Tanja Vultier wird während 18 Monaten Menschenrechtsaktivisten in Kolumbien begleiten. Ihre Waffe: eine gewöhnliche Weste.
Fünf Tage vor ihrem Abflug hat Tanja Vultier alle Kleider aus dem Schrank gekramt. Was packt man für 18 Monate Kolumbien? Sie hat keine Ahnung.
Die 31-jährige geht schliesslich nicht zum Spass. Mit der Friedens- und Menschenrechtsorganisation Peace-Brigades International (PBI) wird sie als Beobachterin bedrohte Menschen beschützen.
So begleitet sie zum Beispiel einen Anwalt, der in Gefahr ist, weil er sich für die Menschenrechte einsetzt, oder eine Gemeinschaft von Kleinbauern, die von ihrem Land vertrieben werden. Zwangsvertreibungen gehören für viele in Kolumbien zum Alltag, entweder wegen interner Konfliktr oder wegen wirtschaftlicher Interessen.
Zweck der Begleitungen von PBI ist Abschreckung. «Niemand hat gerne Zeugen bei einem Verbrechen dabei», erklärt Vultier das Prinzip. Als Beobachterin signalisiert sie den potenziellen Angreifern: «Die internationale Gemeinschaft schaut zu.»
Angst hat sie nicht
Als Schutz trägt Vultier keine Waffe, sondern lediglich eine gewöhnliche Weste oder ein T-Shirt mit der Aufschrift «PBI International». Das Ziel: Menschenrechtsaktivisten können ohne Angst ihrer Arbeit nachgehen.
Über den Fluss: Die Begleitungen finden oftmals tief im Landesinnern statt. (Bild: PBI)
Vultier ist in Basel geboren, in Bern zur Schule gegangen und für ihr Studium in Geschichte, Spanisch und Jura wieder nach Basel gekommen. Dazwischen war sie ein Jahr in Ecuador, wo sie die Ungerechtigkeit mit eigenen Augen sah. Nach dem Studium arbeitete sie einerseits für Amnesty International und für PBI-Schweiz. Nun will sie endlich einen Einsatz leisten.
Doch Vultier geht nicht allein. Ihr Mann, ein Ecuadorianer, hat sich ebenfalls für den Einsatz beworben und wurde genommen. Sie wollten ohnehin beide mit PBI ins Ausland und das kam für sie nur zusammen in die Frage.
Angst, dass ihr etwas geschieht, hat Vultier nicht: «Seit über 30 Jahren macht PBI diese Einsätze, noch nie ist etwas passiert.» Die Schutzbegleitungen sind nicht das Einzige, das sie mit ihrem Team in Kolumbien leisten wird. Zu ihrer Arbeit gehören auch Gespräche mit Behörden und Politikern, Öffentlichkeitsarbeit und umfassende Konfliktanalysen. Gute Spanisch-Kenntnisse sind für den Einsatz eine Grundvoraussetzung.
«Ich habe eine Aktivistenseele»
Die Arbeit ist anstrengend, Wochenende gibt es keine. Nur drei freie Tage im Monat und vier Wochen Ferien stehen den Freiwilligen zur Verfügung.
Für Notfälle muss das Team ständig bereit sein. Der Verdienst: 150 Dollar monatlich. «Klar steckt eine grosse Überzeugung dahinter», sagt Vultier. Schon im Gymnasium habe sie sich in den Kopf gesetzt, einen solchen Einsatz zu machen. «Ich habe eine Aktivistenseele», sagt sie lachend.
Sie habe zwar nicht das Gefühl, mit ihrem Einsatz die Welt verändern zu können, aber sie wolle zumindest Solidarität mit jenen bekunden, die es schlechter getroffen hat. «Ein Stück meines Glücks zurückgeben», nennt es Vultier.
Ausserdem sei die Schweiz ja nicht umsonst ein reiches Land. Auch Schweizer Firmen seien an Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien beteiligt. Ihren Einsatz sieht sie auch als Ausgleich dazu.
Fotoalbum und Hängematte
Noch weiss Vultier nicht, wo in Kolumbien sie die nächsten 18 Monate leben wird. Zur Auswahl stehen Barrancabermeja und Urabá. Der Standort werde ihr erst in der Einführungswoche in Bogotá mitgeteilt. Ein Beispiel dafür, wie flexibel man bei dieser Arbeit wohl bleiben müsse. «Ich kann nicht wissen, wie es wird», sagt Vultier. Genauso wenig könne sie wissen, wie sie auf die Konflikte vor Ort reagiere.
Das T-Shirt ist Pflicht: Es schützt die PBI-Frewilligen und markiert internationale Präsenz. (Bild: PBI)
Am meisten Sorgen bereite ihr aber der Gedanke, während eineinhalb Jahren ihr Zimmer mit jemandem zu teilen und mit zehn Personen auf engem Raum zu leben. Zwar wurden die Freiwilligen nach einem aufwendigen Bewerbungsverfahren ausgesucht, aber wie das Zusammenleben unter den dortigen Umständen funktioniere, bleibt für Vultier ungewiss.
Nun freue sie sich erstmal darauf, endlich Kolumbien kennenzulernen. Dort bleiben, kommt für sie aber nicht in Frage. «Früher wollte ich immer auswandern, aber ich habe mittlerweile die Privilegien der Schweiz schätzen gelernt», sagt Vultier. Ausserdem will sie ihre Katze wiederhaben. Die hat sie schweren Herzens einer Freundin abgegeben. «Das war das Traurigste.» Denn der Katze könne sie schliesslich nicht erklären, warum sie geht.
Am Dienstag ist es soweit. Zwei Dinge sind bereits in ihrem Rucksack: Ein Fotobuch von ihrer Familie und eine Hängematte mit integriertem Mückennetz. So kann nichts mehr schiefgehen.
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Live-Updates von Tanja Vultier und Eduardo Acosta aus Kolumbien gibt es hier: http://www.peace-angels.ch/de