Zwei Graphic Novels zeichnen das Ende Jugoslawiens nach

Zwei Graphic Novels, die sich mit dem Ende Jugoslawiens befassen, erscheinen nun in deutscher Sprache. Nina Bunjevac erzählt in «Vaterland» die Geschichte ihres Vaters, der Jugoslawien durch seine Terrorakte ein Ende setzen wollte. Joe Sacco zeichnet detailverliebt in «Sarajevo» das Bild der Stadt – vor und nach dem Krieg.

Zwei Graphic Novels, die sich mit dem Ende Jugoslawiens befassen, erscheinen nun in deutscher Sprache. Nina Bunjevac erzählt in «Vaterland» die Geschichte ihres Vaters, der Jugoslawien durch seine Terrorakte ein Ende setzen wollte. Joe Sacco zeichnet detailverliebt in «Sarajevo» das Bild der Stadt – vor und nach dem Krieg.

 

 


1975 flieht Nina Bunjevac aus Kanada nach Jugoslawien. Zu diesem Zeitpunkt ist die Autorin und Zeichnerin noch ein kleines Kind. Ihre Mutter flüchtet vor dem trinkenden Vater. Ihr Bruder bleibt in Kanada zurück, damit die Grosseltern ihn nicht mit ihrer «kommunistischen Propaganda» füttern können.

Nicht die Trinkerei und das übergriffige Verhalten des Vaters waren das Hauptproblem, sondern seine Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Der Antikommunist schloss sich der «Freedom of the Serbian Fatherland» an, die in Nordamerika Bombenanschläge auf jugoslawische Botschaften und Tito-Anhänger verübte.

Der jugoslawische Geheimdienst JDB reagierte auf seine Weise: Er richtete sich mit insgesamt rund 200 Morden und Entführungen aktiv gegen die Gegner der jugoslawischen Regierung, wobei Staatschef Tito persönlich die Befehle zur Ermordung erteilte. Auch Peter Bunjevac wurde vom Geheimdienst beschattet und setzte seine ganze Familie einer tödlichen Gefahr aus.

 

1977 traf ein Telegramm in Belgrad ein. Der Vater war gestorben. Den Tod fand Peter Bunjevac beim Bombenbau in einer Garage. Eine unerwartete Explosion riss eine der serbischen Terrorzellen in den Tod.

Die Geschichte des Vaters zeichnet Nina Bunjevac nun in ihrer Graphic Novel «Vaterland» nach. Bereits 2012 erschien die Comicsammlung «Heartless», in dem sie die Kurzgeschichte «August 1977» über den Tod ihres Vaters veröffentlichte. Die Eckdaten des Todes des Vaters werden darin relativ unemotional geschildert. Die grosse Frage in «Vaterland» aber ist: Wie konnte aus Peter Bunjevac letztlich werden, wer er wurde?

An manchen Stellen wirkt «Vaterland» wie ein Familienalbum. Nina Bunjevac zeichnet Familienfotos nach und legt Dinge offen, welche die Fotos verdecken sollen. Auf einem Foto beispielsweise sieht man ihre Grosseltern väterlicherseits. Man muss sehr genau hinsehen, um zu erkennen, dass die Grossmutter ein blaues Auge hat. Ein Detail, das der Fotograf ursprünglich verbergen wollte. Neben häuslicher Gewalt geht es aber vor allem um die Geschichte Jugoslawiens.

Nina Bunjevacs Vater wurde Opfer häuslicher Gewalt und der Vernichtungspolitik der Nazis und Ustascha. Scheinbar hat ihr Vater den Zweiten Weltkrieg nur überlebt, weil ein einsamer deutscher Soldat sich mit Peter Bunjevacs Mutter verstand. Beide sprachen ein wenig Englisch. Bereits als Kind galt Peter Bunjevac als missraten. Im Heimatdorf fiel er dadurch auf, dass er die Katze in den heissen Ofen steckte, woraufhin er auf die Militärschule in Split geschickt wird.

Nach drei Jahren Gefängnis beschliesst er, nach Kanada auszuwandern. Während er in Österreich auf seine Ausreisegenehmigung wartet, begegnet er Nikola Kavaja, einer Schlüsselfigur des Terrorismus serbischer Gruppen. 1969 soll er ihn auf einem Treffen serbischer Nationalisten wieder treffen. Zu der Zeit hatte sich um Kavaja bereits die Gruppe gegründet, die mehrere Bombenanschläge auf jugoslawische Botschaften in Kanada und den USA verübte.

 

In den Kämpfen innerhalb von Nina Bunjevacs Familie spiegeln sich die Kämpfe innerhalb des ehemaligen Jugoslawiens. Tschetniks und Ustascha gegen Partisanen, Nationalisten gegen Jugoslawen, Terror gegen Brüderlichkeit und Einheit – das sind auch die grossen Kämpfe in der Familie von Bunjevac. Ihre Grossmutter mütterlicherseits beispielsweise ist eine kommunistische Partisanin, die mit ihrem Schwiegersohn nicht viel anzufangen wusste.

Nina Bunjevacs «Vaterland» verbindet eine schonungslos ehrliche Familiengeschichte mit der Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert, welche letztlich in den Kriegen der 1990er-Jahre endete.

Direkt in den Krieg mit Sacco

Mit diesem Krieg beschäftigt sich die Graphic Novel «Sarajevo» von Joe Sacco. Der US-amerikanische Kriegsberichterstatter mit dem Zeichenstift verbrachte während und nach dem Krieg Zeit in Bosnien-Herzegowina. Im Mai erscheint bei Edition Moderne die deutsche Fassung «Sarajevo», welche die beiden Bände «The Fixer» und «Wars End» verbindet.

Joe Sacco gewann 1996 mit «Palestine» den American Book Award. Sich selbst definiert er als zeichnenden Journalisten.

Im Vordergrund steht der Fixer Neven. Ein Fixer ist jemand, der für Reporter Dinge möglich macht, die ansonsten nicht möglich wären. Er hat grossen Anteil daran, dass Sacco die Belagerung Sarajevos beschreibt, ohne dabei in Klischees zu verfallen. Man spürt in den Zeichnungen förmlich die tägliche Angst vor den Scharfschützen. Saccos Werke bestehen aus vielen einzelnen Reportagen.

(Bild: © Edition Moderne)

Die Geschichte beginnt mit den alten Herren, die vor der orthodoxen Kirche in der Habsburger Innenstadt Schach spielen. Das haben sie bereits vor dem Krieg getan, und sie tun es heute noch. Nach jedem Zug wird darüber philosophiert und gestritten, ob dies nun die richtige Entscheidung war. Die Bilder sind detailverliebt, gefüllt mit kleinen Einschusslöchern, von denen es auch heute noch so viele in der Stadt gibt.

Was einem besonders in Erinnerung bleibt von «Sarajevo», ist die Reportage von den Weihnachten mit dem Kriegsverbrecher Radovan Karadzic. Sacco versucht ihn mit einem Radioreporter vor das Mikrophon zu bekommen, als Karadzic kurz nach Ende des Krieges zum serbisch-orthodoxen Weihnachtsfest eine Kirche in Pale – östlich von Sarajevo – besucht. Während des Krieges sagte Karadzic noch: «In Sarajevo werden sie nicht die Toten zählen, sondern die Überlebenden.» In der Reportage fährt er mit seinem Mercedes vor und gibt ein sechsminütiges Interview, welches Sacco mit folgenden Worten zusammenfasst:

«Keine Reue wegen der Vergewaltigungen, der Konzentrationslager, der ‹ethnischen Säuberungen›, der mit aufgeschlitzten Kehlen in der Drina treibenden Toten, der zu Tausenden abgeschlachteten und in Massengräbern verscharrten Kriegsgefangenen, und auch nicht wegen der unzähligen anderen Opfer, die dieser Mann zu verantworten hat.»

Joe Sacco blieb auch nach dem Friedensvertrag von Dayton in Bosnien-Herzegowina, als die Fernsehkameras und die internationalen Medien den Schauplatz verliessen. Gerade deswegen sei Saccos Werk denjenigen ans Herz gelegt, die verstehen wollen, was der Krieg aus den Menschen in Bosnien-Herzegowina gemacht hat.

(Bild: © Edition Moderne)

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