Studio 65 und Andy Warhol, George Nelson und Roy Lichtenstein: Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein baut in «Pop Art Design» eine Brücke zwischen Designobjekten und Kunstwerken. Und präsentiert dabei viele Klassiker in einer sehenswerten Ausstellung.

Stühle von Panton oder Sottsass korrespondieren mit einem Gemälde von Valerio Adami («Plein Air NY», 1968). (Bild: Marc Krebs, © )

Studio 65 und Andy Warhol, George Nelson und Roy Lichtenstein: Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein baut in «Pop Art Design» eine Brücke zwischen Designobjekten und Kunstwerken. Und präsentiert dabei viele Klassiker in einer sehenswerten Ausstellung.

«Ich habe in den letzten Wochen fast Herzinfarkte bekommen, als ich all die Kisten öffnete und sah, welche Kunstklassiker bei uns eingetroffen sind.» Die Freude ist Kurator Mathias Schwartz-Clauss anzumerken: Erstmals in der Geschichte des Vitra Design Museums sind in einer Ausstellung fast gleich viele Kunstwerke wie Designobjekte ausgestellt. Das Museum in Weil am Rhein setzt unter dem programmatischen Titel «Pop Art Design» rund 150 Exponate in einen Dialog zueinander.

Eine Verbindung, die Sinn macht und in dieser Form herausragend präsentiert wird: Vitra konnte dafür auf die Kooperation mit dem dänischen Louisiana Museum of Modern Art und dem Moderna Museet Stockholm zählen, die diese Schau im nächsten Jahr nach Skandinavien überführen werden.

Werbung und Werke

«Pop Art», die Kunstrichtung, bahnte sich zwar erst vor 50 Jahren den Weg in die breite Öffentlichkeit – die Nähe zum Design (und auch zur Werbung) manifestierte sich aber bereits früher, wie die grossräumige Sonderausstellung vor Augen führt: So waren viele Künstler dieser Strömung zuvor schon im Design tätig: Als Grafiker und Illustrator (Andy Warhol) oder als Schaufensterdekorateur (Robert Rauschenberg). Mit dem Selbstbewusstsein der Spezialisten macht Vitra Designobjekte und ihre Einflüsse sichtbar, präsentiert dabei zahlreiche Objekte (viele aus den späten 50er-Jahren) und stellt sie Kunstwerken (ein Grossteil aus den 1960ern) gegenüber.

Durch diesen Blickwinkel erkennt man, dass Designer wie Charles und Ray Eames oder Ettore Sottsass den Pop-Künstlern wichtige Impulse verliehen haben – vice versa. So wird Roy Lichtensteins Gemälde «Yellow Brushstroke» (1965) mit George Nelsons Sofa «Marshmallow» (1956) präsentiert – beide Werke ergänzen sich allein schon farblich (schwarz-gelb), Lichtensteins «Pinselstrich» wird von kleinen Punkten umgeben, die man bei Nelsons Vinyklissen in aufgeblasener Form erkennt. Man sieht, vergleicht und kommt zum Schluss, dass auch ein Gebrauchsgegenstand wie jener von Nelson, der wie viele Designobjekte der Ausstellung nur in kleiner Auflage auf den Markt gebracht worden ist, als Kunstwerk betrachtet werden sollte.

Der Einfluss von Alltagsgegenständen wird der Kunst auf erhellende Weise gegenübergestellt: Der schwedische Künstler Öyvind Fahlström spielte 1967, im «Summer of Love», mit einem Email-Logo des Ölkonzerns Esso und besetzte dieses mit den Buchstaben LSD: die psychedelische Droge als Treibstoff für die 60er-Bewegung. Diese Abwandlung von Firmenlogos erfreut sich bis heute grosser Beliebtheit, man denke nur an all die T-Shirts, die auf Märkten feilgeboten werden.

Mao Tse-Tung und Stars & Stripes

Andy Warhol verwandelte bekanntlich Konservendosen von Campbell oder Coca-Cola-Flaschen in Kunstwerke und überführte so Alltagsgegenstände in die Kunst. Ein Prozess, der in der Ausstellung sehr schön vor Augen geführt wird: So sehen wir im ersten Saal einen alten Cola-Automaten auf einem Podest – für sich schon ein Designklassiker – der von Warhols Spielereien flankiert wird. So wird – wie es die Pop Art selber auch beabsichtigte – die Entmystifizierung verdeutlicht. Warhols Ideen wiederum flossen ins Design zurück: So kreierte Simon International 1973 einen Hocker, der der Tomatensuppendose von Campbell nachempfunden ist.

Auch die Heroisierung von Alltagsgegenständen wird deutlich: Sehr gelungen etwa der mit einem flauschigen Teppich ausgelegte dritte Saal, wo in einer Vitrine ein Lampenschirm in Helmform zu sehen ist: George Nelson nannte seine 1947 kreierte Tischleuchte «Sergeant Schultz». Eine Persiflage, wie uach Andy Warhols koloriertes Bild des Chinesen Mao Tse-Tung, dem er dicke Schminke auftrug.

Als Gegenüberstellung dient ein Sofa, das als Kritik des amerikanischen Imperialismus gedeutet werden kann: So holte das italienische Designerkollektiv Studio 65 eine Ikone vom Sockel, indem es zur Zeit des Vietnamkriegs die US-Flagge in eine Sitzgarnitur verwandelte und dazu einlud, seinen Hintern auf die Stars & Stripes zu setzen. Was wiederum als Zitat der Pop Art verstanden werden kann.

Freizeit und Fetisch

Im gleichen Raum verdeutlicht ein Werk des französischen Malers und Bildhauers Martial Raisse, wie Bilder und Objekte, aber auch Privatsphäre und Öffentlichkeit miteinander verschmelzen, wie die Freiheit genossen wird und dabei auch den klassischen Bilderrahmen sprengt: Sein Gemälde «Souviens-toi de Tahiti en septembre 61» zeigt eine bunt kolorierte Badenixe auf Papier, am Bild angeklebt sind ein Sonnenschirm und ein Wasserball, die dem Werk eine Dreidimensionalität und räumliche Tiefe verleihen.  Hier werden Designobjekte in die Malerei integriert – und wie in so vielen Beispielen der Schaufenster-Charakter der Pop Art manifest.

Die grösste Provokation findet sich im Obergeschoss: «Fetisch Frau» lautet das Label einer Objektsammlung, deren Blickfang ein Stuhl darstellt, der manche Besucherinnen und Besucher in Verlegenheit bringen dürfte: Eine Frauenpuppe in Lederoutfit, in offensichtlich obszöner Pose und auf Lammfell drapiert, dient als Sitzmöbel. Ein Kunstwerk des britischen Pop-Art-Vertreters Allen Jones, der es 1969 kreierte und schlicht «Chair» betitelte. Nebenan steht das Lippensofa «Bocca» von Studio 65,  effektiv als Designobjekt gedacht, aber wiederum von Salvador Dalí beeinflusst worden und den Lippen der Schauspielerin Mae West nachempfunden worden war. Ein Geben und ein Nehmen von Design und Kunst, wohin das Auge schaut.

«Wir hoffen, mit dieser Ausstellung eine Lücke zu schliessen, indem wir nicht nur Werke auflisten, sondern sie miteinander in Verbindung bringen, wie das scheinbar noch nie der Fall war», sagte Direktor Mateo Kries bei der Vernissage. Das ist dem Vitra Design Museum eindrücklich gelungen.
 

  • Vitra Design Museum. Charles-Eames-Strasse 2, Weil am Rhein. Die Ausstellung «Pop Art Design» ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet und läuft noch bis 3. Februar 2013.
  • Katalog: «Pop Art Design», 272 Seiten mit 325 Abbildungen und diversen Autorenbeiträgen (u.a. Diedrich Diedrichsen und Marco Livingstone).

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