Weil Atomkraftwerke nicht mehr rentieren, soll der Staat eingreifen. Das fordert ein Strategiepapier des Alpiq-Konzerns. Die politischen Meinungen gehen auseinander, Unterstützung erhalten die Pläne aber ausgerechnet von der SP.
Ob in der Schweiz oder anderswo, AKW rentieren wegen der tiefen Stromkosten nicht mehr. Wie hoch die Entsorgungskosten dereinst sein werden und wer sie tragen soll, steht in den Sternen. Um den klammen Schweizer Stromkonzernen aus der Patsche zu helfen, soll nun der Staat in die Bresche springen.
Das jedenfalls schlägt ein für den Stromkonzern Alpiq ausgearbeitetes Strategiepapier vor, das von verschiedenen Medien aufgegriffen wurde. So titelte zum Beispiel der «Tages-Anzeiger» vom Dienstag: «Unrentable AKW – muss der Staat sie retten?» Das Argument der Stromkonzerne lautet, ähnlich wie vor acht Jahren bei der maroden UBS: «Too big to fail».
«Hosen runter»
Die Antworten der Politiker auf die AKW-Verstaatlichungspläne könnten unterschiedlicher nicht sein. So lässt sich etwa der Aargauer Nationalrat Thierry Burkart (FDP) in der «Basler Zeitung» vom Dienstag zitieren: «Ich lehne eine Verstaatlichung nach dem Motto ‹Gewinne privatisieren, Verluste verstaatlichen› entschieden ab.» Der Solothurner CVP-Mann Stefan Müller-Altermatt argumentiert mit handfesten Argumenten. Bevor solche Zahlungen erfolgten, müssten «die Hosen runter», das heisst die Bücher offengelegt werden, sagte er gegenüber dem «Echo der Zeit».
In der gleichen Sendung warnte SVP-Mann Albert Rösti ganz generell vor solchen staatlichen Eingriffen und Auffanggesellschaften. Der SP-Energiespezialist, frühere National- und heutige Basler Grossrat Ruedi Rechsteiner kann über solche Argumente nur staunen: «Jahrzehntelang wurden die bürgerlichen Parteien von der Atomlobby finanziell alimentiert und jetzt, wo es der Atomwirtschaft schlecht geht, kommen solche Phrasen!» Sein Parteikollege und Nationalrat Roger Nordmann (VD) erklärt, wenn solche Zahlungen erfolgten, müssten neben dem AKW Mühleberg auch die beiden Werke in Beznau möglichst rasch abgeschaltet werden.
Die kantonale Karte zieht – ebenfalls im «Echo der Zeit» – der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Er plädiert dafür, dass nur die «AKW-Kantone», also diejenigen, die den Ausbau der Kernenergie immer befürwortet und davon profitiert hätten, finanziell für das Desaster gerade stehen sollen. Den eigenen Kanton Bern schliesst er davon aus.
Je früher, desto besser
Konziliante Töne schlägt hingegen ausgerechnet der Basler Anti-AKW-Kämpfer der ersten Stunde, Rudolf Rechsteiner, an. «Natürlich ist es ärgerlich, dass auch der Kanton Basel-Stadt, der sich lange als einziger Kanton gegen AKW gewehrt hat, für die Folgekosten aufkommen soll. Aber vermutlich führt kein anderer Weg daran vorbei.» Je früher man die AKW abschalte, desto besser, sagt er im Gespräch mit der TagesWoche. Das sei ein Generationenprojekt, regionalpolitische Gründe müssten hintanstehen, nicht nur aus Sicherheits-, sondern auch aus finanziellen Gründen.
Zur neuen Strategie von Alpiq:
Das wüssten auch die AKW-Betreiber – so Rechsteiner – und hätten deshalb nun diese Lobby-Kampagne gestartet. Trotzdem: «Zuerst sollen diejenigen Kantone Eigenleistungen erbringen, die diese gefährliche Technik wollten und sich jahrzehntelang Gewinne auszahlen liessen», findet Rechsteiner. Die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz teilt diese Ansicht: «Ich kann mir eine Abwicklung mit der Auflage des Ausstiegs vorstellen, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Eignerkantone einen beträchtlichen Teil der Kosten dafür übernehmen. Schliesslich haben Sie jahrzehntelang fette Dividenden von ihren Energiekonzernen erhalten.» Dass die meisten Schweizer AKW nur dank Bilanzierungstricks keine roten Zahlen schrieben, habe der Basler Finanzexperte Kaspar Müller schon lange aufgezeigt.
SP-Ständerat Claude Janiak hingegen wäre wie Parteikollege Roger Nordmann mit staatlichen Auffanggesellschaften einverstanden, unter der Bedingung allerdings, dass die Kraftwerke geordnet stillgelegt werden. CVP-Frau Elisabeth Schneider-Schneiter findet staatliche Eingriffe in die Autonomie der Kraftwerkbetreiber erst dann gerechtfertigt, wenn die Situation systemrelevant würde, das heisst, falls die Stromversorgung oder die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden könne.
Vorbild Kaiseraugst
FDP-Nationalrätin Daniela Schneeberger (BL) hingegen will – ganz auf der aktuellen Parteilinie – von solchen staatlichen Eingriffen nichts wissen. Anders hatte der frühere Nationalrat und FDP-Übervater Ulrich Bremi vor bald dreissig Jahren argumentiert. Zusammen mit Christoph Blocher hatte er mit einer staatlichen Finanzspritze dem AKW Kaiseraugst ein frühzeitiges Ende beschert (siehe Kasten). Damals handelte es sich quasi um eine Abtreibung im dritten Monat, bei den angejahrten AKW von heute geht es eher um eine Exit-Sterbehilfe-Strategie.
Im April 1975 besetzten AKW-Gegner das Gelände des geplanten Kernkraftwerks in Kaiseraugst und stoppten die begonnenen Bauarbeiten.13 Jahre, unzählige Kämpfe und Debatten später waren es bürgerliche Politiker, die mit einer staatlichen Entschädigungszahlung von 350 Millionen Franken dem Projekt den Garaus machten. Für die AKW-Exit-Strategie des totgeweihten Projekts waren unter anderem der damalige Jung-Nationalrat Christoph Blocher und FDP-Übervater Ulrich Bremi verantwortlich. Wichtigster Nutzniesser des staatlichen Geldsegens war die Motor-Columbus AG, die via UBS und verschiedene Transaktionen und Umwege in die heute Alpiq überging.
Heute müssten die Verantwortlichen den Demonstranten von damals dankbar sein: Auch ohne Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima arbeiten AKW langfristig nicht rentabel. Deshalb betteln ihre Betreiber, die jahrzehntelang von staatlichen Fördertöpfen profitierten, jetzt um staatliche Abwrack-Subventionen. Nur heisst das in ihrer PR-Strategie anders.