Abdoul möchte Doktor werden oder Fotograf

Der achtjährige Bub ist nicht wegen der Kämpfe in Mali hier, sondern weil ihm Basler Ärzte zu einer Nase verhelfen.

Abdoul fühlt sich «pudelwohl», obwohl er anders ist als die anderen Kinder: Er kam ohne Nase zur Welt. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Der achtjährige Bub ist nicht wegen der Kämpfe in Mali hier, sondern weil ihm Basler Ärzte zu einer Nase verhelfen.

Sein Lieblingswort ist «Nein». Genauer: «Nei». Baseldeutsch. «Gehst du gern zur Schule?» «Nei!» Sein Lachen sagt das Gegenteil, es sagt: «Ja, ich gehe gern zur Schule.» Was auch sein Klassenlehrer Philippe Valentin bestätigt: «Er geniesst es total, macht aktiv mit und fühlt sich pudelwohl.»

Abdoul ist ein Lausbub wie viele andere Achtjährige auch. Er ist mal frech, mal schüchtern, immer fröhlich und wild. Bis vor wenigen Monaten sprach er kein Wort Baseldeutsch. Seine Muttersprache ist Französisch, seine Heimat Mali in Westafrika. Dort lebt er in einem Haus mit der Mutter, den Geschwistern, etlichen Verwandten der Familie und deren Kindern.

Verachtung und Zuversicht

Nun aber ist Abdoul für ein halbes Jahr hier in Basel. Seit dem Spätsommer besucht er eine Klasse im Schulhaus St. Johann. Sein Schweizerdeutsch ist besser als das seiner Mutter Zenaba, im Gegensatz zu ihrem Sohn verbringt diese viel Zeit allein. Sie ist hier, weil sie Abdoul helfen will. Ihr Wunsch: Auch ihr jüngstes Kind soll durch eine Nase atmen können. So wie praktisch alle Menschen.

Vor gut acht Jahren wollten ihr die Ärzte nicht sagen, warum sie ihr Baby nicht sehen darf. Lauter Ausreden lies­sen sie sich einfallen, bis jemand mit der Wahrheit herausrückte: «Ihr Sohn hat keine Nase.» Mit vielem hätte die Mutter gerechnet, aber damit?

Es folgten Jahre der Verachtung. Der eigene Ehemann, Abdouls Vater, gab Zenaba die Schuld für die Fehlbildung des Kindes. Es kam zur Trennung. Auf der Strasse zeigten die Menschen mit dem Finger auf Abdoul.

Plötzlich im Rampenlicht

Doch Zenaba glaubte daran, dass dem Buben geholfen werden kann. Sie sollte recht bekommen. In Malis Hauptstadt Bamako traf sie auf eine Vertreterin der Schweizer Hilfsorganisation Iamaneh. Sonst hilft die Organisation keinen Einzelpersonen, bei Abdoul machte sie eine Ausnahme.

Vor gut vier Jahren schliesslich reisten Abdoul und Zenaba erstmals nach Basel. Hier befindet sich nicht nur der Hauptsitz der Hilfsorganisation, was praktisch für die Betreuung der beiden ist, sondern auch eine Abteilung im Universitätsspital, die auf solche seltenen Fehlbildungen spezialisiert ist. Abdoul wurde von den Ärzten um Professor Hans-Florian Zeilhofer untersucht und zog bald auch das Interesse der Öffentlichkeit auf sich. Die «Basler Zeitung» berichtete im Dezember 2008 als erstes Medium über den einzigen bekannten Fall eines Menschen, der ohne Nase zur Welt kam. Und Abdoul stand plötzlich im Rampenlicht. Liess sich fotografieren und zum Doktor begleiten. Möglicherweise liegt es daran, dass er heute auf die Frage, was er werden möchte, antwortet: «Doktor oder Fotograf.»

Unsichtbare Nase im Innern

Seit seinem ersten Aufenthalt in Basel lebt Abdoul in zwei Welten. In Afrika, wo die Kinder nach der Schule draus­sen spielen und die Mutter den Sohn nur zu Essenszeiten zu Gesicht bekommt. Und monateweise hier in einer kleinen Wohnung allein mit der Mutter. Das Ärzteteam hat in den vergangenen Jahren etliche Geräte und Methoden entwickelt, um Abdouls Nase auf natürliche Weise wachsen zu lassen. Die Anlage dazu war immer vorhanden, doch die Natur hat nicht getan, was sie hätte tun sollen. Vor gut drei Jahren schliesslich berichteten Medien, die Nase fange nun an zu wachsen. Daher mag es erstaunen, dass in Abdouls Gesicht auch heute noch erst eine Wölbung erkennbar ist.

Professor Zeilhofer mahnt, eine solche Entwicklung brauche Zeit. So müsse der Oberkiefer zuerst in die Breite wachsen, um Platz für Zahnkeime und Luftwege zu schaffen. «Wir können nicht einfach Haut und Knochen in sein Gesicht operieren.» Bisher sei der Verlauf erfreulich. Im Innern habe sich einiges getan, es daure aber noch ein paar Jahre, bis Abdouls Nase auch äusserlich sichtbar sei.

Finanziell ist das alles nur möglich, weil die Ärzte auf Honorar verzichten und die Hilfsorganisation Spenden (Konto am Ende des Textes) erhält. Edith Lohner aus Riehen etwa spendet, seit sie zum ersten Mal von Abdoul gehört hat. «Jöh, diesem Kind muss man helfen», habe sie gedacht.

Hoffnung auf Frieden

Abdouls Mutter hat manchmal Heimweh, obwohl sie hier inzwischen Freunde hat. Freunde – und eine Deutschlehrerin. Die pensionierte Berufssschullehrerin Christine Scherler unterrichtet Zenaba – und stellt diese beim Unterricht in den Mittelpunkt. «Ich spreche nicht von mir aus über Abdoul, da sich sonst häufig alles darum dreht. Bei mir ist Zenaba selber wichtig», sagt Christine Scherler.

Für Zenaba gibt es nebst ihrem Sohn derzeit ein anderes Hauptthema: In ihrer Heimat droht ein Krieg auszubrechen, die Medien berichten von Kämpfen und Flüchtlingen. Auch diesmal gibt sie die Hoffnung nicht auf. Diesmal hofft sie auf Frieden.

Spenden: 40-637178-8, Vermerk «Abdoul».

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25.01.13

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