Als Basel ein Hanfmekka war

Vor zehn Jahren ging man allgemein davon aus, dass Cannabis in der Schweiz legalisiert wurde. Basel wurde vorübergehend zum Hanfmekka. Heute erinnert sich kaum mehr einer daran. 

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Vor zehn Jahren gab es in Basel mehr Hanfshops als Bäckereien. Journalistische Rückblende eines bekennenden Hanffreunds. 

Die Gesundheitskommission des Ständerats hat unlängst beschlossen, den Besitz von Cannabis-Mengen bis zu 10 Gramm nur noch mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken zu sühnen. Das gilt für alle, die älter sind als 18 Jahre. Wer jünger ist, hat Pech gehabt. Von einer Legalisierung des Cannabiskonsums oder gar -handels redet heute niemand mehr. Das war nicht immer so: Vor zehn Jahren ging jedermann davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis das Kiffen legalisiert würde. Damals gab es in Basel mehr Hanfshops als Bäckereien.

Angefangen hatte es in den Neunzigern. Die Schweiz sonnte sich gerade in der weltweiten Aufmerksamkeit, die ihr durch ihre liberale Drogenpolitik zuteilgeworden war. Platzspitz und Lettensteg waren Geschichte, die Fixer mit Methadon ruhiggestellt. Gleichzeitig rollte die Ecstasy-Welle über die Schweiz.

Die Medien, angeblich schon damals von Hippies und Kommunisten unterwandert, nutzten die Gelegenheit, das Terrain dafür zu ebnen, was gemäss allgemeinem Konsens längst hätte Realität sein müssen: die Cannabis-Legalisierung. Baselland hatte nach Zürich als zweiter Kanton eine Standesinitiative eingereicht, um dies zu erreichen. Die treibenden Kräfte hinter dem Ansinnen: der damalige Regierungsrat Andreas Koellreuter und der heutige Ständerat Claude Janiak.

Mittel gegen manch Zipperlein

Zeitschriften wie der «Beobachter» priesen das medizinische Potenzial der Wunderpflanze: Hanf hilft bei Appetitlosigkeit, Spasmen und manch anderem Zipperlein. Als das alles hundertmal geschrieben war, wurde der Nährwert entdeckt: Kein pflanzliches Öl enthält mehr Omega-3-Fettsäuren als das aus Hanfsamen gepresste. Die Hanfpflanze, so der Tenor damals, kann alles: Sie gibt uns Kleidung, Häuser und obendrein macht sie uns zufrieden, wie die alten Appenzeller bezeugten, die sich an das gediegene Hanfpfeifchen nach getaner Arbeit erinnerten. Auch Promis brüsteten sich in den Medien damit, zur Entspannung gern mal ein Jointlein zu rauchen. Sogar, wenn es gar nicht stimmte.

Das «Duftsäcklein»

Irgendwann kam jemand auf die gloriose Idee, Gras in Form von Duftkissen zu verkaufen. Verboten war Cannabis nämlich nur, wenn man es als Betäubungsmittel missbrauchte. Berichte von Altersheim-Bewohnerinnen machten die Runde, die dank des Duftsäcklis unter dem Kopfkissen wieder schlafen konnten. Ein Gewerbler aus dem Kleinbasel gestand mir, dass sich in seiner Hose endlich wieder etwas tue, seit er diese Duftsäckli kaufe – «ganz ohne Chemie!»

Einer, der den Hanf für die beliebten Säckli produzierte, betrieb in der Blütezeit des Geschäfts eine Grossgärtnerei mit bis zu zwei Dutzend Beschäftigten. Sein Angebot umfasste ein Dutzend Sorten in Indoor-, Gewächshaus- und Outdoorqualität. Der Mann machte viel Geld. Das meiste gab er später wieder ab und seine Freiheit dazu, weil er nicht rechtzeitig ausstieg.

Als gegen Ende der 90er der Online-Handel zum Thema wurde, machten die Hanfshops regen Gebrauch vom neuen Absatzkanal. Für den «Ernst», die Jugendbeilage des «Tages-Anzeigers», machte ich 1998 mit einem Kollegen einen Produkttest. Kurz darauf besuchten wir für «Facts» einen Hanfmakler, der Gras von Bauern im ganzen Land zusammenkaufte, um in seiner Scheune Haschisch mit Schweizer Gütesiegel zu produzieren. Der Mann erzielte einen Jahresumsatz von 160 000 Franken. Steuerfrei, wie sich versteht.

Im gleichen Jahr waren die örtlichen Hanfshops von der Muba zu einer Sonderschau geladen worden. Bald darauf bekam die Branche mit der CannaTrade in Bern ihre eigene Messe. Im Jahr 2002 liess es sich der Berner Pharmakologe Rudolf Brenneisen nicht nehmen, den THC-Gehalt der für den Canna Swiss Cup eingereichten Outdoor-Sorten zu bestimmen. Die Gewinnerin mit dem Namen «Heaven» brachte es auf 20,93 Prozent.

Vision Selbstversorgung

Eine der zentralen Figuren, die die Renaissance des Hanfs in der Schweiz vorantrieben, war der heutige Basler Stadtentwickler Thomas Kessler. Bevor er den Auftrag fasste, Basel schön zu machen, war er Integrationsbeauftragter und davor Drogendelegierter. Noch früher verfasste er das Büchlein «Cannabis Helvetica», in dem er die Selbstversorgung der Schweiz mit Hanf postulierte. Damit meinte Kessler nicht die Blumentöpfe mit mannshohen Hanfpflanzen, die damals auch meine Dachterrasse zierten. Kessler propagierte ein Anbauprogramm für Konsumhanf in der Schweiz. Die benötigte Anbaufläche hatte er auf gefährdete Bergbauern-Betriebe an idealen Südlagen über 1600 Metern verteilt.

Die Selbstversorgung war auch ohne Kesslers Anbauplan schnell erreicht. François Reusser, damals Präsident der Schweizer Hanfkoordination, schätzte die Anbaufläche im Jahr 2000 auf 200 Hektaren, die Ernte auf 200 Tonnen Hanfblüten, genug um den Bedarf von 500 000 Kiffern zu decken. Dazu kam der – deutlich einträglichere – Indoor-Anbau.
Während der Expo.02 besuchte ich mit einem Bus voller Aargauer Hanfbauern die Hanf-Expo des Hanfpioniers André Fürst in Murten. Angeführt wurde die Truppe von Fritz Meyer, damals 58 und Präsident des Aargauischen Hanfproduzenten-Vereins. Praktisch alle mitreisenden Hanfbauern, auch Fritz, waren zu diesem Zeitpunkt schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Auf die Frage, wieso er trotzdem weitermache, antwortete Fritz, der aus Lenzburg kam: «Früher habe ich für Hero Broccoli aus Italien umgepackt, um daraus ‹Schweizer Ware› zu machen. Wir hatten schon vergessen, wie sich das anfühlt, wenn du als Bauer etwas produzierst, für das es eine echte Nachfrage gibt.»

Kesslers Vision von der hanfautarken Schweiz blieb trotzdem eine Utopie. Bald schon verlagerte sich die Produktion in Keller und leere Fabrikhallen. Den Hanfbauern, die Familien zu versorgen hatten, wurde das Metier zu heiss. Das Genick gebrochen hatte ihnen ein Bundesgerichtsentscheid, den anfänglich niemand so richtig ernst nahm. Dieser erklärte alle Pflanzen, deren THC-Gehalt 0,3 Prozent überstieg, zu Drogenhanf – ungeachtet der Tatsache, dass noch der dürrste EU-Faserhanf mehr Schmackes hat.

Tagesumsatz von 17 000 Franken

Manche Polizeien setzten den neuen Tarif radikal durch. Es gab Razzien in Shops und Produktionsbetrieben, Prozesse gegen die Betreiber, sogar Bauern, die ihren Kühen Hanf verfütterten, wurden vor Gericht gestellt. Andere Kantone, etwa Graubünden, liessen die Hanfbauern gewähren. Auch in Basel schaute man dem immer buntere Blüten treibenden Handel tatenlos zu. Zeitweilig wurden weite Teile Frankreichs und Süddeutschlands mit Schweizer Gras versorgt. Die Zahl der Hanfshops in Basel war auf über hundert angewachsen. Manche Shops machten einen Tagesumsatz von 17 000 Franken, wie sich Kriminalkommissar Peter Gill damals von mir in der «SonntagsZeitung» zitieren liess.

Die Wende und das Ende

Manch einer, der den Hanfhandel aus Idealismus betrieben und neben den Duftsäckli Kleider, Lebensmittel und Ähnliches verkauft hatte, war längst ausgestiegen, als die Repression auch hier in ihrer ganzen Härte durchschlug. Die Gewinnrückforderung, die mit dem Urteil gegen die Hanfshop-Betreiber fällig wurde, belief sich nicht selten auf Hunderttausende Franken.

Trotz aller Exzesse blieben Behörden wie Fachleute bis zuletzt bei ihrer Überzeugung, der Cannabis-Konsum sei zu legalisieren. Chung-Yol Lee, damals Vizedirektor des Bundesamtes für Gesundheitswesen, sagte mir Ende 2002 noch in einem Interview für den «Brückenbauer»: «Die Gesundheit der Konsumenten lässt sich am besten schützen, wenn der Cannabiskonsum strafbefreit wird.»

Auch Richard Müller, damals Direktor der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme SFA, hielt an der Entkriminalisierung fest. Das Argument vom immer potenteren Gras konterte er cool: «Für die Lunge ist es besser, von einem starken Joint einen Zug zu nehmen als zwei schwache Joints zu rauchen.»
Wie fest die Behörden an die Legalisierung glaubten, zeigen auch die Schilderungen von Roger Liggenstorfer, Betreiber des Nachtschatten Verlags und Hanfaktivist der ersten Stunde. Er stand damals im Kontakt mit der Oberzolldirektion. «Die wollten von mir als Insider wissen, wo man die Steuern auf den Hanf erheben sollte – bei den Bauern, den Zwischenhändlern und in den Shops.»

Es kam anders. Die negativen Medienberichte häuften sich. Der Druck aus dem Ausland nahm zu. Irgendwann kippte die Stimmung: Cannabis mache schizophren, wurden Studien zitiert, ungeachtet der Tatsache, dass statistisch keinerlei Zunahme der Erkrankungen zu verzeichnen war. Die Zeitungen bestellten wieder Ratgeber-Artikel mit dem Titel «Hilfe, mein Kind kifft!»

Die kriminellen Auswüchse, die das unkontrolliert wuchernde Hanfbusiness zeitigte, taten ein Übriges, um die Cannabis-Legalisierung aus der Revision des Betäubungsmittelgesetzes zu kippen. Chung-Yol Lee ist heute Kantonsarzt in Fribourg. Richard Müller geniesst den Ruhestand. Der Kanton Baselland machte in Sachen Cannabis nur noch von sich reden, weil Sabine Pegoraro, damals noch Polizeidirektorin, das Hanfsamenbrot aus den Regalen von Coop verbannen wollte. Die 0,3-Prozent-Grenze gilt bis heute.

Wieder zum Dealer wie früher

Das ist die eigentliche Chance, die verpasst wurde: Wäre der Handel legalisiert worden, hätte es auch eine vernünftige Kontrolle der Produkte bis hin zu Bio-Zertifikation und Deklaration des THC-Gehalts geben können. Selbst Warnungen («Haschrauchen macht faul») hätte man auf die Duftsäckli drucken können. Statt in den Hanfshop um die Ecke geht man wieder zum Dealer wie früher. Wenn man Glück hat, ist das Gras nur mit Zuckerlösung besprüht, damit es ein bisschen mehr wiegt. Vielleicht klebt aber auch Blei daran, das wiegt nämlich noch mehr. Wie viel Pestizidrückstände er mitraucht, weil der Anbauer in seiner Kellerplantage weisse Fliegen hatte, weiss kein Konsument. Aber Hasch macht ja gleichgültig. So gesehen ist es egal.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11/11/11

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