Wohin man schaut zuviel

Der Opernregisseur Calixto Bieito führte mit «Bluthochzeit» erstmals am Schauspielhaus Regie. Kein Darsteller, der an diesem Abend nicht alles gegeben hätte. Nur: Was soll uns dieses veraltete Übermass an Intensität?

(Bild: Hans Jörg Michel)

Der Opernregisseur Calixto Bieito führte mit «Bluthochzeit» erstmals am Schauspielhaus Regie. Kein Darsteller, der an diesem Abend nicht alles gegeben hätte. Nur: Was soll uns dieses veraltete Übermass an Intensität?

Zwei junge Leute verloben sich. Am Hochzeitsabend brennt die Braut mit ihrem früheren Verlobten durch, der sich unterdessen mit einer anderen verheiratet hat, die erste aber immer noch liebt. Der Rest ist Blut und Ausmessung der emotionalen Abgründe. So schlank ist das Gerüst in Federico García Lorcas «Bluthochzeit», das er 1933 verfasste, drei Jahre vor seinem frühen Tod durch Ermordung während des spanischen Bürgerkriegs. Darein verwoben sind grosse Themen: Schuld, Stolz, Verlust, Eingeständnis, Rache. Dazu Frauen, die von den Männern erniedrigt werden, aber zugleich den Ton angeben.

Dem kann sich niemand entziehen, damit kann man alles machen. Doch hat er das geschafft, der Opernregisseur Calixto Bieito mit seiner ersten Arbeit am Schauspielhaus Basel? Der Applaus war zugleich jubelnd und kurz. In den Gesprächen nach der Aufführung fand man nicht zwei Personen, deren Eindruck sich geähnelt hätte. Die einen waren berührt vom innigen Spiel der Grazia Pergoletti, die als Mutter des getöteten Bräutigams die Groteske des Tötens zeigt und so zur eigentlichen Hauptfigur des Stückes wird. Andere hätten sogar gern noch mehr gesehen von Bieitos Fähigkeit, mehr aus den Schauspielern herauszuholen, als diese selber von sich wissen. Dabei ist eines mal sicher: Niemand stand an diesem Abend auf der Bühne, der nicht alles gegeben hätte. 

Drängt sich die Gegenfrage auf: Was soll uns das?

Kein Satz, der nicht mit bebender Intensität gesprochen würde. In jedem Blick versammelt sich das Leid der geschundenen Existenz. Jeder Dialog kocht in Geschrei über oder kühlt in Verbitterung ab. Ein Blumenstrauss wird wütend zerschmettert. Eine Frau wird mit dem Gesicht in den eigenen Urin gedrückt, den sie vor Angst gelöst hat. Bleibt noch übrig: ein Hochzeitsfest, das in grob-ekliger Annäherung und irrem Gelächter endet. 

Schon vor 15 Jahren veraltet

Damit ist das Repertoire eines Theaters, in dem das Innenleben der Figuren so grell exponiert wird, dass sich die Schauspieler beim Verbeugen gerade noch auf den Beinen halten können, fast vollständig bedient. Doch dieser Stil war schon vor 15 Jahren veraltet. Alle Schreie wurden geschrien, alle Blumen zerfetzt und alle Kostüme besudelt. Es ist vorbei. Wer auf diese Weise Durchschlagskraft sucht, reiht sich ein in die endlose Kette der Gewöhnlichkeit, bei der einfach am Intensitätsregler gedreht wird. Mit jeder Eskalation fallen die Figuren weiter aus unserer Zeit. Wovon erzählen sie? Und wem? Ein gutes Pathos, das durch Lorcas Text vorgegeben ist, entsteht nicht durch Auftürmung, sondern durch Aussparung.

Gerade bei Calixto Bieito verwundert diese Entscheidung. Ganz offensichtlich hat er keine Grenzen der Darstellung. Drei Sätze genügen bei ihm, um die Flucht der Braut mit dem früheren Geliebten zu erzählen. Wozu nimmt er andernorts diesen dicken Pinsel zur Hand?

Vielleicht gerade trotzdem, sagte jemand im anschliessenden Gespräch. Und das muss man Bieito lassen: Provoziert hat er. 

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Weitere Vorstellungen: www.theater-basel.ch

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