Tocotronic spielen mit ihrem zehnten Album «Wie wir leben wollen» auf dem Kulturfloss Basel.
Vor einem Jahr, im letzten Festivalsommer, standen Tocotronic an der Schwelle zu ihrem grossen Jubeljahr: das zehnte Album «Wie wir leben wollen» in der Pfanne, das 20. Bandjahr stand bevor. Und Tocotronic spielten ein paar Festivalkonzerte, bestückt mit Songs aus ihren frühsten Tagen. Einer davon hiess «Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein» von ihrem Debütalbum «Digital Ist Besser». 1995 war das, lange ists her.
Das Lied von der Jugendbewegung stempelte die frühe Karriere von Tocotronic, deren stets ironisch-distanziert betriebenes Spiel mit identifikationsstarken Slogankräften als pointierte Generationenstimme missverstanden wurde. In der «Hamburger Schule», diesem zwar personell eng verzahnten, jedoch stilistisch äusserst heterogenen Reigen alternativer deutschsprachiger Gitarrenmusik im Hamburg der frühen 1990er-Jahre, stiegen Tocotronic zur ungreifbarsten deutschen Rockband der Gegenwart auf, die mittlerweile auch kommerzielle Erfolge feiert. 2010 grüssten sie mit «Schall und Wahn» erstmals von der Hitparadenspitze.
Trockener Zornesrock
«Pure Vernunft darf niemals siegen» läutete vor knapp zehn Jahren, in der Mitte der Bandkarriere, die deutliche Abkehr vom jugendlichen Ennui und der abstrakten Bildsprache und die Hinwendung zur radikalisierten Verweigerung ein. Die Single «Aber hier leben, nein danke» schoss mit trockenem Zornesrock gegen jede Form von deutschem Wohlfühl-Nationalismus, die folgenden Alben «Kapitulation» und «Schall und Wahn» spitzten die aggressive Sprache noch zu, wovon Titel wie «Die Folter endet nie», «Sag alles ab» und «Mein Ruin» kündeten.
Mit «Wie wir leben wollen» schlagen sie im Jubeljahr schliesslich abermals ein neues Kapitel auf. Im Vorlauf der Veröffentlichung publizierten Tocotronic 99 Thesen zur Existenzfrage vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit – als mittlerweile über zwei Jahrzehnte gereifte Band, der Sänger Dirk von Lowtzow Texte beigibt, die deutlicher von innerer Reflexion denn von äusserer Abgrenzung durchdrungen sind. «Um Kopf und Kragen muss ich mich reden / in vulgären Versen aus dem vulgären Leben» singt von Lowtzow in einer melancholischen Ode an die nun 20 Jahre dauernde dialektische Geschichte von Vereinnahmung und Verweigerung. Was bleibt, ist die Einsicht in die eigene Endlichkeit. «Ich bin jetzt alt / bald bin ich kalt», heisst es schon in den ersten Zeilen der Platte. Die Musiker altern, die Band aber wächst. Darf gerne 20 weitere Jahre dauern.
- Im Fluss, Basel. Donnerstag, 1. August, 20.30 Uhr.