Ade billige Grenzgänger

Firmen trotzen dem starken Franken, indem sie Grenzgänger in Euro zahlen. Doch damit wird bald Schluss sein. Dafür sorgen sechs Grenzgänger.

Grenzgänger sollen den Lohn weiterhin wie Schweizer ausbezahlt bekommen – alles andere widerspreche dem Freizügigkeits­abkommen mit der EU, sagen Rechtsexperten. (Bild: MARTIN RUETSCHI, Keystone)

Firmen trotzen dem starken Franken, indem sie Grenzgänger in Euro zahlen. Doch damit wird bald Schluss sein. Dafür sorgen sechs Grenzgänger.

Es sind sechs Grenzgänger, die der Exportwirtschaft einen dicken Strich durch die Rechnung machen. Ein halbes Dutzend von einer Viertelmillion und doch sorgen sie für das Ende der Zweiklassengesellschaft von Schweizern und Grenzgängern. Denn sie klagten gegen ihre Kündigung beim Aescher Fördertechnik-Spezialisten Stöcklin Logistik. Dieser hatte im Sommer 2010 den Grenzgängern wegen des starken Frankens eine Lohnreduktion um sechs Prozent vorgeschlagen. Ein Drittel der Belegschaft erlitt so Lohneinbussen von mindestens 300 Franken monatlich. Sechs Mitarbeitende akzeptierten diese Lohnkürzung nicht. Sie erhielten darauf die Kündigung. Dagegen klagten sie.

«Die Klage ist vollumfänglich gutzuheissen», schreibt das Bezirksgericht Arlesheim jetzt im schriftlichen Urteil, das der TagesWoche vorliegt (Urteil im Wortlaut auf der Rückseite dieses Artikels). Bereits die mündliche Urteilsverkündung Ende Januar verunsicherte die Arbeitgeber: Damals beeilte sich der Basler Arbeitgeberverband zu betonen, dass dieses Urteil eben gerade kein Grundsatzentscheid sei. Doch das jetzt vorliegende Urteil lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Zahlt eine Firma einem Grenzgänger für dieselbe Arbeit einen tieferen Lohn als einem Schweizer, ist dies diskriminierend und verletzt das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU.

Tiefere Lebenshaltungskosten seien keine Rechtfertigung, um den Lohn zu kürzen. Denn wo ein Angestellter wohne, sei Teil seiner privaten Lebensumstände. Genauso, ob ein Angestellter in einem Doppelverdiener-Haushalt lebe oder alleinverdienender Familienvater sei. Auf die Arbeitsleistung habe dies keinen Einfluss und dürfe deshalb bei der Lohnhöhe keine Rolle spielen.

Währungsrisiko trägt Firma

Das Gericht kommt zum Schluss, dass Unternehmen trotz starkem Franken ihren Angestellten den Lohn auch nicht plötzlich in Euro zahlen dürften. Das Währungsrisiko sei ein typisches Betriebsrisiko und dieses dürfe gemäss Obligationenrecht nicht auf die Angestellten überwälzt werden.

Doch genau dies haben zahlreiche Firmen getan, unter ihnen auch Marc Jaquet, Präsident des Basler Arbeitgeberverbandes und CEO der Firma Jaquet Technology Group. Jaquet betont, seine Firma habe versucht, die angestellten Grenzgänger davon zu überzeugen, ihren Lohn künftig zu einem fixen Wechselkurs in Euro zu beziehen. «Diese Massnahme war jedoch freiwillig. Wir haben keinen Mitarbeiter aus dem Euroland dazu gezwungen, einen Lohn in Euro statt in Franken zu akzeptieren.» Seine Firma versuche lediglich, möglichst viele Kosten in derselben Währung wie die Einnahmen zu generieren, um das Währungsrisiko möglichst klein zu halten.

Die Firma Stöcklin Logistik hat noch nicht entschieden, ob sie das Urteil weiterzieht. Noch Anfang Februar hatte Firmenchef Urs Grütter gegenüber der TagesWoche erklärt, dass er dies mit «hoher Wahrscheinlichkeit» tun werde. Doch auch höhere Instanzen werden dieses Urteil nicht umstos­sen. Das sagen nicht etwa die Vertreter der Gewerkschaft Unia, welche die sechs Angestellten unterstützt, sondern zwei renommierte Rechtsprofessoren. «Ich hätte als Richter genauso entschieden. Grenzgänger dürfen für dieselbe Arbeit nicht schlechter bezahlt werden als inländische Angestellte», sagt Thomas Geiser, Professor für Arbeitsrecht der Universität St. Gallen. Er sei verwundert, dass Arbeitgeber nur wegen des starken Frankens sich plötzlich für ein Lohnsystem stark machten, das auf die Bedürfnisse der Angestellten statt auf Leistung abstelle. Das sei eigentlich eine fundamental sozialistische Position.

Für Astrid Epiney, Professorin am Institut für Europarecht der Universität Fribourg und Spezialistin für das Freizügigkeitsabkommen, ist das Urteil des Bezirksgerichts Arlesheim überzeugend. «Es gibt viele Aspekte im Freizügigkeitsabkommen, die umstritten sind, aber dieser Fall dürfte so klar sein, dass wohl auch obere Instanzen zum selben Urteil kommen werden.»
Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Bis voraussichtlich einmal das Bundesgericht entscheidet, werden noch viele Firmen ihre Grenzgänger in Euro zahlen. Doch die sechs Grenzgänger, die sich wehrten, läuteten wohl das Ende der Zweiklassengesellschaft ein.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12

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