Noch herrschen Streit, Stillstand und Verwirrung im Baselbiet. Klar ist: Um eine Zukunft zu haben, braucht der Kanton eine neue Generation von Politikern.
Bis jetzt funktioniert Baselbieter Politik so: Die fünf Regierungsräte wursteln vor sich hin und das Parlament lässt sie gewähren. Natürlich gab es immer auch den einen oder anderen Störenfried. Wirklich ernst nehmen musste man sie aber nicht. Dafür war die bürgerliche Mehrheit mit der mächtigen Wirtschaftskammer im Hintergrund schlicht zu stark.
Nun ist aber plötzlich alles anders. In der vergangenen Woche ging das Parlament auf Peter Zwick (CVP) los, nur mit Worten zwar, aber die taten dem Gesundheitsdirektor wohl mehr weh als eine tüchtige Tracht Prügel.
Besonders schmerzhaft war, dass die Verbündeten von einst, die FDP und die SVP, fast noch heftiger zuschlugen als die Linken. Kein Wunder, liess die Revanche der CVP nicht lange auf sich warten: Diese Woche kritisierte Zwicks Partei bei einer gemeinsamen Medienkonferenz mit der SVP, den Grünliberalen und der BDP die Baselbieter Finanzpolitik scharf. Eine Attacke, die auch gegen den freisinnigen Finanzdirektor Adrian Ballmer gerichtet war.
Was ist los im Baselbiet? Der Versuch einer Bestandesaufnahme.
Das Volk als Gegner
Am gravierendsten ist der Graben zwischen Volk und Regierung, wobei die Schuld je nach Perspektive auf der einen oder anderen Seite liegt. Finanzdirektor Adrian Ballmer hat nach der verlorenen Abstimmung übers Sparpaket zu verstehen gegeben, dass das Volk keine Ahnung hat. Davon lassen sich die Baselbieter aber nicht beeindrucken. Bei den letzten Abstimmungen zeigten sie den Herren und der Dame in Liestal mehrfach, was sie von ihnen halten: nicht mehr als Ballmer vom Stimmbürger.
Sparpaket, Bausparen, Pauschalbesteuerung, das alles waren Geschäfte, die der Regierung wichtig waren – und in den vergangenen Monaten an der Urne scheiterten. Noch wegweisender als diese Abstimmungen waren die Wahlen vom 27. März 2011, als das Volk dem Grünen Isaac Reber den Vorzug gab vor dem amtierenden Jörg Krähenbühl (SVP). Seine Abwahl war eine Sensation. Und ein klares Zeichen, dass das Volk genug hatte von der bürgerlichen Übermacht und ihrer einseitigen Steuersenkungspolitik.
Der bürgerliche Block zerbricht
Mit Krähenbühls Abschied ging auch das Gleichgewicht in der Baselbieter Politik verloren, die Starre. Die wählerstärkste Partei, die SVP, hat seither keinen Regierungssitz mehr, die viel schwächere CVP einen und die trudelnde FDP sogar zwei. Logisch, will die SVP zurück in die Regierung. Und fast ebenso logisch, ist weder die FDP noch die CVP bereit, auf einen Sitz zu verzichten. Das macht die Verbündeten von einst zu Gegnern.
Zu Gegnern, die nicht länger über die Fehler der bürgerlichen Konkurrenten hinwegsehen. Das Gesetz des Schweigens gilt nicht mehr. Bestes Beispiel für diese Feststellung: SVP-Mann Hanspeter Weibel, der als neuer Präsident der Geschäftsprüfungskommission (GPK) in einer seiner ersten Amtshandlungen gleich mal aufdecken liess, wie schlecht in der Direktion Zwick und überhaupt in der Regierung gearbeitet wird.
Bei einem Grossvorhaben wie dem neuen Bruderholzspital bringt der Regierungsrat nicht einmal ein Projektmanagment zustande, das diesen Namen verdienen würde. Die Gesundheitsdirektion bastelt alleine vor sich hin, sie übergeht die anderen Direktionen und enthält dem Parlament wichtige Studien vor. Und sie foutiert sich erst recht um die eigentlich drigend nötige Zusammenarbeit mit Basel. Resultat: eine gescheiterte Spitalplanung, verschleuderte Steuergelder, ein gestörtes Verhältnis zu Basel – und eine grosse Empörung über Peter Zwick und seine Direktion. Die Landratsdebatte über den GPK-Bericht war aussergewöhnlich lang und aussergewöhnlich heftig, und doch lässt sie sich in einem Vorwurf zusammenfassen: dem des totalen Versagens. Ein vernichtendes Urteil.
Zwick will dennoch weitermachen, auch gegen das Parlament. Und offenbar auch gegen Widerstände in der Regierung. Die «Basler Zeitung» (BaZ) will diese Woche jedenfalls in Erfahrung gebracht haben, dass die Regierung Zwick ein wichtiges Dossier entzogen habe: das der Wirtschaftsförderung. Die Regierung dementierte zwar umgehend und sprach mit umständlichen Worten von einer Reorganisation, bei der das Regierungspräsidium die Koordination der geplanten Wirtschaftsoffensive übernimmt.
Man hätte es wohl auch schlichter sagen können: Sabine Pegoraro (FDP) hat als Regierungspräsidentin und Baudirektorin in Zukunft mehr zu sagen in dem Bereich, Volkswirtschaftsdirektor Zwick weniger. Offen dazu zu stehen hiesse aber, den Kollegen Zwick zu desavouieren. Das will die Regierung nicht, lieber sorgt man mit einer verschwurbelten Mitteilung für noch mehr Unklarheit.
Als wäre die Baselbieter Politik nicht schon unübersichtlich genug, wenn selbst die einst übermächtige Wirtschaftskammer unter dem neuen Direktor Christoph Buser (FDP) abrückt von ihrer sturen Klientelpolitik für die Gewerbler, Strassenbauer und Hausbesitzer und ihrer häufig vorbehaltlosen Unterstützung der Regierung.
Nun kann man in den penetrant häufigen Stellungnahmen Busers, in seiner Kritik an der Regierung, seiner Forderung nach einer konsequenteren Wirtschaftsförderung und Wirtschaftswachstum, den Versuch sehen, sich wichtig zu machen. Immerhin hat er in den vergangenen Jahren den Kurs der Wirtschaftskammer unter seinem Verwandten und Mentor Hans Rudolf Gysin loyal mitgetragen und wohl auch mitgeprägt.
Eine neue Generation
Man kann Busers Auftreten aber auch positiv bewerten, als Zeichen eines allgemeinen Umdenkens. Genau so sieht es der Grüne Klaus Kirchmayr, einer jener paar Störenfriede, die schon länger auf eine grundlegende Veränderung in der Baselbieter Politik drängen und darum belächelt wurden. «Es tut sich etwas im Baselbiet», sagt er. «So setzt sich zum Beispiel die Erkenntnis allgemein durch, dass wir fürs Wirtschaftswachstum etwas unternehmen müssen, indem wir neue, hochwertschöpfende Unternehmen ansiedeln», sagt er. Die Zeit der Grabenkämpfe zwischen links und rechts sei vorbei: «Der Generationenwechsel hat begonnen. Professionelle Arbeit und gute Lösungen sind heute schon wichtiger als Ideologien.»
Die Vertreter des alten Baselbiets, Peter Zwick, Adrian Ballmer und möglicherweise auch Urs Wüthrich (SP, Bildung) – sie alle hören spätestens bei den Neuwahlen 2015 auf, davon ist Kirchmayr überzeugt, ebenso wie von einer pragmatischen Mitte-links-Mehrheit in der neuen Regierung. Ähnlich zuversichtlich gibt sich SP-Sekretär Ruedi Brassel, wenn man mit ihm über den Streit unter den Bürgerlichen spricht. Nun kann man auf solche Aussagen entspannt reagieren und den Umbruch als logische Folge des bürgerlichen Versagens interpretieren. Man kann sich über die Vorstellung aber auch entsetzen, so wie die BaZ, die Zwicks Kritikern «öffentliches Mobbing» vorwirft. Mit diesen hinterhältigen Methoden müsse Schluss sei, fordert die Zeitung, sonst sei es mit der bürgerlichen Mehrheit schon sehr bald vorbei.
Zurück also zum «BüZa»-Staat (BüZa für Bürgerliche Zusammenarbeit), zum Gesetz des Schweigens? Nein. Dafür sind die Probleme zu offensichtlich, die Gräben zu tief. Anzunehmen ist, dass die «Chaostage in Liestal» (BaZ) weitergehen. Dass Zwick bei jedem Geschäft attackiert wird. Und dass auch Ballmer wieder vermehrt unter Druck gerät, nicht nur mit seinen Sparbemühungen, sondern auch bei der Pensionskassensanierung, die – ähnlich wie Zwicks Spitalplanung – spät kommt und stark umstritten ist. Für die Finanzdirektion muss es darum wie eine Drohung klingen, wenn GPK-Präsident Hans Weibel die Finanzpolitik des Baselbiets scharf kritisiert wie am Donnerstag beim gemeinsamen Auftritt von SVP und den Mitteparteien.
Ballmer selbst wird sich davon allerdings kaum gross durcheinander bringen lassen. Wichtig ist ihm vor allem seine eigene Meinung. Anfälliger für Kritik scheint dagegen Zwick: Anders als Ballmer ist er immer freundlich und nett; ganz offensichtlich will er gefallen. Das scheint ihn verletzlich zu machen und eher noch zum Rücktrittskandidaten als Ballmer. Möglicherweise entscheidet aber auch die Gesundheit über die noch zu verbleibende Länge der Amtsdauer. Die Gesundheit, die bei Zwick wie bei Ballmer schon angeschlagen war. Darüber weitere Spekulationen anzustellen, wäre aber nicht sehr anständig. Und möglicherweise auch gar nicht sinnvoll, weil längerfristig noch ganz andere Fragen anstehen.
Einer wie Kirchmayr sagt zwar auch, ein Ende mit Schrecken wäre ihm am liebsten. Eigentlich ist er mit seinen Gedanken aber schon sehr viel weiter, in 20 bis 30 Jahren. «Bis dann muss sich die Region entschieden haben, ob sie eine Metropolitanregion oder Provinz sein will. Noch hat sie die Wahl», sagt Kirchmayr. Er selbst will für die erste Variante kämpfen. Für einen Metropolitanraum mit Top-Hochschulen und spezialisierten Gesundheitszentren, für einen Standort, der weiterhin attraktiv ist auch für die grossen, innovativen Unternehmen, für ein Basel, hinter dem Stadt und Land gleichsam stehen und von dem alle profitieren. «Wenn uns das nicht gelingt, werden wir sehr vieles verlieren, angefangen bei der Pharma», sagt er.
Den Standort Basel zu sichern und weiterzuentwickeln ist eine grosse Aufgabe. Eine, für die es auf dem Land die neue Generation braucht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.11.12