Zum Schluss gibt’s ein Spinnen-Crostini

Auf dem Freilagerareal im Dreispitz, dem ehemals gewerblich genutzten Unort am Südrand der Stadt, der sich unter den Fittichen der Christoph Merian Stiftung zum urbanen In-Ort wandeln soll, präsentiert das Theater Basel ein höchst abwechslungsreiches und amüsantes Panoptikum zum Thema Utopie: «Utopia – Vom besten Zustand».

Nicht alles in «Utopia» bedeutet Glück (andrea Bettini). (Bild: Judith Schlosser)

«Utopia» ist weit mehr (und oftmals wesentlich weniger) als die Insel der Glückseligen. Das zeigt – auf eine höchst abwechslungsreiche und amüsante Art – der gleichnamige Abend des Theaters auf dem Freilagerareal im Dreispitz.

Wann wurde man im Theater, bei Keksen und Tee, je einmal gefragt, was für einen ganz persönlich «Glück» bedeutet bzw. Glücksmomente beschert? Der Schauspieler Jörg Schröder fragt dies. In seiner kleinen «utopischen Höhle» im ersten Stock des Bürotrakts eines ehemaligen Lagerkomplexes.

Das Publikum ist inzwischen in verschiedene Kleingruppen von jeweils rund fünfzehn Personen aufgeteilt worden. Nun sitzt man in diesem kleinen intimen Rahmen zusammen. Und Schröder spricht einen so charmant und persönlich auf das persönliche Glück an, dass man um eine Antwort kaum verlegen ist.

Ein hoher Basler Kulturbeamter im Publikum meint, dass es Spaziergänge durch die Stadt seien, der Schreibende sagt etwas anderes, eine Frau nennt «schöne Theatererlebnisse» – und meint wahrscheinlich auch das aktuelle damit. Womit sie nicht alleine ist.

Man befindet sich im zweiten Teil des Projekts «Utopia – Vom besten Zustand» des Theater Basel. Der Begriff «Utopia», das weiss man in Basel vielleicht noch etwas besser als anderswo, geht auf den 1512 erschienenen gleichnamigen Roman des Erasmus-Freundes und Holbein-Förderers Thomas Morus zurück – die deutschsprachige Erstausgabe wurde hier gedruckt.

Darin wird eine Insel beschrieben, auf der die Gesellschaft ihren Idealzustand erreicht hat: Alle Besitztümer gehören der Gemeinschaft, Geld und Eigentum gibt es nicht, dafür Arbeit und Bildung für alle und so weiter. Ein Idealzustand, den zu erreichen nicht möglich ist, was «Utopia» ihre heute geläufige Bedeutung verliehen hat.

Die vielen Facetten von Utopia

Um Morus‘ Text geht es an diesem Theaterabend nur am Rande. Vielmehr wird das ausgebreitet, was die unzähligen anderen Philosophen, Schriftsteller, Politiker, Despoten, Idealisten, Wissenschaftler und ganz normale Individuen immer – also bereits vor Morus und lange nach ihm – nach ganz unterschiedlichen Utopien streben liess. Nach grossen, schrecklichen, schönen und auch ganz kleinen.

Das ist ganz schön viel aufs Mal. Das Theater mahnt sein Publikum denn schon im Voraus, dass man sich warm anzuziehen habe! – was sich aber nicht auf den Inhalt bezieht, sondern auf den Umstand, dass «nicht alle Hallen geheizt sein werden». Was stimmt, denn wirklich warm ist es nicht – was sich aber wiederum nicht auf den Inhalt bezieht.

Am Anfang ist das rund zweihundertköpfige Publikum noch beisammen. In einer grossen ehemaligen Lagerhalle wird es mit der Vielstimmigkeit utopischer Thesen und Weltanschauungen konfrontiert, bis auf einem Sessellift die scheinbar heile Bergwelt von Heidi und Co. hereinschwebt.  Scheinbar, weil sich der Geissenpeter (Lorenz Nufer) als ekelhafter Widerling entpuppt, der das Höllentor aufstösst und den Alp-Öhi (Urs Bihler) in die Rolle des Leibhaftigen schlüpfen lässt, während Heidi (Carolin Schär) – alle hatten in der letzten Spielzeit in der «Heidi»-Kinderproduktion unter der Regie von Florentine Kleppner, die nun auch «Utopia» inszenierte, die entsprechenden Rollen inne – sich als Rockgöre austobt.

Reise zu verschiedenen Stationen

Dass hier nicht der ganze Abend umfassend beschrieben werden kann, liegt daran, dass das Publikum nach dieser Eingangsszene in Gruppen aufgeteilt und mit unterschiedlichen Einzel-Utopien konfrontiert wird, die alle zu erleben, doch etwas gar viel Zeit in Anspruch genommen hätte.

Es soll hier auch nicht alles beschrieben werden, weil dem potentiellen Publikum die Überraschungsmomente nicht genommen werden sollen. Denn wir wollen den Besuch von «Utopia – Vom besten Zustand» weiterempfehlen. Nicht alles lief am Premierenabend ganz rund, sollte es vielleicht auch gar nicht, weil sich die Schauspieler in ihren Einzel-Utopie-Nummern beabsichtigt zwischen Kunstfigur und persönlichem Individuum bewegen. Aber eines soll doch klar gesagt sein: Der Abend ist abwechslungsreich, überraschend, sogar ein bisschen lehrreich und ganz schön unterhaltsam.

Am Schluss treffen die Publikumsgruppen wieder zusammen. Zur Kochshow von Andrea Bettini, der sich in der Zwickmühle zwischen gutem Essen und politisch korrekter Nahrungszubereitung verheddert hat. Rindfleisch darf man ja wegen den Auswirkungen auf das Klima nicht mehr essen, Gemüse allein vermag den Eiweiss-Bedarf nicht zu decken.

Schliesslich präsentiert er einen Ausweg, den man – mit einem mulmigen Gefühl – auch degustieren kann. Was das unter anderem ist, haben wir im Titel  dieses Beitrags bereits verraten.

 

«Utopia – Vom besten Zustand»

Eine szenische Installation mit Texten von Thomas Morus 1516 bis Beatrice Fleischlin 2012

Regie: Florentine Klepper, Texte: Beatrice Fleischlin, Bühne und Projektionen: Bastian Trieb, Musik: Olivier Truan, Kostüme: Eva Butzkies, Dramaturgie: Julie Paucker

Mit: Andrea Bettini, Urs Bihler, Thomas Douglas, Lorenz Nufer, Carolin Schär, Jörg Schröder, Olivier Truan, Anne Weinknecht sowie Julie Burkhardt, Birkan Çam, Melinda Karpati, Sophie Lardon, Ronja Römmelt (Jugendliche)

Weitere Vorstellungen: 26., 30., 31.3., 1., 4., 11., 16., 17.4.2012, 20.00 Uhr (sonntags: 19.00 Uhr)

Raum D, Dreispitzareal, Oslostrasse 12

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