Zum Auftakt beschwingt, von Zaungästen umringt

Gespannt waren Musikfans, ob das Open Air Basel mit neuem Namen und neuem Konzept seinen Charme in die neue Ära mitnehmen kann.

Das Open Air Basel kommt gut an – ob bei Tag... (Bild: Caroline Földy)

Zum Auftakt zeigte sich das erste «Open Air Basel» auf der Kaserne von seiner charmanten Seite.

Freitagnachmittag, kurz vor vier: Noch ist die Stimmung auf der Kaserne – zumindest vordergründig – ziemlich entspannt, wenn nicht gar sommerlich-schläfrig, als der lokale Aufsteiger Baum mit seiner Band die Bühne betritt und mit seinen gemächlichen, bluesig-melancholischen Balladen dem Platz erstmals sanft musikalisches Leben einhaucht.

Nur hinter den Kulissen, da spürt man doch eine gewisse Geschäftigkeit und Anspannung. Denn schliesslich ist – nach den erfolgreichen Ausgaben der vergangenen Jahre – heute alles anders: Als «Open Air Basel» hat sich das ehemalige Viva con Agua & Kaserne Festival 2013 einen Relaunch verpasst: Weg von der Gratiskultur, die den Anlass in den letzten drei Jahren zu einem veritablen Volksfest hatte werden lassen, aber auch einiges an Probleme mit sich brachte: So hing neben Lärmklagen vor allem das drohende Defizit bei Wetterpech als dunkler Schatten und Damoklesschwert über dem Freiluft-Benefiz-Anlass für sauberes Trinkwasser.

In letzter Sekunde klappte das Crowdfunding

Neu will man nun hin zu einem stärker kuratierten Musikprogramm, zu Headlinern, die sich stärker an anderen Schweizer Open Airs der Oberliga orientieren und damit auch direkt mit ihnen messen können. Ein mutiger Schritt, sicher, aber auch kein unumstrittener: Gerade aus dem Umfeld der Kleinbasler Alternativkultur hatten sich manche Exponenten öffentlich beschwert, dass das «Festival für alle» sich damit ein trendiges Gewand verpasse, und dafür aufgrund der neu eingeführten Kostenpflicht die Zugänglichkeit des Kasernen-Areals wie zuvor schon das 14-tägige Tattoo kappe.

Dass diese «Hipsterisierung» nicht von allen goutiert wird, könnte auch einer der Gründe dafür sein, dass ein Crowdfunding-Aufruf zum begleitenden Street-Art-Special, wo man sich live vor Ort Motive von urbanen Strassenkünstlern auf Stoffe angesagter lokaler Labels wie Tarzan oder Boycotlettes drucken kann, lange vor sich hin dümpelte und der angepeilte Betrag von 4000 Franken für die Realisierung des Projekts erst in allerletzter Sekunde zusammenkam.

Funkensprühender Amboss

Ein schlechtes Omen also? Davon ist am Freitagnachmittag allerdings herzlich wenig zu spüren: Denn, so der gute Kompromiss, den die Macher mit der Stadt und deren Bevölkerung schlossen, bis 19 Uhr bleibt das Festival kostenlos. Und so flanieren bei bestem Sommerwetter am frühen Abend noch immer viele Familien mit Kleinkindern und Jugendliche über das Gelände, ist die Stimmung heiter, auch wenn vom Indie-Pop des aus dem Clueso-Umfeld stammenden Songwriters Tim Neuhaus nicht allzu viel Zwingendes hängen bleibt.

Doch dann naht bereits der Moment der Entscheidung: Um 19 Uhr werden auf der Kaserne die Schotten dicht gemacht, ab dann beträgt der Eintritt für die hintere Hälfte des Platzes an der Abendkasse 25 Franken. Mit der Verpflichtung des vielgelobten Synth-Folkpop-Sängers John Grant haben die Festival-Macher rund um Kaserne-Musikchef Sandro Bernasconi allerdings ein glückliches Händchen bewiesen: Auch wenn man dem Aufsteiger theoretisch genauso noch aus der Ferne, im Gratisbereich, zuhören könnte, treibt die charismatische Performance des HIV-positiven, vom Leben gezeichneten Vollbartträgers die Besucher in Scharen über die Bezahllinie.

Denn hier spürt man Verzweiflung und Hoffnung, hier treffen Liebe und Schmerz ungefiltert, hart und funkensprühend wie ein Hammer auf seinen Amboss auf die steigende Anzahl Anwesende. Kurz: hier entfaltet das Open Air die benötigte Dringlichkeit, eine Botschaft, für die man gerne bereit ist, den Geldbeutel zu zücken: Grosser Jubel bei den Zuschauern, grosse Erleichterung wohl auch im Back-Office.

Flossbedingter Exodus?

Bei den anschliessend auftretenden Hamburgern von Kettcar mag allerdings der eine oder andere seine Ausgabe bereits wieder bereut haben: Zumindest scheint während des soliden, aber eher durchschnittlichen Auftritt kurzzeitig ein Exodus stattfzufinden. Oder liegt es daran, dass nun auf dem konkurrierenden Kulturfloss Lokalmatador Pyro seine Reime zum Besten gibt – und das erst noch gratis?  Auf Facebook jedenfalls melden sich erste, kritische Stimmen wie Neubasel-Mitglied Fabian Müller zu Wort, welche die Neuausrichtung zum «Fehlentscheid» erklären, der den Charme des Anlasses untergrabe.

Ein harscher Vorwurf – und auch ein etwas verfrühter: Denn als kurz nach zehn Uhr Nachts die isländischen Elektro-Pop-Pioniere (und in der Kaserne stets gerne begrüssten Urgesteine) Gus Gus zu ihrem Auftritt ansetzen, ist der Vorplatz schon wieder beinahe zum Bersten gefüllt. Epische Synthiefanfaren, dunkel-schmachtende Liebeslyrics, wummernde 4/4-Takt-Basslines und eine wunderbar athmosphärische Lightshow bilden eine mehr als adäquate Kulisse für ein Open-Air, das mit 25 Franken pro Abend wohl immer noch mit Abstand zu den schweizweit günstigsten zählen dürfte.

Hippe Mucke aus Berliner Stall

Dass unter den Zuschauern bisweilen etwas leise Enttäuschung zu spüren ist, dass Gus Gus dieses Mal nicht mit einer richtigen Live-Band unterwegs sind, sondern viele Sounds und Samples alter Lieblingssongs nur mehr digital einspielen, trübt die Leistung der charismatischen Combo aber wohl höchstens für ihre eingefleischten, alten Fans – tut der guten Gesamtstimmung auf dem Areal dagegen keinen Abbruch. Spätestens als sich das Geschehen nach Mitternacht ins Innere der Kaserne verlagert, wo die hippe Berliner Szenegrösse DJ Grizzly mit einem Mash-Up-Mix aus undergroundigem Pop, elektronischen Evergreens und technoideren Klängen aufwartet, macht sich im Rossstall eine wohlige Zufriedenheit breit.

Denn Musik, Wetter, Stimmung – soweit war zum Auftakt des ersten Open Air Basel alles beschwingt – auch wenn das Areal im Vergleich zu den vergangenen drei Auflagen wohl nun dieses Jahr doch von spürbar mehr Zaungästen umringt, und damit auch einiges stärker kritisch hintersinnt werden dürfte als zuvor. Oder in den Worten der erschöpften, aber glücklichen Festival- und Viva con Agua-Schweiz-Präsidentin Danielle Bürgin, die als DJ Féline zuvor auch noch selber im Rossstall aufgelegt hatte: «Es ist rückblickend nun doch fast alles erstaunlich gut angelaufen. Dass wir trotz diesem Wagnis eines Neustarts weder merkliche Stimmungs- noch Zuschauerzahl-Einbussen gespürt haben, macht mich wahnsinnig happy. Es zeigt, dass wir mit dem Konzept auf dem richtigen Weg sind.»

Dieser setzt sich heute, am zweiten Festivaltag fast nahtlos fort: Am Samstagabend stehen mit den englisch-spanischen Indie-Rockern Crystal Fighers und der Soul-Ikone Lee Fields wiederum ein paar hochkarätigte Bands auf dem Programm, welche dem Basler Publikum bei sommerlichen Temperaturen mächtig einheizen dürften – für 25 Franken auch in unmittelbarer Sichtweite.

  • Open Air Basel, Tag 2. Kaserne, Basel. 15-19 Uhr (gratis): Schwellheim (BS), DyMe-A-DuZin (US). Ab 19 Uhr (Eintritt: 30.-): Lee Fields & The Expressions (US), Allah-Las (US), Crystal Fighters (UK/E), ab 24 Uhr (Eintritt: 15.-): Aftershow mit Nightmares On Wax aka DJ E.A.S.E. (UK) und Alma Negra (BS).

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