Der Osteraufstand vor 100 Jahren gilt oft als Geburtsstunde der irischen Unabhängigkeit. Unter der Oberfläche der grossen Gedenkfeier vom Ostersonntag lauerten allerhand Kontroversen – und auch die Sorge, dass aktuelle Spannungen in Nordirland angeheizt werden könnten.
Ostern ist manchmal früher, manchmal später im Jahr. Vor hundert Jahren war Ostern am 24. April. Für die irische Nation ein historisches Datum, an das immer wieder erinnert wird. Dabei orientiert man sich aber nicht an der Zählung der Kalendertage, sondern am wechselnden Ostertermin.
So ist am vergangenen Ostersonntag, dem 27. März, des Aufstands gedacht worden, der vor 100 Jahren die Unabhängigkeit der Insel vom britischen Königreich hätte bringen sollen. Ostern: das Fest des Leids und der Auferstehung – auch der irischen Nation.
Kontroversen unter der Oberfläche
Die Gedenkfeier galt einer höchst widersprüchlichen Geschichte und setzte entsprechend unterschiedliche Beurteilungen frei. Gefeiert wurde jedoch mit den üblichen Ingredienzien: Es ging nicht ohne viel Militär und vorbeibrausende Jets (der britische Sender BBC sprach von Irlands grösster Parade), es folgten oder gingen voraus Kranzniederlegung, Salutschüsse, Fahnenkult und Schweigeminute. Natürlich alles begleitet vom üblichen Jubiläumskommerz: T-Shirts, Kühlschrankmagnete, als «Zeitzeugen» kostümierte Schauspieler und dergleichen.
Unter der Oberfläche des Mega-Events lauerten allerhand Kontroversen. Ein wichtiger Streitpunkt war und ist, ob die Aufständischen von Ostern 2016 ehrenvolles Angedenken überhaupt verdienten.
Father Seamus Murphy, ein führender Geistlicher Irlands, stellte sich auf den Standpunkt, die Aufständischen hätten sich nicht auf den katholischen Glauben berufen können, sie hätten nicht dem «Christian God» gedient. Die Aufständischen hatten aber verkündet, dass die Befreiung Irlands von der britischen Fremdherrschaft nur noch eine Frage von Tagen sei – «mit Gottes Hilfe».
Ob die kleine Gruppe aus Schriftstellern, Sprachfanatikern, Lehrern, Veteranen und revolutionären Marxisten bei der Besetzung der legendär gewordenen Hauptpost rücksichtslos vorgingen, wird nicht rekapituliert. Gesagt wird aber, dass auf die schlecht vorbereitete Aktion die brutale Repression durch britische Streitkräfte mit modernster Artillerie folgte und dass dabei unzählige Menschen umkamen, über die Hälfte Zivilisten, unter ihnen vierzig Kinder.
Osteraufstand: ein Wendepunkt?
Nach einer Woche war der «Spuk» vorbei. Und doch wirkte er nach und nährte den Unabhängigkeitskrieg, der 1919 einsetzte, zwei Jahre dauerte und auf den auch noch ein langer inneririscher Bürgerkrieg folgte sowie die Gründung des Freistaates 1922.
Im heutigen Gedenken wird mit «1916» gerne eine doppelte Premiere beansprucht: erster Aufstand gegen Kolonialherrschaft und erste soziale Revolution (noch vor derjenigen in Russland). Der Osteraufstand war auch für die irische Kulturministerin Heather Humphreys der Anfang vom Ende der britischen Fremdherrschaft – «the seminal moment in our history, which set Ireland on the path to independence». Und er war inspirierendes Vorbild für andere Kolonien des britischen Imperiums.
Hat hier die nationale Heilsgeschichte ihren Ausgangspunkt? Dieser zu einfachen Überzeugung könnte man entgegenhalten, dass man möglicherweise auch ohne dieses Ereignis heute gleich weit wäre. Der weitere Verlauf der Geschichte war nur begrenzt davon bestimmt, jedenfalls weniger vom Aufstand als von der britischen Reaktion auf ihn.
Der Aufstand von 1916 wurde auf britischer Seite als heimtückischer Dolchstoss empfunden. In einem Moment, da das Mutterland – auch mit irischen Soldaten – auf dem Kontinent gegen den deutschen Feind kämpfte und auf dem Schlachtfeld der Somme schwerste Verluste hinnehmen musste. Dass das Königreich mitten im Krieg auf keinen Fall im Rücken eine zweite Front aufkommen lassen wollte, ist leicht nachvollziehbar. Von der standrechtlichen Erschiessung von 15 Aufständischen hätte es jedoch auch aus Gründen der Staatsräson absehen sollen. Die Hingerichteten wurden zu Volkshelden, zu Märtyrern der irischen Unabhängigkeit.
Das Beste, was die Aufständischen leisteten, war die Unabhängigkeitserklärung.
Das Jubiläum setzt tatsächlich die Frage frei, ob dieser Aufstand überhaupt nötig gewesen sei. Hätte man auf dem Verhandlungsweg nicht weiter kommen können?
Bis 1912 hatte Grossbritannien drei Anläufe unternommen, um Irland zu einem Autonomiestatus mit eigenem Parlament zu verhelfen. 1912 reagierten vor allem nordirische Protestanten am «Ulster Covenant» mit offener Aufkündigung des Gehorsams gegenüber der Krone. Für sie bedeutete «Home Rule» nichts weniger als «Rome Rule» unter katholischer Vorherrschaft. Die protestantische Seite schuf eine grossangelegte Miliz und liess sie 1914 mit deutschen Waffen versorgen.
Das Beste, was die Aufständischen leisteten, war die Unabhängigkeitserklärung, die am vergangenen Ostersonntag natürlich wieder verlesen wurde und zuvor in allen Schulen verteilt worden war. Insbesondere die folgende Passage kann Gültigkeit beanspruchen:
«Die Republik garantiert religiöse und bürgerliche Freiheit, gleiche Rechte und gleiche Chancen für all ihre Bürger und erklärt ihre Entschlossenheit, Glück und Wohlstand der ganzen Nation und all ihrer Teile zu fördern, alle Kinder der Nation gleich hoch zu achten…»
Austariertes Gedenken
Vor dem 100-Jahr-Gedenken bestand auch eine gewisse Sorge, ob dadurch die inzwischen wieder grösser gewordenen Spannungen in Nordirland angeheizt werden könnten. Vom 50-Jahr-Gedenken von 1966 heisst es, dass es wesentlich nationalistischer inszeniert und ein indirekter Vorlauf für den 1969 in Nordirland losgetretenen Bürgerkrieg gewesen sei.
Der offizielle Gedenktenor war nun aber ganz darauf gestimmt, dass man aller Opfer gleichermassen gedenken sollte, der Aufständischen, der in Mitleidenschaft gezogenen Zivilbevölkerung und der gefallenen Ordnungskräfte. Ein Teil des Gedenkens wurde auch an die Somme-Schlacht abgetreten mit der Bemerkung, dass diese selbstverständlich einbezogen sei.
Die Schuldfrage wurde im jetzigen Gedenken nicht angerührt. Der Anlass wurde vor allem genutzt, um Bürger und Bürgerinnen dazu aufzurufen, mit Zuversicht in die Zukunft zu schauen. Gewürdigt wurden auch die Armee-Einsätze im Irak, im Libanon, in Afghanistan und in Ruanda. Im Falle des Iraks hätte man sich fragen können, wie weit man als ehemalige Kolonie nun selber dem Lager der Kolonialmächte angehörte.
Dass so eine Feier auch Züge der Selbstbeweihräucherung trug, liess sich nicht vermeiden. Trotzdem musste sie es sich gefallen lassen, dass darauf hingewiesen wurde, wie weit Irland in der Zwischenzeit zuweilen von dem Ideal von 1916 entfernt war, mit dem Kindermissbrauch, dem Scheidungs- und Abtreibungsverbot, der korrupten Nähe von Bauunternehmern, Bankern und Politikern und anderem mehr. Hingegen entsprach die im vergangenen Herbst über eine Volksabstimmung eingeführte Homo-Ehe («same-sex marriage») durchaus den historischen Vorgaben.
Die Reaktion der Briten
Besonders interessieren könnte, wie Grossbritannien auf die Feier des Aufstands vor 100 Jahren reagiert hat. In der recht breiten Medienberichterstattung unserer Breitengrade blieb dies weitgehend eine Leerfläche. In einem Nebensatz wurde gesagt, dass Prinz Charles aus Sicherheitsgründen nicht nach Dublin geflogen war. Von Downing Street kam offenbar keine Erklärung – war ja auch kein britisches Fest.
Für die britische Presse war das «Easter Rising» aber doch ein Thema. Betont wurde aus gegebenem Anlass vor allem die Ähnlichkeit und Verflochtenheit der beiden Nationen, sogar von Blutsbrüderschaft war die Rede. Es wurde an den Staatsbesuch der britischen Königin im Mai 2011 – den allerersten in Irland – erinnert und an den Gegenbesuch des irischen Präsidenten Higgins vom April 2014. Irland könne doch wieder Mitglied des Commonwealth werden (nach dem Austritt von 1949), Königin Elisabeth II. sei für viele Mitglieder ja kein Staatsoberhaupt mehr, man sei vor allem eine Wertegemeinschaft etc.
Im «Sunday Telegraph» wurde sogar die Meinung vertreten, dass sich Grossbritannien bei Irland für begangene Fehler früherer Generationen entschuldigen sollte – «for wrongs committed by previous generations» – das Jahrhundertjubiläum wäre eine gute Gelegenheit dazu. Man kann sich allerdings auf den Standpunkt stellen, dass Elisabeth II. in ihrer bemerkenswerten Rede von 2011 wenigstens ihr königliches Bedauern ausgedrückt habe:
«To all those who have suffered as a consequence of our troubled past I extend my sincere thoughts and deep sympathy. With the benefit of historical hindsight we can all see things which we would wish had been done differently or not at all.»
«Allen, die infolge unserer gestörten Vergangenheit gelitten haben, versichere ich meine aufrichtige Verbundenheit und mein tiefes Mitgefühl. Im Genuss des historischen Rückblicks können wir alle Dinge sehen, die wir lieber anders oder gar nicht getan hätten.»