Allein gegen die Mafia

Giuseppe Cimarosa ist Verwandter des sizilianischen Super-Bosses Messina Denaro. Jetzt kehrte der 32-Jährige dem Verbrecher öffentlich den Rücken und bricht das letzte Tabu: die Omertà.

(Bild: © Flavio Leone)

Giuseppe Cimarosa ist Verwandter des sizilianischen Super-Bosses Messina Denaro. Jetzt kehrte der 32-Jährige dem Verbrecher öffentlich den Rücken und bricht das letzte Tabu: die Omertà.

Giuseppe Cimarosa sagt: «Doch, ich habe Angst.» Er sitzt im Auto, ist gerade an den Strassenrand gefahren, um ans Handy zu gehen. Durchs Telefon sind vorbeifahrende Autos zu hören. Seine Stimme ist aufgeregt. Man muss den 32-Jährigen immer wieder unterbrechen in seinem Redefluss. «Ich schaue mich ständig um, aber wenn ich zu viel daran denke, werde ich verrückt.»

Coming-out nennt Cimarosa das, was er am Wochenende in Palermo gemacht hat. Es war Samstag, er war eingeladen zu einem Kurzvortrag bei der Ideen-Messe der Demokratischen Partei (PD) Siziliens und sagte unter anderem den Satz: «Ich habe das Pech, ein Verwandter von Matteo Messina Denaro zu sein.» Man kann das Coming-out nennen. Auf Sizilien kommen diese Worte einem Todesurteil gleich.

Matteo Messina Denaro ist der letzte flüchtige Super-Boss der Cosa Nostra und der meist gesuchte Verbrecher Italiens. Cimarosas Mutter ist Messina Denaros Cousine, seine Oma ist die Tante des 52-jährigen Bosses, der in Castelvetrano bei Trapani zur Welt kam. Hier lebt auch Giuseppe, dressiert Pferde, gibt Reitstunden und schreibt Theaterstücke. Ein Verwandter von Messina Denaro zu sein sei ein Problem, das man nicht lösen könne. Aber wer wisse, was das Dunkle und das Faule an dieser Figur sei, der dürfe nicht länger schweigen. «Ich will mir diesen Schandfleck entfernen, in aller Öffentlichkeit.» So sprach Giuseppe Cimarosa.

Um den Weg zu ebnen, der bereits von Antimafia-Organisationen und anderen Antimafia-Kämpfern, etwa dem Autor Roberto Saviano, eingeschlagen wurde, bedürfte es mehr Coming-outs im Stile Cimarosas. Nur so verliert die Mafia ihren Halt, den sie immer noch in gewichtigen Teilen der Bevölkerung hat.

Der flüchtige Messina Denaro, genannt «Diabolik», werde in Castelvetrano teilweise wie ein Halbgott verehrt, erzählt Cimarosa. «Die Leute lieben ihn.» Bei seinem Vortrag in Palermo erklärte Giuseppe Cimarosa auch, er und seine Familie wollten keinen Polizeischutz. Die Cimarosas hätte ihren Namen ändern und an einen geheimen Ort ziehen sollen, schlug die Polizei vor. Er sterbe lieber, als dass er alles wegen Messina Denaro aufgebe, sagt Giuseppe.

Ein beeindruckendes Beispiel

Seine Geschichte ist ein beeindruckendes Beispiel für die Abkehr von der Omertà, die sich in Italien über viele Menschen legt, die die Mafia ganz aus der Nähe erleben. Giuseppes Mutter hat ihren Verbrecher-Cousin zum letzten Mal bei der eigenen Hochzeit vor 33 Jahren gesehen. Ihr Sohn hat Messina Denaro nie getroffen. Trotz der Verwandtschaft habe seine Familie immer Distanz gehalten.

Eines Tages verlangten die Männer Messina Denaros Geld von Cimarosas Vater Lorenzo. Der Vater wurde deshalb zu fünf Jahren und vier Monaten Haft verurteilt wegen Mafia-Begünstigung. «Hier in Castelvetrano ist es sogar schwierig, nein zu sagen», sagt Giuseppe über seinen Vater, der sich im Gefängnis zur Zusammenarbeit mit den Justizbehörden entschloss und nach Verbüssung der Strafe die Rache der Cosa Nostra fürchten muss.

Diese Entscheidung habe auch seinen Entschluss bestärkt. Cimarosa wurde nach seinem Coming-out von verschiedenen Seiten, auch aus der sizilianischen Politik, mit Lob überhäuft. In Castelvetrano haben ihm viele den Rücken gekehrt. Seine Geschichte könnte andere ermutigen. Wenn Giuseppe Cimarosa in Vergessenheit gerät, droht sie in einer Tragödie zu enden.

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