Wochenstopp: Empire of Illusions

Dass manche Träume besser Schäume bleiben, zeigt ein neues Performance-Projekt im Theater Roxy.

Leere Plätze – oder Freiraum, sich auf die wirklichen Wünsche zu besinnen? (Bild: Georg Brändli)

Dass manche Träume besser Schäume bleiben, zeigt ein neues Performance-Projekt im Theater Roxy.

Wovon träumen Sie, wenn Sie die ­Augen schliessen? Und halten Sie die eigenen Wunschvorstellungen tatsächlich für «Schäume» – oder nicht doch heimlich für wirklich, frei nach der bezaubernden Françoise Hardy, die das Wesen jener Trugbilder einst so poetisch auf den Punkt brachte: «Träume, die bei Nacht entstehen / und am Tag vergehen / sind meistens gar nicht wahr / Weil sie unter den Millionen un­serer Illusionen geboren sind.»

Diese Erkenntnis sei heute wichtiger denn je, lautet zumindest die These von Tabea Martin und Matthias Mooij: Die preisgekrönte Basler Choreografin und der niederländische Regisseur tauchen in «Empire of Illusions» nämlich mit Haut und Haar in «Traumwelten» der Gegenwart ein. Von harmlosen Alltagsfluchten bis zu handfesten Lebenslügen führt ihre neue Performance, die am Samstag im Theater Roxy Premiere feiert und zärtlich-ironische Würdigung und kritische Spurensuche zugleich sein soll.

Alles andere als ein einfaches Thema also, das sich das Paar für seine vierte ­gemeinsame Produktion ausgesucht hat – aber durchaus sinnig, beschäftigten sich ihre hochgelobten letzten Tanztheater­projekte «Und oben standen wir» und ­«Sofort geniessen» doch ebenfalls mit allzu menschlichen Ansprüchen und Projektionen, kurz: mit den charakterlichen Grundzügen unserer gegenwärtigen Gesellschaft.

Vermeintliche Lösungen

Dennoch stünden sie nun «vor einer völlig neuen Situation», erzählt Mooij freimütig: «Nämlich vor der Herausforderung, das Abdriften in die Traumwelt und das Entgleiten der Realität in Bewegungsabläufe zu übersetzen, die den Tipping Point, das Kappen der Bande zur Normalität, nachzeichnen.» Grosse Leinwände auf der Bühne ­sorgen dafür, dass die darauf projizierten Bilder ihre kollektiv-symbolische Sogkraft innert Sekunden parallel zum Tanz entfalten können. Denn das eigentlich Beunruhigende an diesen Träumen vom eigenen Glück seien ja gerade «die fixfertigen Bilder, die uns von der Gesellschaft als vermeintliche ­Lösung suggeriert werden».

So habe die Wirtschaft die rückläufige Orientierung an Ideologie, Politik und Religion genutzt, um die Erfüllung individueller Bedürfnisse mit dem Konsum von Luxus­waren oder Statussymbolen gleichzusetzen. Aus dem Herzenswunsch, glücklich zu sein, resultiere die Suche nach einem exklusiven Eigenheim und Urlaub.Kein Wunder, dass viele Leute ob diesen von Werbung und Marketing gesteuerten Sehnsüchten den Faden zu den eigenen Bedürfnissen verlören. «Und wohin eine Gesellschaft ohne Bodenhaftung hinführt, hat die globale Finanzkrise ja eindeutig demonstriert: zum eigenen Zusammenbruch!»

Trotzdem plädiert das Paar keinesfalls für das Ende aller Hirngespinste, sondern bloss für eine beständige Reflexion dieser schönen Scheinwelt. Oder in Traumfän­gerin Hardys Worten: «Träume, die uns nichts bedeuten, sollte man beizeiten mit anderen Augen sehn / weil sie oftmals ­unser Denken auf die Wege lenken, die wir dann gehen.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12

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