«Wir wollen die Grenzen aufheben»

In Sina Dell’Anno und Phillip Rohrers Theaterstücken wird jungen Menschen aus der Seele gesprochen. Seele? Welche Seele? Der Versuch eines Portraits.

Brüten über Kaffee, Kuchen und Theaterplänen: Phillip Rohrer und Sina Dell'Anno in Rohrers Wohnung.

In Sina Dell’Anno und Phillip Rohrers Theaterstücken wird jungen Menschen aus der Seele gesprochen. Seele? Welche Seele? Der Versuch eines Portraits.

Wie sieht es eigentlich im Innern zweier junger Basler Kulturschaffender aus? Dort, wo man selten hingelangt, weil meistens irgendwas drübergeworfen wird: Phrasen, Leinwände, Projekte, Kunst. Und im Fall von Sina Dell’Anno (23) und Phillip Rohrer (28): Theater. Die beiden Studenten sind Teil des Basler Kollektivs kreidekommakohle und werden im März diesen Jahres ein neues Stück auf die Bühne bringen.

Jetzt, in der ganzen Hektik kurz bevor es ernst wird, geht besonders viel in ihren Köpfen vor. In diesem Zeitpunkt sowas wie ein Portrait von den Beiden hinzukriegen, ist ein Ding der Unmöglichkeit: Gedankensprünge, Ideenblitze und Assoziationsketten durchziehen das Gespräch. Wie macht man sich also ein Bild dieser zwei schwer fassbaren jungen Menschen, die sich nicht mit einem gewöhnlichen Studentenleben zufrieden geben wollen? Die Lösung ist ganz leicht: Man lässt sie einfach mal reden. Die Fragen stellen sie sich gleich selber – in Form von Zitaten aus ihrem neuen Stück. Vorhang auf!

«Wir sind hier eingeschlossen, ja? Und wir sind jetzt hier versammelt – sie sitzen da. Und ich habe diese drei Leute hier und ich hab das Gefühl wir müssen was machen, ja? ja?»

Phillip Rohrer: Ich bin 2010 nach Basel gezogen und hab gedacht, so alleine Philosophie und Literatur studieren, das halt ich nicht aus: Ich muss einen Weg finden, wo ich mich ausdrücken kann, in Interaktion mit anderen Menschen.

Sina dell’Anno: Im Dezember hab ich meine Bachelorarbeit geschrieben und seither bin ich die ganze Zeit ohne Unterbruch an diesem Stück. Wir geben uns in diesen Kosmos hinein und alle machen mit.

«Du hast tausend Ideen im Kopf, du hast tausend Möglichkeiten – stell dir vor du bist Gott.»

Rohrer: Unser erstes Stück «Die Scheidung der Lichts» wurde 2011 konzipiert und 2012 aufgeführt. Zehn Leute waren wir insgesamt. Wir wollten eigentlich nur eine Aufführung machen, am Schluss waren es acht. Alle ausverkauft. Beim Abbau haben dann Ralph Tharayil und ich schon übers nächste Projekt gewitzelt. Wir wollten mehr Kultur, mehr Sex, mehr Menschen auf der Bühne. Nicht nur Theater, sondern mehr.

dell’Anno: Mich nervt es, wenn die Klischees angeflogen kommen: Ihr seid ein Haufen Studis, unterbeschäftigt oder grössenwahnsinnig, eins von beiden. Die meisten von uns fristen eher ihr Dasein anstatt zu residieren, und trotzdem: Alle machen mit. Die sitzen an einem Samstagmorgen aufmerksam da, zwei, drei Stunden, hören sich alles an, diskutieren mit und dann gehen sie wieder Aufsätze schreiben, Musik machen, arbeiten, Kunst machen. Das muss man sich mal vorstellen. Es ist einfach ein sehr starker Wille da, sich zu verausgaben für etwas, um es gemacht zu haben. 


«Wir werden hier weder die Bibel noch den normalen Massstab der alten Welt anwenden. Das wäre einfacher, doch geht es nicht.»

Rohrer: Letztes Mal gings um Liebe, dieses Mal geht es also um westliche Kultur. Jeder Mensch hat eine andere Vorstellung von Realität, und da muss man sich dann irgendwie einigen, und dann kommt das raus, was man als Kultur bezeichnen könnte. Es ist eine nötige Entwicklung, die stattfinden muss. Und bei all unseren Projekten geht es um diese Entwicklung, die jeder von uns in der Entstehungsphase durchlebt und die später zu einem gewissen Grad auch vom Zuschauer durchlebt wird.

dell’Anno: Das ist ja das, was so unglaublich anstrengend ist.

Rohrer: Aber auch produktiv!

dell’Anno: Ja, sehr, das will ich damit sagen: Fuck up your Work-Life Balance! Alles gehört zusammen und ist in einem ständigen Verständigungsprozess verankert. Von uns und vom Zuschauer. Es ist nicht die Idee, dass das Werk da ist und dann wieder weg, es verändert sich.

«Ich mach schlussendlich sowieso mein eigenes Ding, spielt keine Rolle, wer der Autor ist, oder wer Regie führt. Ich mach, was ich will, es wird meine Show und es wird deshalb, vor allem deshalb wirds gut werden.»

dell’Anno: Es geht doch eigentlich darum, Leute dazu zu bringen, sich zwei Stunden hinzusetzen und sich auf etwas einzulassen. Und in diesen zwei Stunden passiert etwas und sie laufen verändert raus.

Rohrer: Die Hauptaufgabe ist es, eine Übersetzung zu finden, die so vielschichtig ist, dass jeder etwas versteht. Aber das heisst nicht, dass bei jedem die gleiche Nachricht ankommen soll, denn dazu muss man keine Kunst machen wollen, da kann man auch einfach einen wissenschaftlichen Text schreiben. Wenn der Zuschauer etwas für sich mitbekommt, Gedankenanstösse kriegt – dann bin ich schon ganz froh. Und wenn da noch 20 Meta-Reflexionsebenen dazukommen, dann ist das auch ok.

«Wenn ihr herkommt dann erwarten euch klaustrophobische Gefühle, eine visuelle Achterbahn und ganz viel kranke Scheisse von mir. Und ihr werdet’s lieben.»

Rohrer: Das, was sich in Basel «freie Theaterszene» nennt, ist einfach nicht frei, es ist eine Art von Theater, bei dem alles in die gleiche Richtung geht: Intellektuelles Gefühlsbombardement. Multimediales Hollywood für Intellektuelle, eine ästhetische Sintflut. Schön und qualitativ hochwertig, und kein Mensch versteht, worum es geht. Der Inhalt geht verloren. Und das darf einfach nicht passieren, da machen wir nicht mit.

dell’Anno: Grundsätzlich muss man schon sagen, dass wir zu den Privilegierten gehören, die mit soviel Energie und Offenheit auf die Welt zulaufen können. Das heisst aber nicht, dass wir intellektuell verblendet sind. Ich kenne dieses Bewusstsein, zu den Privilegierten zu gehören, in einer privilegierten Sicht auf die Welt zu schauen und ich will etwas zurückgeben – durch das Theater. 

Rohrer: Es geht darum, Anteil am Chaos zu nehmen. Wir sind interessiert an der Welt. Wir leben hier in Basel, wir erfahren unsere Welt so wie sie ist und wir stecken unsere Verständigung in dieses Stück und tragen es hinaus, in alle Richtungen. Und deshalb mach ich Theater. Denn das will ich: Die Grenzen aufheben.

«War’s das? Gut.»

Sina Dell’Anno und Phillip Rohrer studieren beide Germanistik an der Uni Basel und sind Teil des Vereins kreidekommakohle. Phillip ist Autor und Sina führt mit Mitstudent Achim Imboden Regie. Dazu kommen noch 6 weitere fixe Mitglieder für Schauspiel, Bühnenbild, Produktion und Kommunikation. Ihr erstes Stück «Die Scheidung der Lichts» wurde im Frühjahr 2012 aufgeführt und war ein voller Erfolg. Im März 2014 bringt das Kollektiv sein neues Projekt auf die Bühne: «Asthma – brav in die neue Welt», im SUD Basel. Auf wemakeit.ch kann man das Projekt unterstützen.

Nächster Artikel