Die Quartier-Aktion der TagesWoche hat ergeben: Das Gundeli zählt zu den beliebtesten Vierteln Basels – wenn da bloss die Güterstrasse nicht wäre.
Die Güterstrasse steht den typischen Pariser Boulevards in nichts nach: Sie lädt zum Flanieren ein, denn sie ist so geschmackvoll gestaltet, dass man am liebsten jeden Winkel fotografieren würde. Alle, die sich dort aufhalten, kommen problemlos aneinander vorbei. Die Ladenbetreiber verstehen sich prächtig mit den Autofahrern, die vor ihren Geschäften parkieren, obwohl es dort kaum Parkfelder gibt.
Die Velofahrer geniessen es, zwischen den Tramgeleisen zu jonglieren und von vorbeifahrenden Autos gestreichelt zu werden. Die Tramfahrer tuckern liebend gern im Schritttempo hinter Velofahrern her, weil sie nur dann Zeit finden, die zahlreichen Bäume und Pflanzen auf den Trottoirs zu bestaunen. Das ganze Quartier strömt zur Lebensader des Gundeli – zur Güterstrasse.
Eine blanke Enttäuschung
Sie sind nicht einverstanden mit dieser Schilderung? Hier steht nur ausgedeutscht, was vor Jahren im Projektbeschrieb des Bau- und Verkehrsdepartements (siehe Hintergrund zum Artikel) zu lesen war: Von einer «hohen gestalterischen Qualität» war die Rede, von einer «grösstmöglichen Koexistenz der verschiedenen Verkehrsarten» und von einem «hohen Identifikationsgrad für die Bevölkerung». Diese Vision einer zum Boulevard aufgewerteten Güterstrasse samt Tellplatz gefiel auch dem Parlament – zwölf Millionen Franken sprach es damals für die Neugestaltung.
Dann kam er, der Umbau, und dauerte vier Jahre. Die Aufregung war gross im Quartier, als es im Frühling 2008 auf die Eröffnung zuging. Und dann, ziemlich genau vor vier Jahren, war er fertig, der 1,2 Kilometer lange «Boulevard Güterstrasse» – die Aufregung wandelte sich in blanke Enttäuschung. Seither hat sich nichts geändert. Die oben beschriebene Szenerie bleibt nichts als blosses Wunschdenken.
Bei ihrer «Wo drückt der Schuh?»-Aktion im Gundeli vergangenen Samstag merkte die TagesWoche-Redaktion rasch, was den Bewohnerinnen und Bewohnern des bevölkerungsreichsten Basler Quartiers am meisten unter den Nägeln brennt: die gescheiterte Aufwertung der Güterstrasse.
Zu wenig grün sei sie, zu wenige Veranstaltungen gäbe es, zu viel Verkehr. Schön sei sie auch nicht, die Strasse – und schon gar kein Boulevard. Ein bauliches Verbrechen sei diese Strasse, eine Fehlkonstruktion. Vor allem Velofahrer folgten dem Aufruf der TagesWoche und besuchten den Stand am Tellplatz. Die Botschaft: «Velofahren auf der Güterstrasse ist lebensgefährlich.»
Bis zu 150 Parkbussen pro Tag
Viele Unfälle mit Velofahrern gäbe es dort trotz der engen Verhältnisse nicht, sagt Polizeisprecher Klaus Mannhart. Die Güterstrasse sei dennoch ein Dauerthema bei der Polizei. «Das wilde Parkieren der Autofahrer ist ein Ärgernis.» An manchen Tagen würden die Polizisten bis zu 150 Parkbussen ausstellen. «Es ändert aber nichts an der Situation, die Falschparkierer kommen immer wieder.» Dem Problem Herr werden könnte man einzig mit baulichen Massnahmen, doch dafür sei nicht die Polizei, sondern das Baudepartement zuständig. Insofern gehe das Bussenschreiben wohl weiter, «jedenfalls so lange, bis die Autofahrer vernünftig parkieren», sagt Mannhart.
Streng genommen könnten an der Güterstrasse auch Velofahrer gebüsst werden. Im Strassenverkehrsgesetz heisst es: «Der Strassenbahn ist das Geleise freizugeben und der Vortritt zu lassen.» Würden sich alle Velofahrer an dieses Gesetz halten, müsste kein Tramfahrer mehr durch die Güterstrasse tuckern. Doch die wenigsten Velofahrer wissen überhaupt, dass es ein solches Gesetz gibt – und kein Tramfahrer denkt daran, Polizist zu spielen und die Velofahrer unter Drohungen von den Geleisen zu vertreiben.
Dennoch, untätig wollen sie nicht mehr sein bei den Basler Verkehrsbetrieben (BVB). «Das Problem Güterstrasse ist erkannt», sagt BVB-Sprecherin Dagmar Jenny. Erkannt – und im wahrsten Sinne des Wortes aufgegleist: Mit einer Präventionskampagne wollen die BVB die Bevölkerung ab Oktober für das Thema Tram und Velo sensibiliseren.
Es ist kein Zufall, dass die Kampagne am Tellplatz-Markt am 20. Oktober beginnt: «Wir richten den Fokus auf diese Strasse, weil die Situation dort besonders schwierig ist», sagt Jenny. «Tram und Velo kommen dort nicht aneinander vorbei, es geht nur hintereinander.» Ziel der Aktion sei es, Velofahrer dazu zu bringen, wenn möglich hinter den Trams zu fahren oder zu warten, bis diese vorbeigefahren sind.
Unzufrieden mit der neuen Güterstrasse ist ebenfalls Claude Wyler, Vizepräsident des Neutralen Quartiervereins Gundeldingen: «Es gibt zu viele Verkehrsteilnehmer auf dieser Strasse. Der Begriff Boulevard hat falsche Erwartungen geweckt – Erwartungen, die eine 17 Meter breite Strasse nun mal nicht erfüllen kann.»
Mehr Beizen aufs Trottoir!
Mittlerweile sieht dies auch Marc Keller: «Nachträglich würden wir wahrscheinlich nicht mehr vom ‹Boulevard Güterstrasse› sprechen», sagt der Mediensprecher des Baudepartements. «Das hat zu viele Erwartungen geweckt. Unterschätzt haben wir die Rücksichtslosigkeit, mit der an den unmöglichsten und verbotenen Stellen parkiert wird.» Aus Sicht der Verwaltung sei das Projekt Güterstrasse dennoch klar positiv zu bewerten, weil den Fussgängern, Ladengeschäften und Boulevard-Lokalen heute mehr Platz zur Verfügung stehe. Die Güterstrasse sei als Haupteinkaufsstrasse mit beengten Verhältnissen attraktiver als vorher, sagt Keller.
Von einer Fehlkonstruktion will auch Andrea Tarnutzer-Münch, Präsident der Interessensgemeinschaft Gundeldingen Bruderholz Dreispitz, nicht reden: «Die Güterstrasse ist noch nicht optimal belebt, aber auf gutem Weg dorthin.» Das Problem sei, dass viele Beizen die Strasse nicht richtig nutzen würden. «Wenn man mehr Stühle und Tische auf den Boulevard stellen würde, könnten die Wildparkierer ferngehalten werden», sagt er. Aufgegeben hat Tarnutzer-Münch die Vision offensichtlich nicht, dass die Güterstrasse eines Tages doch noch zu einem Boulevard nach Pariser Vordbild werden kann.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.09.12