«Allons enfants de la Patrie!»

Wie Serge Gainsbourg einst in Strassburg die Elsässer Nationalisten austrickste.

«Leichenblass» vor dem Strassburger Publikum: Serge Gainsbourg. (Bild: Claude Truong-Ngoc)

Wie Serge Gainsbourg einst in Strassburg die Elsässer Nationalisten austrickste.

Für das politische Frankreich ist das Elsass zur Bastion der Rechtskonservativen geworden, seit Jean-Marie Le Pen in dieser Region bei den Präsidentschaftswahlen 1995 im ersten Wahlgang als stärkster Kandidat abschnitt. Doch schon 15 Jahre zuvor wurde den weltoffenen Parisern klar, dass das Elsass nicht nur geografisch am äussersten rechten Rand des Landes liegt: 1979 veröffentlichte Serge Gainsbourg, der Agent provocateur unter den Chansonniers, das erste französische Reggae-Album: «Aux armes et caetera».

Dieses löste in patriotischen Kreisen einen Sturm der Empörung aus, hatte es Gainsbourg doch gewagt, die französische Nationalhymne «Marseillaise» im jamaikanischen Kingston neu aufzunehmen. Dass «eine Horde Rastas» (Kommentar in der konservativen Zeitung «Le Figaro») die Landeshymne im Reggae-Groove einspielte, sorgte für einen noch grösseren Skandal als zuvor die Liebesseufzer in «Je t’aime …moi non plus».

Auftrittsverbote, Bombendrohung

Das Album verkaufte sich eine Mil­lion Mal – und als Gainsbourg bekanntgab, mit den jamaikanischen Musikern (aus dem Umfeld von Bob Marley und Black Uhuru) auf Tournee zu gehen, waren die Säle proppenvoll. Doch während Fans begeistert waren, sahen Kriegsveteranen und Rechts­extreme die Ehre des Landes beschmutzt. Vergeblich versuchten sie Auftrittsverbote zu erwirken. Täglich trafen Bombendrohungen ein. Immer wieder mussten die Musiker aus ihren Hotels evakuiert werden, wie sich der jamaikanische Bassist Robbie Shakespeare in einer Gainsbourg-Biografie erinnert.

Die grösste Gefahr drohte beim Auftritt in Strassburg. In der elsässischen Hauptstadt, wo die «Marseillaise» 1792 bei der Kriegserklärung an Österreich geschrieben worden war, war der Widerstand am vehementesten. Kriegs-veteranen und Nationalisten drohten mit Anschlägen, sollte Gainsbourg es wagen, die Hymne als Reggae zu «verhunzen». Die Gewaltandrohungen zeigten hier Wirkung: Gainsbourgs jamaikanische Begleitmusiker retteten vor dem Auftritt ihre Haut und flohen nach Brüssel. Der Sänger selbst beharrte darauf, sich den Leuten zu zeigen.

«Leichenblass betrat er die Bühne», erinnert sich seine damalige Gattin Jane Birkin, «in den vordersten Reihen blickten ihn etliche Fallschirmjäger grimmig an.» Im Publikum warteten rund 100 Uniformierte darauf, Gainsbourg den Kopf abzureissen. Doch er überraschte sie, indem er die Revolu­tionshymne in der Originalversion zu singen begann. Die rechtsextremen Nationalisten waren verdutzt. Die aufrechte Version der Hymne zwang sie, aufzustehen, Haltung an- und Bérets abzunehmen und zu salutieren – ausgerechnet in die Richtung ihres gros­sen Feindes. Gainsbourg wiederum streckte ihnen am Ende der Hymne zwei Finger entgegen, als ob er ihnen mitteilen wollte: «Verpisst euch.» Beschützt von einem Bodyguard, verliess er Strassburg schliesslich heil.

Nach diesem Auftritt wurde Gainsbourg in Paris als Held gefeiert, weil er – der sich stets als unpolitischer Querkopf sah – die rassistische Rechte ausgetrickst und ihr die Stirn geboten hatte. Gainsbourg war dies noch nicht genug: Um zu zeigen, wer der bessere Patriot war, erwarb er zwei Jahre später das Originalmanuskript der «Marseillaise», welches Claude Rouget de Lisle 1792 verfasst hatte. «Es trieb mich fast in den Ruin», gestand er später, «aber es war einfach eine Frage der Ehre.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04.05.12

Nächster Artikel