Aber den alten Pass müsst ihr abgeben – der Trotz der SVP nach ihrer Niederlage

Die SVP verliert die Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung hochkant. Doch statt den von ihr beschworenen «Volkswillen» zu akzeptieren, will sie Einbürgerungswillige nun zwingen, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit abzugeben.

Fünfer oder Weggli? Zwei Pässe sind zu viel, findet die SVP.

(Bild: GAETAN BALLY)

Die SVP verliert die Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung hochkant. Doch statt den von ihr beschworenen «Volkswillen» zu akzeptieren, will sie Einbürgerungswillige nun zwingen, ihre ursprüngliche Staatsangehörigkeit abzugeben.

Die Partei, die sich anmassend stets auf das Volk beruft, ist am vergangenen Wochenende – wie schon bei der Durchsetzungsinitiative – von der Volksmehrheit besiegt worden. 60,4 Prozent stimmten der Vorlage zur erleichterten Einbürgerung zu, ebenso 19 Kantone; zwei weitere, Glarus und St. Gallen, verpassten das Ja mit 49,6 und 49,8 Prozent Zustimmung nur ganz knapp.

Sogar im aargauischen Oberwil-Lieli, wo der Nationalrat Andreas Glarner und Anführer der Nein-Kampagne der Gemeindeammann ist, stimmte eine Mehrheit für die erleichterte Einbürgerung.

Das deutliche Verdikt führte bei Glarner freilich nicht zu einem Umdenken. Noch am Abstimmungsabend griff er nach einem weiteren «Ausländerthema», indem er einen Vorstoss gegen die doppelte Staatsbürgerschaft bei allen neuen Einbürgerungsfällen ankündigte.

Ein alter Hut

Nicht, dass diese Idee neu wäre: SVP-Kollegen haben dieses Steckenpferdchen noch und noch geritten und sind damit stets abgestürzt. So etwa 2004 und 2008 im Baselbieter Landrat nach Vorstössen der Lokalgrössen Georges Thüring und Thomas de Courten; oder im September 2015 im Landrat von Nidwalden.

Im Nidwaldner Fall machte sich der SVP-Motionär Zimmermann sogar Sorgen, dass einmal ein Doppelbürger Armeechef werden und deswegen in einen Loyalitätskonflikt geraten könnte. Angeblich geht es um wesentlich mehr als um das kleine Dilemma von Doppelbürgern, für wen bei bestimmten Fussball-Länderspielen das Herz schlagen soll.

Auf nationaler Ebene hat der ebenfalls auf Fremdenfeindlichkeit abonnierte SVP-Nationalrat Lukas Reimann im März 2014 eine Motion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eingereicht. Auch dieser im März 2016 erledigte («abgeschriebene») Vorstoss war nur eine Neuauflage einer von der SVP-Nationalrätin Jasmin Hutter-Hutter 2004 eingereichten und inzwischen ebenfalls bereits hinfällig gewordenen Motion.

Nun also will der Eiferer aus dem Aargau im internen Parteiwettbewerb schon wieder die gleiche Platte auflegen – und mit seiner Umtriebigkeit den Staat beschäftigen und belasten.

Statt die Niederlage zu akzeptieren, will Glarner mit politischem Gewedel die nationalistische Glut am Glimmen halten.

Ein solcher Vorstoss ist völlig aussichtslos. Seine einzige Funktion besteht darin, statt die Niederlage zu akzeptieren, mit politischem Gewedel die nationalistische Glut am Glimmen zu halten. Dabei wird fälschlicherweise in Anspruch genommen, den Landesinteressen zu dienen, derweil es gerade umgekehrt ist, dass nämlich dem Land damit nur geschadet wird.

Schon Reimann und später andere behaupteten einen Zusammenhang zwischen doppelter Staatsbürgerschaft und Sozialbetrügereien. Diese Annahme ist völlig verfehlt, zumal Sozialhilfe an den Wohnort und nicht an die Staatsbürgerschaft gebunden ist. Zudem ist diese Unterstellung eine Beleidigung aller Doppelbürger, die übrigens mehr als eine halbe Million Menschen ausmachen.

Hier kann man erfreulicherweise die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala zitieren (deren Ehemann einst als Flüchtling aus der damaligen Tschechoslowakei kam), die sich im August 2015 als Antwort auf Reimann gegen ein Menschenbild ausgesprochen hat, «das immer zuerst von möglichem Missbrauch ausgeht». 

Legitime Nützlichkeits-Überlegungen

Neben dem Missbrauchsverdacht spielen gegenüber Doppelbürgern natürlich weitere Verdächtigungen eine Rolle: Opportunismus und ungenügende Landesliebe. Mehrere Universitätsstudien (insbesondere in Neuchâtel und Luzern) haben dagegen aufgezeigt, dass zwischen Duplexbürgern und Singularbürgern keine Gruppenunterschiede in der Haltung zum Staat, zum Land, zur Gesellschaft bestehen.

Nicht bestritten soll sein, dass bei Einbürgerungswünschen neben Zugehörigkeitsgefühlen in manchen Fällen auch Opportunitäts-Überlegungen im Spiel sind. Dabei gibt es keineswegs ehrenrührige Nützlichkeits-Überlegungen – etwa bei der Stellen- oder Wohnungssuche –, wo man sich nicht durchaus ehrenrührigen Vorbehalten aussetzen möchte.

Abklärungen haben gezeigt, dass meistens biografische Zäsuren diesen Schritt auslösen: wenn ein Kind zur Welt kommt oder Eltern in der fernen Heimat sterben, ein Haus gekauft, eine Lebensstelle angetreten wird. Und ist der Wunsch nach politischen Mitbestimmungsrechten (nicht zuletzt bei der Nutzung des selber mitfinanzierten Steuersubstrats) ein kritisierbarer Opportunismus?

Ohne Zwang, die alte Staatsbürgerschaft abzugeben, nimmt die Zahl der Einbürgerungen zu.

Ein wichtiges Motiv für die Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft ist der Neid. Es stört, dass Neubürger, die als Ausländer unterprivilegiert zu sein haben, plötzlich mit zwei Staatsbürgerschaften überprivilegiert sein und, wie man sagt, «den Fünfer und s Weggli» haben dürfen.

Wenn «s Weggli» die weitgehend stillliegende Staatsbürgerschaft ist, besteht es aus einem unproblematischen Bekenntnis zu einer Herkunft sowie dem Wunsch, Wurzeln oder Würzelchen nicht administrativ abschneiden zu müssen. Beides, Bekenntnis und Wunsch, sind keine unehrenhaften Regungen und kommen, wenn vorhanden, auch der neuen Heimat zugute.

Die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft hat sicher einen realen Effekt. Um den geht es den Gegnern, aber auch den Befürwortern: Ohne Zwang, die alte Staatsbürgerschaft abzugeben, ist die Bereitschaft, eine neue Staatsbürgerschaft anzunehmen, grösser und folglich nimmt die Zahl der Einbürgerungen zu. Das soll konkret bekämpft oder konkret gefördert werden.

Natürlich und bereichernd

Weil 1991/1992 mit Besorgnis festgestellt wurde, dass das Einbürgerungsinteresse insbesondere beim hohen Anteil der in der Schweiz niedergelassenen EU-Ausländer schwach war, wurde die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft eingeführt – sogleich mit spürbarem Erfolg und ohne die jetzt wie der Teufel an die Wand gemalten Schwierigkeiten.

Damit kommen wir erneut auf die alte Frage, inwiefern ausser den Gesuchstellern auch die Gesellschaft ein Interesse an Einbürgerungen hat. Nachweislich nimmt die Verbundenheit mit dem Land zu und tendenziell auch die grundsätzlich erwünschte politische Partizipation.

FDP-Regierungsrätin Sabine Pegoraro, wirklich keine Internationalistin, erklärte im November 2008 vor dem Landrat, die Neuregelung der Staatsbürgerschaft habe sich bewährt und es seien keine Probleme entstanden. Die doppelte Identität habe auch etwas Natürliches und Bereicherndes. Zudem verwies sie darauf, dass zwei Pässe bei Nachkommen der steigenden Zahl binationaler Ehen selbstverständlich und auch bei über 70 Prozent der Auslandschweizerinnen und -schweizer eine Tatsache seien.

Das Gegenteil eines Bretts vor dem Kopf

Beifügen kann man, dass die nationalistischen Egozentriker – wie bei der Personenfreizügigkeit – viel zu wenig daran denken, dass eigene Landesleute im Ausland von den liberalen Prinzipien profitieren, die sie im eigenen Land abschaffen wollen.

Politologe Joachim Blatter und Politologin Andrea Schlenker haben in einem NZZ-Gastkommentar vom 23. September 2015 noch auf einen weiteren, mindestens theoretischen Vorzug der Doppelbürgerschaft für den Residenzstaat aufmerksam gemacht: Die Doppelbürgerschaft lässt eine spezielle Menschengruppe am Willensbildungsprozess teilhaben und macht es so möglich, dass diese (wie die Auslandschweizer) aufgrund ihrer unproblematischen Verbundenheit mit ausserschweizerischen Realitäten dazu beitragen, dass im Interesse der Schweiz die Realitäten jenseits der Landesgrenze mitbeachtet werden. Was das Gegenteil eines Bretts vor dem Kopf ist.

Die SVP soll ruhig eine Volksinitiative gegen Doppelbürger lancieren, damit sie nach eingefahrener Niederlage endlich merkt, dass sie etwas anständiger werden sollte.

Die SVPler, unter denen es sicher auch einige heimliche Doppelbürger gibt, sind mit ihrem Ansinnen ziemlich allein. Sie sollten es aber nicht versäumen, eine entsprechende Volksinitiative zu lancieren, damit sie nach eingefahrener Niederlage endlich merken, dass sie etwas anständiger werden sollten.

Exponenten der bürgerlichen Parteien sind bereits deutlich auf Distanz gegangen: Der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri wertete den Vorschlag als Rückschritt, mithin als Versuch, das Rad zurückzudrehen. Sogar CVP-Ständerat Gerhard Pfister, der sich gerne für Swissness starkmacht, reagierte entschieden ablehnend auf Glarners Ankündigung: Zum jetzigen Zeitpunkt eine Diskussion über die Doppelbürgerschaft anzuzetteln, zeuge von fehlendem Respekt gegenüber dem Stimmvolk, das soeben eine Liberalisierung beschlossen hat.

Dem ist so. Eine angemessenere Reaktion auf das erfreuliche Resultat vom vergangenen Wochenende wäre, gelegentlich und mit dem nötigen Augenmass für das Machbare weitere Liberalisierungen anzugehen. 

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